Juden in Rheinbach Erschütternde Schicksale von Nachbarn

RHEINBACH · Die Rauchschwaden eines Dampfschiffs ziehen übers Rheintal. Unter dem Bonner Stadtwappen prangt der Reichsadler mit ausgebreiteten Schwingen und einem Hakenkreuz in seinen mächtigen Fängen. Pure Rheinromantik wählen die Bonner Nationalsozialisten aus, um ihren "Heimatbrief" symbolhaft in Szene zu setzen.

 An Rheinbachs Stadtarchivar Dietmar Pertz (rechts) und Bürgermeister Stefan Raetz (links) überreicht Nina Damberg an der Rheinbacher Gedenkstätte im Innenhof des Rathauses ihre Facharbeit über das jüdische Leben in Rheinbach.

An Rheinbachs Stadtarchivar Dietmar Pertz (rechts) und Bürgermeister Stefan Raetz (links) überreicht Nina Damberg an der Rheinbacher Gedenkstätte im Innenhof des Rathauses ihre Facharbeit über das jüdische Leben in Rheinbach.

Foto: Mario Quadt

Frühlingshaften Gefühlen gibt sich in dem Schreiben der NSDAP aus dem März 1942 Rheinbachs Bürgermeister Joseph Wiertz hin, wenn er bildreich berichtet, wie Rheinbach dabei ist, langsam "sein weißes Winterkleid" abzulegen. Die Menschen, so Wiertz, atmeten alle wieder auf, da die Tage länger würden.

Zynisch wirkt, wie der von den Nazis eingesetzte Verwaltungschef nach den blumigen Schilderungen "ein geschichtliches Datum" mitteilt: "Die Stadt Rheinbach ist wieder rassenrein geworden. Die 'Plattfußindianer' - die Juden - sind alle fort." Auch aus Rheinbach-Land seien sie "entfernt worden".

Die Passage ist in der lesenswerten Facharbeit der 16 Jahre alten Rheinbacher Gymnasiastin Nina Damberg zu finden, die sie dem jüdischen Leben in Rheinbach im Fach Geschichte gewidmet hat. Die Untersuchung ist ab August im Rheinbacher Stadtarchiv erhältlich.

"Der Jude ist unser Unglück" schreibt Wiertz zum Ende seines Heimatbriefs an die Soldaten aus Rheinbach. "Wegen den Juden haben wir heute den Krieg..." endet der Bürgermeister, der auch Ortsgruppenleiter der NSDAP war. Die Juden hätten "in den früheren Zeiten so manchen braven Bauersmann in tiefe Schulden gebracht; ich glaube, Ihr freut Euch alle, dass sie fort sind", schreibt Wiertz.

Hinter diesen zynischen Worten des NSDAP-Ortsgruppenleiters steht für die jüdischen Familien, die seit Generationen in Rheinbach als Nachbarn unter Nachbarn gelebt hatten, unermessliches Leid und vielfach qualvoller Tod. Akritisch beschreibt Nina Damberg, wie der Vorzeigenazi einen Keil zwischen langjährige Nachbarn treibt. 34 Juden aus Rheinbach deportieren und ermorden die Nationalsozialisten.

"Mich hat sehr berührt, dass sich alle gekannt und nah beieinander gewohnt haben", schildert Damberg während der Übergabe ihrer Facharbeit an Rheinbachs Bürgermeister Stefan Raetz und Stadtarchivar Dietmar Pertz. Ganz in der Nähe des heutigen Rathauses stand bis November 1938 die Synagoge, die in der Reichspogromnacht vollends zerstört wurde. Im Innenhof des Rathauses befindet sich auch die Gedenkstätte, an der mit kunstvollen Glastafeln an die ermordeten Juden Rheinbachs gedacht wird.

Ein Glücksfall ist, dass überhaupt Dokumente aus der Zeit der braunen Machthaber übrig geblieben sind, die Nina Damberg im Rheinbacher Stadtarchiv einlesen kann. Eine der letzten perfiden Taten der Nazistatthalter ist nämlich der Versuch, das Gedächtnis der Stadt auszulöschen, indem sie das Rathaus in Brand setzen lassen, kurz bevor die Amerikaner Anfang März 1945 Rheinbach einnehmen.

"Es war spannend zu sehen, wie dieses Unrecht von der eigenen Stadt ausging", schildert die junge Rheinbacherin. Die Schülerin der Jahrgangsstufe elf am Städtischen Gymnasium nimmt die Last der Facharbeit freiwillig auf ihre Schultern. "Die Facharbeit kann anstelle der ersten Klausur des Halbjahres verfasst werden", berichtet Dambergs Geschichtslehrer Bert Merzbach, der betont, dass sich seine Schülerin das schwierige Thema aus freien Stücken ausgesucht habe.

Bürgermeister Stefan Raetz möchte wissen, wie die Mitschüler auf Dambergs Idee reagierten, das mannigfaltige Leiden der Juden in Rheinbach zum Thema ihrer Arbeit zu machen. "Die fanden das sehr speziell", antwortet Damberg. Sie selbst ist von den Abschiedsbriefen der deportierten Juden tief beeindruckt. "Das war sehr ergreifend."

Einer der jüdischen Nachbarn, deren Schicksal die 16-Jährige skizziert, ist Josef "Jupp" Geisel. Sein Name ist bis heute im Stadtbild lebendig, im Wohngebiet am früheren Jahn-Sportplatz trägt eine Straße seinen Namen. Aus gutem Grund: Weil sich die Kommune Ende der 20er-Jahre nicht in der Lage sieht, den Vereinen das Gelände für einen Sportplatz zur Verfügung zu stellen, geben Geisel und andere wohlhabende Rheinbacher dem Turnverein "erhebliche private Geldmittel", damit dieser das Gelände kaufen kann.

Jupp Geisel gilt als "Prototyp des integrationswilligen deutschen Juden", wie Horst Mies bereits in seinem Buch "Sie waren Nachbarn" schrieb. Josef Geisel betreibt mit seiner Schwester eine Metzgerei an der Hauptstraße, ist Mitbegründer des Rheinbacher Turnvereins (RTV) und Mitglied in dessen Vorstand.

Er gehört dem Krieger- und Junggesellenverein, dem Männerchor, der Feuerwehr sowie dem Elferrat der Narrenzunft an. Nach dem Ersten Weltkrieg bekommt er das Eiserne Kreuz als Auszeichnung. Noch im September 1934 heftet Wiertz ihm eine Verdienstmedaille für 25-jährige Mitgliedschaft in der Feuerwehr ans Revers.

Darum, so Raetz, seien all diese Schicksale eine stete Mahnung für heutiges Handeln - etwa was aktuell die Unterbringung von Flüchtlingen angeht. "Für uns eine Nagelprobe", bekundet der Verwaltungschef. Stadtarchivar Dietmar Pertz ist beeindruckt vom Engagement Dambergs.

Zusammen mit Peter Mohr, Kenner der Geschichte und Buchautor, setzt er sich dafür ein, dass die Arbeit nicht nur im Stadtarchiv einsehbar, sondern auch als Broschüre für jedermann erhältlich ist.

Info

Ab Ende August ist die 17 Seiten starke Arbeit über das jüdische Leben in Rheinbach im Rheinbacher Stadtarchiv zu bekommen. Die Höhe der Schutzgebühr steht noch nicht fest.

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