JVA Rheinbach An einem Tag waren alle Zellen leer

RHEINBACH · Die spannende Frage ist, von welcher Entscheidung der Stadtoberen weniger Gefahr für die heimische Damenwelt ausgeht: Anno 1900 steht in Rheinbach die Debatte auf der Tagesordnung, ob ein Zuchthaus oder eine Kaserne gebaut werden soll.

 Seit 2005 passieren Mitarbeiter, Besucher und Gefangene den Einlass der JVA durch die neue Außenpforte

Seit 2005 passieren Mitarbeiter, Besucher und Gefangene den Einlass der JVA durch die neue Außenpforte

Foto: Wolfgang Henry

Am 14. Juli 1909 entscheidet die Stadtverordnetenversammlung dann, dass das damals noch außerhalb der Stadt zu errichtende Gefängnis den Namen "Königliche Strafanstalt Rotterbach bei Rheinbach" tragen soll. Nach vier Jahren Bauzeit steht der wuchtige, von hohen Mauern umsäumte Kreuzbau, der am 1. April 1914 seinen Betrieb aufnimmt.

Das 100-jährige Bestehen der Justizvollzugsanstalt (JVA) wird heute mit einem Festakt gewürdigt, zu dem auch NRW-Justizminister Thomas Kutschaty erwartet wird. In zehn Jahrzehnten vollzieht sich hinter den Gefängnismauern an der Aachener Straße ein beeindruckender Wandel vom strengen "preußischen Vollzug des Strafübels der Freiheitsentziehung", wie es seinerzeit heißt, zum heutigen Behandlungsvollzug. Heute steht die "Rückführung der Insassen in die Gesellschaft mittels zahlreicher beruflicher, schulischer und therapeutischer Maßnahmen im Mittelpunkt", sagt Heinz-Jürgen Binnenbruck, Leiter der JVA Rheinbach.

Die ersten Gefangenen reisen mit dem Zug von Siegburg aus an - in der 4. Klasse, zu zweit aneinander gefesselt. Da der Benediktinerorden die Abtei auf dem Siegburger Michaelsberg übernimmt, löst sich das dortige Zuchthaus auf. Mehr als 500 Gefangene kommen auf Schienen in Rheinbach an.

Nur einer unternimmt einen Fluchtversuch, streift sich die Fesselungsketten ab und versucht, ein Zugfenster zu öffnen. Bevor er hindurchgeklettert ist, bekommen ihn die Gendarmen zu fassen. Am 17. April 1914, zwei Wochen nach der Eröffnung des Rheinbacher Gefängnisses ist die Haftanstalt, die über 567 Plätze verfügt, mit 443 Zuchthäuslern belegt - darunter laut Chronik "neun Tuberkulosekranke und 66 geistig Minderwertige". Die höchste Gefangenenzahl ist während des Zweiten Weltkriegs aktenkundig: Rheinbach ist im April 1944 mit "1370 Insassen, davon 1340 Ausländern einschließlich 270 Frauen aus dem Kölner Gefängnis" belegt.

Doch an einem Tag der vergangenen 100 Jahre sind in Rheinbach alle Zellen leer: 400 Häftlinge sind raus. Es ist 6 Uhr in der Früh, am Morgen des 21. November 2001, als die ersten Gefangenen und Bedienstete die Anstalt verlassen. Neun Tage zuvor haben Bauarbeiter auf einem Feld nicht weit von der Gefängnismauer eine Zehn-Zentner-Fliegerbombe entdeckt. Das Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg sorgt dafür, dass die Insassen mit 15 Bussen in die Gefängnisse nach Siegburg und Köln gebracht werden. Ein lauter Knall - dann sind die zwei Zündköpfe der Bombe gesprengt. Gegen 17 Uhr ist auch der letzte Rheinbacher Gefangenei in seiner Zelle.

Leere Hafträume sind in den kommenden Monaten keine Seltenheit: Bauarbeiter sollen noch in diesem Jahr anrücken, um den maroden C-Flügel der Anstalt abzureißen, wie Binnenbruck sagt. Mit neuen Grundrissen, die dem weiterentwickelten Strafvollzug gerecht werden, entsteht der Flügel völlig neu. Die Belegungsfähigkeit der JVA erhöht sich auf 600 Plätze. Darüber hinaus sind Neubauten der Küche und der Wäscherei sowie Erweiterungen der Arbeitshallen vorgesehen. "Dann sind wir komplett für die nächsten 100 Jahre."

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