Bürgermeisterei Adendorf von 1914 bis 1929 Ein Brot kostete 445 Mark

MECKENHEIM · "Mir war vor meinen Recherchen nicht klar, wie stark die Menschen in Deutschland durch den Ersten Weltkrieg gelitten haben, obwohl sie nicht in direkte Kampfhandlungen verwickelt waren." Ingrid Sönnert, Stadtarchivarin von Meckenheim, hat sich für den vierten Band der Reihe "Beiträge zur Geschichte der Stadt Meckenheim" mit der Zeit vom Tag der Mobilmachung 1914 bis zum Ende der französischen Besatzungszeit 1929 beschäftigt.

 Aus dem Archiv: 1917 mussten aus der Kirche Sankt Johannes der Täufer zwei Glocken abgegeben werden. Metalle aller Art wurden eingeschmolzen und für die Rüstungsindustrie verwendet.

Aus dem Archiv: 1917 mussten aus der Kirche Sankt Johannes der Täufer zwei Glocken abgegeben werden. Metalle aller Art wurden eingeschmolzen und für die Rüstungsindustrie verwendet.

Foto: Meckenheim

Meckenheim gehörte in dieser Zeit mit allen Ortsteilen zur Bürgermeisterei Adendorf, ebenso Arzdorf und Fritzdorf. Sönnert wertete Schulchroniken, Verfügungen des Bürgermeisters und Zeitungen aus dem Meckenheimer Archiv aus und nahm Statistiken des Landesarchivs zu Hilfe. "Der Kriegsanfang wurde nicht jubelnd begrüßt", so die Archivarin. Zwar seien die Menschen fest davon überzeugt gewesen, dass Deutschland den Krieg gewinne. Gleichzeitig sei ihnen aber bewusst gewesen, dass "Schlimmes passieren würde".

187 Soldaten aus der Bürgermeisterei Adendorf sind laut einer Liste im Stadtarchiv im Ersten Weltkrieg gefallen. Auf den Bauernhöfen fehlten Arbeiter, viele Menschen hungerten. Den Landbewohnern sei es zwar besser gegangen als den Städtern, so Sönnert. Sie hätten aber viel abgeben müssen und Grundnahrungsmittel seien kaum noch zu bekommen gewesen.

Im letzten Kriegsjahr griff die Spanische Grippe um sich. Zum Opfer fielen ihr auch russische Kriegsgefangene, die bei Bauern oder in Betrieben eingesetzt waren. Sie wurden in Ersdorf beerdigt, bis heute wird ihr Grab gepflegt. 1918 begann erst die englische, dann die französische Besatzungszeit. "Die Menschen haben in dieser Zeit völlig neue Erfahrungen gemacht", sagt die Archivarin. So kamen manche französischen Soldaten aus den Kolonien. Viele Meckenheimer sahen zum ersten Mal in ihrem Leben schwarze Menschen.

In den 20er Jahren setzte die Inflation ein. Sönnert hat in städtischen Unterlagen recherchiert, wie sich der Brotpreis in Rheinbach veränderte: Ein Brot kostete 1921 6,60 Mark, Anfang 1922 schon 40 Mark und im November 445 Mark. Für die Menschen in der Bürgermeisterei habe das Kriegsende keine spürbare Verbesserung der Lebensumstände bedeutet, so die Archivarin. Durch ihre Forschungen habe sie eine differenzierte Sicht auf die Vergangenheit gewonnen: "Man sollte sich davor hüten, von der guten alten Zeit zu sprechen", ist ihr Resümee.

Ingrid Sönnert hält am Dienstag um 19.30 Uhr im Familienbildungswerk Meckenheim, Kirchplatz 1, einen Vortrag zu ihrer 100 Seiten starken Veröffentlichung "Das Alte stürzt. Es ändert sich die Zeit. Die Bürgermeisterei Adendorf von 1914-1929." Das Buch ist für zehn Euro im Servicebüro der Stadt sowie in den Meckenheimer Buchhandlungen erhältlich.

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