Zeitzeugin Erika Meyer zu Drewer Meckenheims Ehrenbürgerin mahnt, an die Schwächsten denken

Interview | Meckenheim-Merl · Die 91-jährige Erika Meyer zu Drewer erinnert sich noch an ihre Kindheit im Zweiten Weltkrieg. Meckenheims Ehrenbürgerin hat daher einen eigenen Blick auf die aktuellen Krisen.

Erika Meyer zu Drewer setzt sich seit 54 Jahren in Meckenheim für ihre Mitmenschen ein. Besonders in Krisenzeiten dürfe man nicht nur auf den Staat vertrauen, ist sie überzeugt.

Erika Meyer zu Drewer setzt sich seit 54 Jahren in Meckenheim für ihre Mitmenschen ein. Besonders in Krisenzeiten dürfe man nicht nur auf den Staat vertrauen, ist sie überzeugt.

Foto: Alexander C. Barth

Krieg in Europa, Angst vor einem kalten Winter: Es gibt nur noch wenige Deutsche, die sich an eine Zeit erinnern können, in der das schon einmal Realität war. Die Meckenheimer Ehrenbürgerin Erika Meyer zu Drewer zählt mit ihren 91 Jahren dazu. Was ihr an der aktuellen Situation bekannt vorkommt, was auch für sie neu ist, und welchen Appell Sie an ihre Mitmenschen richtet, darüber sprach GA-Redakteur Alexander C. Barth mit ihr.

Sie blicken auf neun Jahrzehnte Lebenserfahrung zurück. Haben Sie jemals einen so heißen und trockenen Sommer wie diesen erlebt?

Erika Meyer zu Drewer: So warm wie in diesem Jahr war es selten. Es gab auch früher schon mal besonders warme Sommer oder kalte Winter, aber Sorgen habe ich mir deswegen keine gemacht. Man hat das früher nicht so empfunden wie heute.

Heute wissen wir, dass es den Klimawandel gibt. Empfinden Sie vor diesem Hintergrund anders?

Meyer zu Drewer: Dass wir was tun müssen, ist klar. Sich umzustellen ist für uns Ältere aber schwer, jungen Leuten fällt das viel leichter. Andererseits hängt viel davon ab, wie man aufgewachsen ist. Und ich glaube, dass unsere Generation noch sehr sparsam gelebt hat. Wenn man Strom oder Wasser verbraucht hat, dachte man an die Kosten. Viele Jüngere kennen nur noch den Überfluss.

Leere Supermarktregale haben sicherlich nicht wenige zum ersten Mal gesehen, als es in der Pandemie zu Hamsterkäufen gekommen ist.

Meyer zu Drewer: Warum die Leute so viel Klopapier gekauft haben, ist mir bis heute ein Rätsel. Aber echter Mangel war das nicht, es gab ja immer eine Alternative. In jedem Fall sollte man nicht nur für den nächsten und übernächsten Tag einkaufen, dann steht man auch nicht direkt vor einem Problem, wenn es im Laden gerade kein Speiseöl gibt. Natürlich fällt die Vorratshaltung leichter, wenn man keine Geldsorgen hat. Es gibt auch Menschen, für die das schwierig ist.

Wenn man es gewohnt ist, jederzeit einkaufen zu können, erscheinen Vorräte überflüssig.

Meyer zu Drewer: Wir haben immer so viel Haltbares im Haus, dass wir damit ein paar Wochen auskommen, wenn es sein muss. Bei den meisten, die im gleichen Alter sind, werden Sie das genau so vorfinden. Die Jüngeren hören diese Geschichten nicht gern, aber wir erinnern uns noch, wie es war, als wir Essen und Kohle zum Heizen nur mit Bezugsscheinen bekamen. Die gab es seit Kriegsbeginn im September 1939. Manchmal nutzten einem auch diese Scheine nichts, weil es nichts mehr gab.

Viele Menschen machen sich wegen möglicher Engpässe bei der Gasversorgung oder Stromausfällen ernste Sorgen. Sie wirken eher gelassen. Wie kommt das?

