Interview mit Weltbestsellerin Autorin Nina George über Erfolg und Algorithmen

Rheinbach · Nina George (45) hat mit dem Roman „Das Lavendelzimmer“ einen Weltbestseller vorgelegt, was sie derzeit zur erfolgreichsten deutschsprachigen Autorin im Ausland macht. Am Dienstag, 2. Oktober, moderiert sie die „Ladies Crime Night“ zum Auftakt der Rheinbacher Krimiwoche.

 Die Buchwelt ist voll von Emotionen und Wissen, findet Autorin Nina George.

Die Buchwelt ist voll von Emotionen und Wissen, findet Autorin Nina George.

Foto: Helmut Henkensiefken

Allen Unkenrufen zum Trotz kaufen die Deutschen immer noch Bücher. Sie setzen sich sehr dafür ein, dass die Autoren ein angemessenes Salär für ihr Tun erhalten. Was läuft denn nach Ihrer Meinung schief?

Nina George: Wir müssen immer wieder mit den Verlagen sprechen, um die ganzen Kleinigkeiten in den Verträgen zu erläutern. Was heißt Prozentbeteilung, warum sinken die Vorschüsse? Aber diese Probleme sind lösbar. Außerdem haben wir Schwierigkeiten mit den großen Internet-Milliardären, die unsere Werke verteilen, aber nicht sagen, wie viele – und die uns nicht beteiligen. Gerade Google Books hat mehrere Millionen Bücher eingescannt, ohne es zu dürfen. Sie stellen sie online und planen, irgendwann eine kostenpflichtige Bibliothek zu eröffnen, ohne uns zu beteiligen. Das finden wir nicht so dufte. Und wir haben Probleme mit Piraterie: Es gibt Plattformen, die gegen Geld Abos rausgeben, mit denen man Zugriff auf zwei Millionen Filme, Songs und Bücher hat. Und die zehn Dollar steckt sich das Portal ein. Sie machen also Geld mit Produkten, die sie nicht hergestellt haben.

Gibt es eine Strategie, wie die Autoren Eigentumsdiebstählen wie bei Google Books begegnen wollen?

George: Wir haben jetzt den Entwurf zur neuen Urheberrechtsrichtlinie. Da wird klar gesagt werden, dass Google Books in die Pflicht zur Lizenz genommen werden kann. Wir können dann Pauschalabrechnungen machen. Eine Klage wurde leider 2015 abgewiesen – jetzt können wir da noch mal ansetzen und wieder Verhandlungen aufnehmen.

Sie erinnern Ihre Leser immer wieder daran, dass es sinnvoll ist, einen Buchladen aufzusuchen, anstatt alles im Internet zu bestellen. Ihnen kann es doch gleich sein, ob Ihr Buch digital oder haptisch über die Ladentheke geht...

George: Das ist mir in der Tat auch völlig egal. Aber ich würde mir wünschen, dass die Nutzer merken, dass man sogar ein E-Book im Buchladen an der Ecke bestellen kann. Und der Buchladen ist nicht nur für mich relevant, sondern für den Topos einer Stadt: Man kann sich dort gut aufhalten, und die Buchhändler wählen aus dem Angebot, was sie gerne verkaufen wollen. Sie sind unabhängig von Algorithmen. Sie empfehlen auch Nischen oder Schwieriges.

Oh, diese Algorithmen...

George: Ja, der Algorithmus hat ja den Nachteil, dass wir all das vorgeschlagen bekommen, was wir sowieso schon kennen. Aber Bücher haben ja die Aufgabe, uns nahe zu bringen, was wir nicht kennen. Das ist die ureigenste Aufgabe von Büchern, uns die Welt groß zu machen. Algorithmen machen uns die Welt klein. Ergo: Die Buchhändler machen uns die Welt groß, Algorithmen machen sie klein.

In einem Essay aus Ihrer Feder über den Buchhandel las ich, dass Sie Buchhandlungen wollen, die Thementage für unterschiedliche Zielgruppen anbieten – einen Tango-Nachmittag zu Büchern, in denen es um Tango geht, Büchersprechstunden etc...

George: Es wäre schön, wenn sich die Buchhändler enthemmen. Die Buchwelt ist voll von Emotionen und Wissen. Das kann man sichtbar machen. Es spricht überhaupt nichts dagegen, ein Buchabendessen zu veranstalten, wo Menschen sich treffen, essen, trinken und über Bücher sprechen. Das hat einen höheren Erlebniswert, als nur auf dem Handy zu lesen.

