Rheinbacher Nachtwächter Als Spießbürger verschrien, als Aufpasser bezahlt

RHEINBACH · Unter modernen Straßenlampen wirkt die Laterne mit dem Kerzenlicht, die Nachtwächter Rudolf Wehage bei seinen nächtlichen Stadtführungen mit sich trägt, wie eine trübe Funzel. Zur Zeit seines historischen Vorbildes im Jahre 1816 war es stockfinster, eine Beleuchtung im heutigen Sinne zwischen den sieben Meter hohen Stadtmauern Rheinbachs fehlte.

 Mit Filzmantel, Schlapphut, Spieß und Laterne macht Rudolf Wehage seine Runde als Nachtwächter aus dem Jahr 1816.

Mit Filzmantel, Schlapphut, Spieß und Laterne macht Rudolf Wehage seine Runde als Nachtwächter aus dem Jahr 1816.

Foto: Axel Vogel

Dann macht die Laterne, mit der Wehage jene Zeit wieder aufleben lässt, durchaus Sinn. Mit dunklem Filzmantel, schwarzem Schlapphut, Laterne, einer Tröte und einem langen Spieß macht sich der pensionierte Gymnasiallehrer um Punkt neun Uhr am Abend beim Brunnen am ehemaligen Bürgerhaus auf den Weg durch die Altstadt.

"Hört ihr Leut und lasst euch sagen, unsre Uhr hat neun geschlagen...", mit demselben Singsang des Nachtwächters zur Sperrstunde vor 200 Jahren leitet auch Wehage seine Runde auf dessen Spuren ein. Und nimmt dabei Interessierte mit.

Von den ursprünglich drei Türmen, von denen der Nachtwächter ein Hornsignal geben musste, war 1816 noch einer übrig. Dieses Jahr wurde für die nächtlichen Geschichtsstunden gewählt, nachdem vor einigen Jahren in den Kirchenakten der Vertrag für die beiden damaligen Nachtwächter gefunden wurde.

Deren Hauptaufgabe war es, die Stadt vor Bränden zu bewahren. Denn bis auf zwei waren damals alle Häuser strohgedeckt, und die Bürger fürchteten jeden Funken. Weitergehende Kompetenzen hatte der nächtliche Aufpasser nicht. Für Ordnungsfunktionen oder Verhaftungen war die Scharwache zuständig.

Seinen Spieß führte der Nachtwächter nur zur Abwehr von Hunden mit sich, erklärt Wehage. Seinem Ruf als "Spießbürger", jemand, der die Regeln eng auslegt, begründete dieser dennoch.

Auch vor 200 Jahren trieben sich Jugendliche gerne grüppchenweise des Nachts in der Stadt herum. Wurden sie jedoch des Nachtwächters ansichtig, so nahmen sie Reißaus und schrien: "He, da hinge kütt de aale Spießbürger." Der hätte sie nämlich bei ihren Eltern anschwärzen können.

Zudem zog der Nachtwächter vor neun Uhr durch die Kneipen und rief die Sperrstunde aus. Zusammen mit den Torwächtern genoss er so eine gewisse Autorität. Die Männer am Tor verschafften sich diese durch Pünktlichkeit.

Vor dem Dreeser Tor wurde damals Vieh geweidet, wer nicht pünktlich zum Toresschluss wieder da war, musste draußen bleiben oder den Wächtern einen Obolus in die Hand drücken. Daher kommt der heute noch gebräuchliche Spruch von der "Torschlusspanik".

Umgerechnet etwa 400 Euro ließen sich die Bürger im 19. Jahrhundert das von den beiden Nachtwächtern vermittelte Sicherheitsgefühl kosten. Davon konnte man schon damals nicht leben. Im Hauptberuf war der eine Leinweber und der andere Pflasterer.

Wehage erzählt bei der Tour zwischen den Fachwerkhäusern Rheinbachs auch Geschichte(n) wie diese: Zur Zeit der französischen Besatzung von 1794 bis 1813 wurden im Gebäude neben dem Bürgerhaus (heutige Sparkasse) Feste gefeiert. Die Franzosen führten dabei einen Tanz ein, den die örtlichen Burschen noch nicht kannten: den Walzer.

Dabei kamen sie den jungen Rheinbacherinnen näher als ihre heimischen Konkurrenten, die nur Volkstänze mit Händchenhalten beherrschten. Mindestens einmal kam es deswegen zu einer blutigen Schlägerei. Zugleich wird zumindest von einer deutsch-französischen Geburt neun Monate nach einem Tanzabend berichtet.

Rudolf Wehage gibt nun im zweiten Jahr den Nachtwächter, aus Verbundenheit zu seiner geschätzten Stadt, um ihr "etwas zurückzugeben", sagt er. Bis Oktober hat er nun Pause: Bis dahin ist es um neun noch nicht dunkel genug.

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