Meyer zu Drewer: Vielleicht nimmt man als älterer Mensch Veränderungen eher hin, weil man schon so viele miterlebt hat. Es passiert selten etwas, das einem völlig neu vorkommt. Wenn jetzt nachts weniger Lampen leuchten, weil Strom gespart wird, erinnert mich das an die Verdunklung in den Kriegsjahren. Da hat man Glühbirnen mit schwacher Wattzahl genommen und die Fenster mit schwarzem Papier abgedunkelt, damals zum Schutz vor Luftangriffen.

Wie haben Sie diesen Teil Ihrer Kindheit in Erinnerung?

Meyer zu Drewer: Dass man viel im Keller gesessen hat oder im Bunker. Wenn die Sirenen gingen, musste man immer dort hin, möglichst schnell. Ich komme aus Witten im Ruhrgebiet, da ist meine Schule bombardiert worden. Ich weiß noch, wie danach alle Jahrgänge zusammen in der Aula untergebracht wurden, weil die Klassenzimmer kaputt waren. Wir kriegten Papier, darauf konnte man mit Bleistift nicht gut schreiben, und Tinte verschmierte nur.

Sie gehören zu den letzten noch lebenden Menschen, die den Zweiten Weltkrieg bewusst miterlebt haben. Was haben Sie im Februar bei der Nachricht vom russischen Angriff auf die Ukraine empfunden?

Meyer zu Drewer: Das war schlimm für mich. Ich fühlte mich zurückversetzt in meine Kindheit. Ich hatte eigentlich nicht geglaubt, dass es so weit kommt. Im Nachhinein bin ich jetzt weniger überrascht, vielleicht wusste man einfach nicht genug über die Situation in der Ukraine. Meine größte Sorge ist, dass wir Putin immer noch unterschätzen.

Sie sagten, in Ihrem Alter seien die meisten Krisen keine neue Erfahrung mehr. Was ist mit der Flut im Juli 2021?

Meyer zu Drewer: Im Krieg ist die Möhnetalsperre bombardiert worden, da ist bei uns in Witten viel Wasser angekommen. Also ja, auch Hochwasser hatte ich schon mal erlebt, wobei das Ausmaß im Ahrtal sicherlich etwas Besonderes ist.

Und die Pandemie? Hat Ihre Lebenserfahrung Sie auch auf Corona vorbereitet?

Meyer zu Drewer: Es kam schon mal vor, als ich noch zur Schule ging, dass die ganze Klasse für eine Weile zu Hause bleiben musste. Wegen Masern, Windpocken, Scharlach oder dergleichen. Das war aber selten, und meistens blieben nur die kranken Kinder zu Hause. Diese Vereinsamung, die wir in der Pandemie erlebt haben, war neu für mich. Computer und Smartphone mögen eine Hilfe sein für Homeoffice und Homeschooling, aber sie machen es den Leuten zu leicht, mit keinem mehr zu reden. Man braucht ja nur noch etwas einzutippen. Das ist kein Ersatz für echte Gesellschaft, wenigstens telefonieren sollte man noch. An der Stimme höre ich, wie es den Leuten geht.

Sie sind bekannt dafür, dass Sie sich stets Gedanken um das Wohlergehen Ihrer Mitmenschen gemacht haben. Wie blicken Sie auf die nächsten Monate?

Meyer zu Drewer: Ich denke an diejenigen, die sich vorher schon weniger leisten konnten. Wir müssen um Verständnis werben für Menschen, die zu unserer Tafel kommen oder in die Kleiderstube. Familien, in denen es nicht selbstverständlich ist, dass das Kind zum Beispiel eine Musikschule besuchen kann. Diesen Menschen sollte geholfen werden, und da rede ich nicht vom Staat. Auch wir als Mitmenschen, als Bürger einer Stadt, sollten etwas dafür tun.

Ist das denn nicht die Aufgabe staatlicher Institutionen?

Meyer zu Drewer: Ich finde, nur Forderungen an den Staat zu stellen, ist nicht richtig. Jeder ist ein bisschen auch für sein eigenes Leben verantwortlich, und jeder kann etwas für andere tun. Dabei habe ich immer Mitstreiter gefunden in meinen 54 Jahren hier in Merl und in Meckenheim. Es ist wichtig, alle Bürger mitzunehmen, und ich glaube, das kann uns auch gelingen.

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