Wie lässt sich die „Generation Wisch“ fürs Buch begeistern?

George (überlegt lange): Ich denke, da sind wir alle gefragt. Wir können jetzt nicht nur den Eltern sagen: Seht zu, dass eure Kinder mehr lesen. Die meisten Eltern haben ja auch keine Zeit zu lesen. Man macht das nach, was man vorgelebt bekommt. Ich denke, es wird immer einen gewissen Anteil von Menschen geben, die gerne lesen – ob digital oder als gedrucktes Buch. Die „Generation Wisch“ bekommt man nicht über das Handy: Was sie dort konsumieren, ist auf Häppchen angelegt – Videos, Lieder und so weiter. Das ist auch völlig in Ordnung. Aber der Erlebniswert von Büchern findet an anderen Orten statt – Bibliotheken oder Buchhandlungen. Also: Sucht die Jugend nicht auf dem Handy, sucht sie in der richtigen Welt und sprecht sie dort an.

Sie müssen sich gefühlt haben wie Falco mit „Rock me Amadeus“, der 1986 an der Spitze der US- und der UK-Charts stand, als Sie 2013 mit ihrem Roman „Das Lavendelzimmer“ die New-York-Times-Bestsellerliste erklommen haben. Mal ehrlich: Hat dieser Erfolg Ihr Leben verändert?

George: Ja, hat er. Durch das Geld, das reinkam, bekomme ich jetzt vermutlich eine bronzene Plakette von meinem Finanzamt Schöneberg – für besondere Leistung (lacht). Ich habe zwar immer noch meine journalistischen Jobs, aber wenn ich mal drei Monate kein Geld verdiene, geht das. Es hat mein Leben auch dahingehend verändert, dass der Druck höher geworden ist. So ein Erfolg soll natürlich wiederholt werden. Das heißt, dass ich mich fragen muss, was ich schreiben will. So bin ich zu dem zurückgekommen, was meine DNA ist: Ich möchte schreiben, was ich will.

Es muss doch außergewöhnlich sein, sein Buch in 36 Sprachen vorzufinden, die man gar nicht alle beherrscht...

George: 37. Es ist noch Estnisch dazugekommen. Ich fühle es dann, wenn ich Leserbriefe oder E-Mails aus Indien, Australien oder Griechenland bekommen. Was ich erstaunlich finde: Was Menschen bei dem Buch berührt, ist überall ähnlich. Es ist offenbar ein universal-emotionales Buch geworden. Das finde ich eine ganz erstaunliche Erkenntnis über die Welt. Wir sind so unterschiedlich. Aber wenn es ans Fühlen geht, sind wir uns so ähnlich.

Sie sind eine vielseitige Schreiberin, die in verschiedenen Sujets zu Hause ist. Was liegt Ihnen – bildlich gesprochen – eher: Sich den Sherlock-Holmes-Hut aufzusetzen oder sich wie im jüngsten Buch die Lippen rot zu machen?

George: Ich bin eine durchaus multiple Persönlichkeit. Zum Glück muss ich mich nicht entscheiden. Die Krimis, die ich zusammen mit meinem Mann unter dem Pseudonym Jean Bagnol schreibe, da mag ich es sehr, an der Realität entlang zu erzählen. Ich mag aber auch das Märchenhaft-Tröstende unglaublich gerne. Zwischen diesen Polen schwanke ich immer hin und her. In Rheinbach werde ich mir sowohl die Lippen rot machen, als auch mit Freuden die Krimis meiner Kolleginnen vorstellen.

Wenn ein Buch fertig ist, heißt das, dass der Markt rasch nach dem nächsten ruft. Empfinden Sie dies als Druck oder als Lust?

George: Ich liebe es, Herausforderungen anzunehmen. Schreiben ist nach wie vor eine lustvolle Qual. Ich schreibe gerade an einem Buch, das im „Lavendelzimmer“ vorkommt. Das war ein erfundenes Buch im „Lavendelzimmer“. Dieses Buch habe ich jetzt geschrieben. Es heißt „Südlichter“ und wird im Sommer erscheinen.

Ein Buch im Buch?

George: Ein Buch im Buch. So viele Leser auf der Welt haben mich gefragt, ob es dieses Buch aus dem „Lavendelzimmer“ tatsächlich gibt. Ich schreibe es jetzt: Aus dem erfundenen Buch im Buch wird ein Buch.

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