Rheinbach und das Lesen Die Lesehauptstadt hat viele Seiten

Rheinbach · Dass Victoria Schaay aus Rheinbach beste Vorleserin Deutschlands ist, ist für Kenner der örtlichen Buchszene kein Zufall. Denn in der Glasstadt tummelt sich seit Jahren eine äußerst aktiven Lese-Szene. Allen voran der Verein "Rheinbach liest".

 Im Tresorraum der Kreissparkasse liest Fußballkommentator Martin Groß eine Detektivgeschichte um einen Banküberfall vor. FOTO: HENRY

Im Tresorraum der Kreissparkasse liest Fußballkommentator Martin Groß eine Detektivgeschichte um einen Banküberfall vor. FOTO: HENRY

Foto: Wolfgang Henry

Fast 700 000 Schüler aus 7500 Schulen in ganz Deutschland nehmen jedes Jahr am Vorlesewettbewerb des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels teil. Die Gewinnerin kommt aus Rheinbach. Als Victoria Schaay (12) Ende Juni nach der Finalrunde in Berlin die oberste Stufe des Siegertreppchen erklimmt, erklärt Bürgermeister Stefan Raetz in seinen Glückwunschworten an die frischgekürte Bundessiegerin Rheinbach kurzerhand zur „deutschen Lesehauptstadt“. Den Triumph für die Sechstklässlerin sehen viele Protagonisten der facettenreichen Rheinbacher Leseszene indes nicht als Zufallsprodukt. Denn die Lesehauptstadt hat viele Seiten.

„Der Erfolg ausgerechnet für eine Rheinbacherin ist kein Zufall. Unser kleines, übermütiges Provinznest zeichnet sich durch eine erstaunliche Zahl von Literaturveranstaltungen und Leseförderinitiativen aus“, findet Gerd Engel, Vizechef des Vereins „Rheinbach liest“. „Eine Menge Menschen brennen hier für Bücher und schönes Vorlesen“, sagt Engel. „Rheinbach liest“ habe seit seiner Gründung „viel Neues angestoßen und vorwiegend in Vernetzung mit bestehenden Vereinen, Institutionen, den Schulen und der Stadt Rheinbach investiert“, so Engel. Als Beispiele nennt er das Verschenken von Pixiebüchern beim Karnevalszug, die Lesewiese im Freizeitpark, Buchadventskalender sowie Formate wie Rheinhexen-Slam, Rheinbach liest in den Häusern der Stadt, Liedstrich, Text-Probe, Bücherstimmen, das Lesefestival Seitenknistern oder Rheinbach liest vor.

Für Daniela Hahn, Leiterin der katholischen öffentlichen Bücherei Sankt Martin, ist die gute Vernetzung ein Kennzeichen der Rheinbacher Lese-Szene. „Die Bücherei, die Buchhandlung, 'Rheinbach liest' und weitere Einrichtungen kooperieren erfolgreich für ein vielfältiges Veranstaltungsangebot“, findet Hahn. Die Bücherei als „Kultur-, Informations- und Bildungseinrichtung“ setze etwa darauf, dass Kindergarten- und Grundschulkinder zur Leseförderung einen Büchereiführerschein absolvieren, „um die Freude am Lesen schon früh zu vermitteln“, so Hahn. „Wir wünschen uns, dass auch in Zukunft Ideen zur Leseförderung dank des großen Engagements vieler Menschen und ausreichender Mittel umgesetzt werden.“

„Rheinbach ist Lesehauptstadt, weil es hier rund ums Jahr vielfältige Angebote und Aktivitäten für Menschen allen Alters vom Kindergartenkind bis zu Senioren rund ums Lesen und Vorlesen gibt“, erklärt Christel Engeland von der Buchhandlung Kayser, die ganzjährig prominente Literaten nach Rheinbach holt und auf vielfältige Weise mit anderen Institutionen und Vereinen kooperiert. Mit einem Augenzwinkern sagt sie: „Alle Beteiligten bemühen sich, Terminabsprachen weiter zu verbessern, damit es nicht zu Termindoppelungen kommt. Ein Unterfangen, das bei einer derartigen Terminfülle immer anspruchsvoll bleiben wird.“ Und weiter: „Die Lesebegeisterung versuchen wir zu steigern, indem wir immer wieder neue Formate ausprobieren, um Ermüdungserscheinungen vorzubeugen und unterschiedliche Zuhörer anzusprechen.“

Ein neues und gleichsam schon sehr etabliertes Format ist die Rheinbacher Krimiwoche, die die Buchhandlung Kayser und Winrich C.-W. Clasen vom cmz-Verlag in Rheinbach vor zwei Jahren erstmals auf die Beine gestellt haben. „Die Krimiwoche wäre mit etwa 250 Zuhörern an drei Abenden nicht möglich gewesen, ohne dass der Boden vorher durch vielfältigste literarische Aktionen bereitet worden wäre“, sagt Clasen. Der Begriff Lesehauptstadt gebühre Rheinbach nicht zu Unrecht. „Zu Metropolen fällt mir zwar ein, dass sie immer an großen Flüssen liegen, von daher würde ich Rheinbach am Gräbbach nicht als Hauptstadt bezeichnen“, so Clasen schmunzelnd.

„Wenn man aber von der Topographie in die Geografie der Fantasie wechselt, ist Rheinbach ein großartiges Pflaster für die Literatur.“ Für Stefan Raetz kommt der Erfolg von Victoria Schaay „nicht von alleine“. Deutlich werde, welch wichtigen Beitrag das gute Zusammenspiel von „Rheinbach liest“, den Schulen, der Lesewiese, den Veranstaltungen, den Slams, der Bücherei, der Buchhandlung, Literatur im Takt und anderen leiste, findet der Verwaltungschef. Der Bundessieg „macht Mut und Hoffnung, dass die Lesebereitschaft unserer Jugend doch enorm ist. Das Land der Dichter und Denker gibt seine Qualitäten nicht auf“, so Raetz.

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