Hochwasser-Katastrophe in Rheinbach Gnadenhof-Betreiberin rettete ihre Tiere aus den Fluten

Rheinbach-Neukirchen · Die Betreiber des Gnadenhofs in Rheinbach-Neukirchen erlebten dramatische Szenen während des Hochwassers. Tierpflegerin Heike Schneider schwamm durch die Fluten auf ihrem Hof, um ihre Tiere zu retten.

 Hofbesitzerin Heike Schneider rettete ihre Tiere aus der Flut.

Hofbesitzerin Heike Schneider rettete ihre Tiere aus der Flut.

Foto: Simun Sustic

Er hielt mich an der Hand fest, damit ich nicht in die Strömung springe. Wäre mein Nachbar nicht gewesen, wäre ich jetzt weg, mitgerissen von der Flut auf meinem Hof.“ So schildert die Rheinbacherin Heike Schneider die dramatischen Szenen, die sich Mittwochnacht in ihrem Zuhause abgespielt haben. Der Gnadenhof Anna in Rheinbach-Neukirchen wird von ihr und ihrem Nachbarn Manfred Münch geleitet.

Sie nehmen alte und kranke Tiere auf, deren Halter selbst nicht in der Lage sind, sich um sie zu kümmern. Von Schafen und Ziegen über Schweine, Enten und Gänsen bis zu Katzen und Hunden umsorgen die beiden Rheinbacher sowie mehr als 30 weitere Ehrenamtler Hunderte von Tieren in Neukirchen, Wachtberg und darüber hinaus auch mobil in vielen weiteren Orten. Die Halter der abgegebenen Tiere stammen aus allen Ecken Deutschlands. Nach dem Hochwasser der vergangenen Tage brauchten die Bewohner aber nun selbst tatkräftige Hilfe.

Schneider geht nebenbei arbeiten, um den Gnadenhof zu finanzieren

Beim Öffnen des Hoftores scheint Heike Schneider aufgelöst und neben sich zu stehen. Sie hat nach Tagen endlich geschlafen. Schon als junge Frau habe sie Kaninchen und kranke Hunde gerettet und bei sich aufgenommen, erzählt sie. Finanziert wird die Tierpflege über Spenden und über eigene Einlagen durch die Mitglieder. Ein Mann mittleren Alters läuft während Schneiders Erzählung am Tisch vorbei, einen Einbaukühlschrank mit beiden Armen fest umklammernd. Er ist für das vom Hochwasser gebeutelte Haus der Frau bestimmt, die auf ihrem Hof wohnt. Ein Problem weniger.

 Küche, Wohnzimmer, Bad: bis auf die nackten Zimmerwände wurde das gesamte Erdgeschoss ausgeräumt.

Küche, Wohnzimmer, Bad: bis auf die nackten Zimmerwände wurde das gesamte Erdgeschoss ausgeräumt.

Foto: Simun Sustic

Das Geld, das Schneider als Medikamenten-Lieferantin auf Teilzeit verdiene, investiere sie direkt in die Tierhilfe, sagt die Rheinbacherin. Unterbrochen wird sie von ihrer Nichte im Grundschulalter, die mit kindlicher Miene vorsichtig nach einem Haustier fragt. Schneider beruhigt sie, es gehe dem Tier gut. Ein Nachbar bringt Leberwurst vorbei. Heike Schneider ist froh, diese kann sie gleich verfüttern.

Betreiberin klettert über Dächer, um ihre Tiere zu retten

Dann folgt eine Erzählung, die an einen Katastrophenfilm erinnert. Wie so viele Erzählungen in diesen Tagen. Die Tierpflegerin macht sich am Mittwochabend gegen 21 Uhr auf den Weg, um einer Diabetikerin ihre Medikamente zu bringen. Eine Dreiviertelstunde später erhält sie einen Anruf von Mitbetreiber Manfred Münch. Sie solle lieber zurückfahren. Ihr Hof laufe voller Wasser. Sie vertröstet die Patientin und kehrt um.

