Buchautorin Julia Shaw "Das Böse hat faszinierende Schattierungen"

Rheinbach · Die promovierte Psychologin und Buchautorin Julia Shaw spricht im Interview über das Dunkle in den Menschen und ihre Lesung in Rheinbach.

 Die Psychologin und Autorin Julia Shaw ist „Zu Gast auf dem Sofa“ in Rheinbach.

Die Psychologin und Autorin Julia Shaw ist „Zu Gast auf dem Sofa“ in Rheinbach.

Foto: Boris Breuer

Nachdem sie das Buch fertig haben, fühlen Sie sich selbst als böser Mensch mit Abgründen oder sind sie mit sich im Reinen?

Julia Shaw: Wir meinen doch alle, dass wir die Guten sind. Die Idee, die Menschheit in Gut und Böse einzuteilen, ist viel zu einfach. Die Welt wäre besser, wenn wir versuchen würden, zu verstehen, warum Menschen schlechte Dinge tun. Es ist viel interessanter, empirische Fragen zu stellen, anstatt einem Menschen bloß das Etikett „böse“ anzuhängen. In meinem Buch beschreibe ich die vielfältigen und faszinierenden Schattierungen des „Bösen“. Ich mache bewusst alle Schubladen auf.

Sie werfen in Ihrem Buch die Frage nach dem Bösen in uns selbst auf. Ob wir nicht alle schon Welpen gesehen haben, die so niedlich waren, dass man den Wunsch verspürte, ihnen sadistisch ein Leid anzutun? Warum steckt das in uns?

Shaw: Ich fand es als Rechtspsychologin schon immer spannend, zu schauen, wo die Grenzen liegen – was normal ist und warum Menschen Straftaten begehen. Es ist ein breites Spektrum und keine harte Grenze. Wir sind alle aggressiv – ab und zu. Die Frage ist, wie das eskalieren kann und wie ich sogar zum Serienmörder werde. Die Antwort ist: Wahrscheinlich sind wir alle fähig, Mörder zu werden. Zu denken, das könnte mir nie passieren, ist faktisch falsch. Mein Buch ist auch ein Aufruf, dass wir achtsamer sind und uns selbst besser verstehen lernen – und nicht ins Dunkle abgleiten. Empathie, der Versuch, Nuancen zu sehen und die eigenen Meinungen zu hinterfragen, genau das wird in komplexen Zeiten wie heute immer wichtiger.

Dazu haben Sie den schlichten Tipp, dass es immer gut ist, einen Schokoriegel in der Tasche zu haben, wenn ein Streit droht. Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Streitlustigkeit und dem Blutzuckerspiegel?

Shaw: Wir agieren manchmal passiv aggressiv gegenüber unseren Partnern und streiten mit unseren Geliebten, obwohl es die Menschen sind, die wir am allermeisten lieben. Wir lügen sie an oder machen Dinge nicht, die wir versprochen haben. Es gibt Forschungen, die zeigen, dass Unterzuckerung dazu führt, dass man streitsüchtiger ist. Wer einfach etwas isst in so einer Situation, kann einem Streit leicht aus dem Weg gehen.

Der verbreiteten Ansicht, dass Böswilligkeit in der DNA eines Menschen liegt, folgen Sie nicht. Was macht uns böse?

Shaw: Die DNA ist wichtig, wie wir als Menschen werden. Aber wenn man das Böse nur auf die DNA schiebt, macht man den Fehler, dass man das Problem vereinfacht. Die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte und alle Nuancen unseres Lebens sind aufregend und interessant. Wir suchen intuitiv als Menschen nach einfachen Antworten. Wenn wir fragen, was der Ursprung des Bösen ist und jemand sagt: die DNA oder das Gehirn...

... sagen wir: Oh, da kann man natürlich nichts machen.

Shaw: Genau. Das Problem an der DNA ist, dass niemand etwas für seine DNA kann. Sie lässt sich meistens nicht verändern. Dann sind wir ganz schnell bei der Vereinfachung, dass Psychopathen Monster sind und man ihnen nicht helfen kann. Das finde ich wahnsinnig entmenschlichend. Dass diese simplen Antworten nicht stimmen können, zeige ich in meinem Buch. Es ist sozusagen ein Plädoyer gegen das Böse.

Sie polarisieren mit ihren Thesen über das Böse oder Erinnerungen gern. Wer sich die Rezensionen Ihrer Lesungen durchliest, erkennt, dass mancher Sie auf ihre Rehaugen und blonden Haare reduziert. Kränkt es Sie als Wissenschaftlerin, dass hübschen Frauen weniger Verstand zugebilligt wird?

Shaw: Ja. Sexismus ist leider noch ein Teil der Realität von vielen Frauen. Das ist in der Wissenschaft so, in der Öffentlichkeit, im Job. Leider ist das noch ein großes Thema, Frauen auf ihr Aussehen zu reduzieren. Klar gehört es zu mir dazu, wie ich aussehe. Aber wenn ich über etwas spreche, möchte ich, dass man meinen Theorien und Ideen zuhört. Ich finde es irritierend, anzunehmen, dass jemand nicht qualifiziert sein kann, weil sie eine junge Frau ist. Warum sollten nur alte Männer mit weißen Haaren wissenschaftlich qualifiziert sein? Diese Ansicht ist schockierend, und das sollten wir dringend ändern. Wissenschaftler sind bunt gemischt. Es ist Teil des Problems, dass Menschen immer wieder meinen, das Gegenüber auf etwas irrelevantes reduzieren zu können.

Sie beschreiben, dass es aussichtslos ist, einen Nobelpreisträger oder einen Schwerverbrecher am Gesicht erkennen zu wollen. Lassen wir uns bei der Einschätzung von Menschen von Klischees lenken?

Shaw: Ja, absolut. Wir meinen, wir sind gute Lügendetektoren und können Glaubwürdigkeit gut einschätzen. Aber in der Realität, wie Sie gesagt haben, sind wir Opfer unserer Verzerrung und machen häufiger Fehler, als uns lieb ist. Eine Studie hat gezeigt, dass wir beim Anschauen der Gesichter von Schwerverbrechern und Nobelpreisträgern bei etwa 50 Prozent Trefferquote liegen. Da könnten wir auch eine Münze werfen. Das Schlimme ist, Menschen auszuschließen, nur weil sie anders aussehen oder sich anders benehmen.

Sie sind 1987 während des Karnevals in Köln geboren, in Kanada aufgewachsen und leben in London. Worauf freuen Sie sich, wenn Sie ins Rheinland kommen?

Shaw: Ich freue mich auf meine Mutter, die im Rheinland lebt. Ihr habe ich auch das Buch gewidmet. Ich freue mich immer auf die Spargelzeit. Weißer Spargel ist mein Lieblingsessen. Karneval finde ich super, da können alle so sein, wie sie wollen – jeder Jeck is anders. Und alle kommen zusammen, haben Spaß und sind locker und nett zueinander.

„Zu Gast auf dem Sofa“ mit Julia Shaw beginnt am Dienstag um 19.30 Uhr in der Hochschul- und Kreisbibliothek Bonn-Rhein-Sieg in Rheinbach, von-Liebig-Straße. Der Eintritt kostet zehn, ermäßigt sechs Euro. „Böse – Die Psychologie unserer Abgründe“ erscheint am 24. September bei Hanser und kostet 22 Euro.

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