Rheinbacher Ortsteil Neukirchen Aus einem zweiten Lourdes wurde nichts

RHEINBACH-NEUKIRCHEN · 2292 Einwohner zählt der Rheinbacher Ortsteil Neukirchen - darunter viele Individualisten und Künstler. Ortsvorsteher Karl-Heinz "Kalle" Kerstholt schätzt den hohen Freizeitwert.

 Ortsvorsteher Karl-Heinz Kerstholt vor der Kirche in Merzbach-Neukirchen.

Ortsvorsteher Karl-Heinz Kerstholt vor der Kirche in Merzbach-Neukirchen.

Foto: Wolfgang Henry

Fast wäre aus Neukirchen-Merzbach 1877 ein zweites Lourdes geworden. Damals hatte ein Junge mit Namen Josef Geuer Mutter-Gottes-Erscheinungen. Indes: Die Erscheinungen wurden als Krämpfe abgetan, der Junge in die Irrenanstalt nach Siegburg gebracht.

Wie in den Beiträgen zur Geschichte der Stadt Rheinbach zu lesen, war auch den beiden Frauen Habeth und Brühl und ihren Visionen kein gutes Ende beschieden - sie wurden als Schwindlerinnen entlarvt. 1890 stand endgültig fest: Es wird nichts mit der Berühmtheit von Neukirchen-Merzbach.

Heute jedoch "pilgern" die Menschen schon mal aus ganz anderen Gründen in den Ort, der von den Zisterziensern im 13. Jahrhundert gegründet wurde. Etwa, wenn die Kinder- und Jugendinitiative Merzbach (KJI) zwei Mal im Jahr zur Kinderbörse lädt. Dann reisen die Menschen eigens aus Aachen oder Leverkusen an, um zwischen Kleidung und Spielzeug zu stöbern.

Hervorgegangen ist die KJI aus einer Spielplatzinitiative vor 20 Jahren, erzählt Vorsitzende Christel Engeland. Heute sind dort 50 Mitglieder aktiv. Sie laden zum Kinder- und Jugendtreff, zu Pfingstlagern oder zur "Familienrallye" ein. Über Mitarbeitermangel klagt Engeland nicht. Jedoch könnten mehr junge Leute mitmachen: Ein Großteil der Aktiven sei schon "relativ lange dabei".

Ortsvorsteher Karl-Heinz "Kalle" Kerstholt schätzt den hohen Freizeitwert von Neukirchen-Merzbach. "Ich würde sonst hier Urlaub machen", sagt er bei einer Rundfahrt durch die Voreifel-Gemeinde. Von den Höhen um Schlebach, Krahforst und Berscheid kann man bei gutem Wetter den Kölner Dom, manchmal gar bis nach Aachen und Venlo sehen.

Kerstholt beobachtet eine hohe Fluktuation in den Rheinbacher "Highlands". Junge Leute ziehen weg, um zu studieren. Ältere verkaufen ihre Häuser, um in kleinere Stadtwohnungen zu ziehen. Deshalb sei der Ort für junge Familien interessant. In der Grundschule sind Plätze frei, die Schülerzahl findet er "erschreckend rückläufig". Für Ältere wünscht sich der Ortsvorsteher eine bessere Busverbindung.

Zugezogene störten sich manchmal an den Bauernhöfen und beklagten Geruchsbelästigung, räumt Kerstholt ein. Doch beim Ausbringen von Gülle sei jetzt eine neue Technik vorgeschrieben, die die Beeinträchtigungen verringern sollen.

Einer seiner "größten Wünsche": ein Kunstrasen-Sportplatz. Denn die F-Jugend von Schwarz-Weiß Merzbach wird zwar regelmäßig Kreismeister, danach aber wandern viele Talente ab. Der Hartplatz behagt den Fußballern nicht. Ein reiner Fußballverein ist SW Merzbach ohnehin nicht. Er bietet Tennis, Nordic Walking und Gymnastik an. Allein die Jugendabteilung zählt 200 Mitglieder.

Viele Individualisten und einige Künstler haben in dem Ort eine Bleibe gefunden. Dazu zählt die Glasgestalterin Stefanie Stanke, die ihren Standort an der Durchgangsstraße vorteilhaft findet und mit ihrem Wohnort "sehr zufrieden" ist.

Um die "Aufrechterhaltung des geselligen Dorflebens und die Pflege althergebrachter Bräuche und Sitten" kümmern sich rund zwei Dutzend junge Männer im Junggesellenverein, der bereits 1876 gegründet wurde. Vorsitzender Pascal Bierz findet das Lebensgefühl in Merzbach "klasse", besonders die Nachbarschaftshilfe. "Natürlich orientieren sich die jungen Leute mehr nach Bonn oder Köln", sagt er. Doch das gelte auch umgekehrt: Immer mehr Städter kämen zum Beispiel zur Kirmes.

Im Zentrum von Neukirchen betreiben Heike und Bernd Schneider den "Gnadenhof Anna" für kranke und alte Tiere. Hinter dem Hoftor öffnet sich ein kleines Idyll mit Tonfiguren und Blumentöpfen. Anfangs hatte sie auf ihren 1000 Quadratmetern einen Garten mit englischen Duftrosen und Lavendel, erzählt Heike Schneider.

Eines Tages kam Kater Mikesch ins Haus, dann zwei weitere Katzen. Ein Bauer hatte fünf Kaninchen übrig, eine herrenlose Schildkröte fand Obdach. "Dann kamen die ersten Hühner" vom Pastor, der wegzog, erzählt Schneider weiter. Jetzt hat sie noch einen Teich und Gänse. Gerade wurde ein Kleintier-Gehege fertig.

Insgesamt betreut sie 206 Schützlinge. Die meisten füttert sie außerhalb. Für die Ziegen hat sie zwei Wiesen gepachtet, denn nicht allen Nachbarn behagt der tierische Trubel. Ihr Geburtsdorf Neukirchen bleibt für sie "einer der schönsten Orte auf der Welt".

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