 Vorräte und die nötigsten Geräte lagert die Rheinbacherin Heike Schneider in der Garage.

Vorräte und die nötigsten Geräte lagert die Rheinbacherin Heike Schneider in der Garage.

Foto: Simun Sustic

“Beim Ankommen stand das Wasser schon brusthoch.” Möbel schwammen im Haus, Tiere trieben auf diesen herum. Ein schwer kranker Hund sei, wohl aus Panik, beim Springen über einen Zaun hängen geblieben, und habe sich den ganzen Bauch aufgerissen. Schneider ringt mit den Tränen. Sie befindet sich indes am Eingangstor des Hofes. Ihr wird klar: einige der Tiere harren in ihrer Haushälfte aus, die diagonal vom Tor liegt, und sind in Gefahr.

Also beschließt sie, sich irgendwie bis zu ihrer Haustür durchzukämpfen. Zu ihrer Rechten befindet sich die Haushälfte von Münch. Erst fasst sie den Entschluss, auf dessen Dach zu steigen, in Münchs Wohnung zu klettern und eine Wand zu ihrer Haushälfte durchzureißen. Doch Werkzeug ist keines in Sicht.Nachdem ihr Nachbar sie bei dem Versuch zurückhält, einfach über den Hof zu schwimmen, entdeckt sie eine vorbei treibende Hundehütte.

An dieser hält Schneider sich fest und klettert auf ein gegenüberliegendes Hausdach. Sie läuft über eine Reihe Häuser, springt auf Höhe ihrer Haustür wieder in die Strömung, hangelt sich an den Weinreben ihres Zauns entlang und betritt das Haus. Die meisten Haustiere konnten sich auf die Treppe flüchten. Drei ihrer Hunde findet sie jedoch tot auf. Mit Münch bringt sie die Tiere in Sicherheit und harrt mit ihnen zusammen aus. “Ich wusste nämlich, bei einer Evakuierung würden nur Menschen mitgenommen, nicht meine Tiere. Ich konnte sie nicht zurücklassen”, erzählt sie.

Die Hilfe aus ganz Deutschland ist überwältigend

Tage später ist das Wasser zurückgegangen, Helfer sind eingetroffen. Der Folgetag des Katastrophenabends ist in Schneiders Erinnerung ausgelöscht. Vermutlich, weil sie irgendwie mit dem Verlust ihrer geliebten Tiere umgehen musste und überfordert war, folgert die Tierpflegerin. Neben den drei toten Hunden sind vier Hühner und ein Meerschweinchen unter den Toten zu beklagen.

Die nun folgende Hilfe sei überwältigend: “Jeden Tag kamen mindestens 30 Menschen, aus ganz Deutschland. Hannover, Hamburg, Süddeutschland, Ruhrpott, alle möglichen Menschen. Maurer, Elektriker, Schreiner und Metallbauer.” Auch die Bundeswehr habe sich beteiligt. Die Feuerwehr habe sowieso täglich geholfen. Von einigen Menschen aus Neukirchen sei hingegen enttäuscht. Manche hätten gegafft oder gelacht, statt zu helfen.

Auch eine Spendenaktion hat das Social-Media-Team des Vereins ins Leben gerufen, die bereits mehrere Tausend Euro Spenden eingebracht hat. Die sind bitter nötig, denn das Untergeschoss ist vollkommen leer. Die gesamte Einrichtung aus Küche und Wohnzimmer wurde entsorgt. Akut seien nicht mehr so viele Helfer benötigt, sagt Schneider. Jetzt fehlen vor allem Bautrockner. Wenn das Haus trockengelegt sei, könne man an die Beschaffung des gesamten Interieurs denken.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Alleine in der Flut
Kommentar zum Schutz der Bevölkerung bei Krisen Alleine in der Flut
Aus dem Ressort