Vor 16 Jahren spurlos verschwunden Kein Lebenszeichen von Trudel Ulmen

Region · Am Dienstag um Mitternacht lief die Frist ab. Die seit 16 Jahren verschollene Arzthelferin Trudel Ulmen ist der Aufforderung des Rheinbacher Amtsgerichts, sich bis zum 28. Februar "in Zimmer 207, 1. Stock" einzufinden, nicht gefolgt.

"Jetzt werden die Antragsteller und die Staatsanwaltschaft angeschrieben", erläutert Richter Philipp Prietze, Pressedezernent des Bonner Landgerichts, das weitere Prozedere. "Ergeht bis Ende März kein Widerspruch, wird Trudel Ulmen für tot erklärt." Die Nachricht ihres offiziellen Todes wird dann an der Gerichtstafel sowie "in einer geeigneten Tageszeitung" als amtliche Bekanntmachung verkündet - so wie es das kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges in Kraft gesetzte und bis heute gültige Verschollenheitsgesetz vorschreibt.

Ob Trudel Ulmen noch lebt, ob sie nicht schon am Donnerstag, 21. März 1996, als sie nicht mehr zur Arbeit erschien, ums Leben kam, weiß auch die Bonner Kripo nicht. "Wir schließen nichts aus, wie ermitteln in alle Richtungen", sagt Kriminaldirektor Hans-Willi Kernenbach. Wie kommt es, dass nun, nach 16 Jahren, mit Hochdruck ermittelt wird, während die Vermisstensache damals als erledigt betrachtet wurde? "Auslöser war der Bericht im General-Anzeiger am 9. Januar", sagt Kernenbach. "Denn uns war nicht bekannt, dass die Familie all die Jahre kein Lebenszeichen erhalten hat."

Warum der Fall im März 1996 nach nur vier Tagen als aufgeklärt betrachtet wurde, wie intensiv von Freitag bis Montag ermittelt wurde, ob beispielsweise das Auto der Vermissten, ein zwei Jahre alter Opel Kadett E Cabrio, den der Ehemann anschließend für 14.000 Euro an einen Händler verkaufte, zuvor noch von Kriminaltechnikern auf Spuren geprüft worden war, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Die Akte wurde ordnungsgemäß nach fünf Jahren vernichtet.

Eltern und Geschwister warteten vergeblich auf ein Lebenszeichen

Nur die Akten unerledigter Fälle werden 30 Jahre lang aufbewahrt. Vermutlich galt die 41-Jährige aufgrund einer einzigen Zeugenaussage als nicht mehr vermisst: Der damalige Ehemann will am Sonntag, 24. März, einen Anruf von ihr erhalten haben. Sie sei wohlauf, sie habe ihn freiwillig verlassen. Eltern und Geschwister, zu denen sie stets ein enges und harmonisches Verhältnis unterhielt, warteten hingegen vergeblich auf ein Lebenszeichen.

Trudel Ulmen tauchte seither in keinem Einwohnermelderegister auf, und über das Auswärtige Amt konnte die Kripo nun ermitteln, dass sie in den 16 Jahren bei keiner deutschen diplomatischen oder konsularischen Vertretung auf dieser Welt ihren Reisepass oder Personalausweis verlängern ließ. Falls sie noch leben sollte, so lebt sie ohne gültige Identität. Während die Kripo Dutzende Zeugen befragt und vernimmt, ist Trudel Ulmen nun im gesamten Schengen-Raum zur Fahndung ausgeschrieben. Und von ihren Blutsverwandten wurden DNA-Proben genommen.

Für den Vergleich mit den Proben unbekannter Toter werden die Experten des Landeskriminalamts in Düsseldorf aber noch eine Weile benötigen. "Wir haben ja leider keine DNA von der Vermissten selbst", sagt Kriminaldirektor Kernenbach. "Deshalb genügt für den Abgleich kein Tastendruck am Computer. Die Annäherungswerte über die Blutsverwandten müssen manuell mit jedem einzelnen in der Datei registrierten Muster auf ähnliche Genmerkmale geprüft werden. Aber alleine schon in Nordrhein-Westfalen haben wir derzeit 194 unbekannte Tote."

Im Gegensatz zur polizeilichen Vermisstenakte, die vor elf Jahren vernichtet wurde, existiert Trudel Ulmens letzte Personalakte noch. Rolf Radzuweit, Geschäftsführer des Neurologischen Rehabilitationszentrums Godeshöhe, konnte sich augenblicklich an die ehemalige Mitarbeiterin erinnern, als er ihr Foto im General-Anzeiger sah - auch wenn in der Bad Godesberger Klinik fast 400 Menschen beschäftigt sind. Aus der Akte ist zu erfahren, dass Trudel Ulmen knapp 15 Monate im Medizinischen Archiv der Klinik an der Waldstraße arbeitete: vom 2. Januar 1995 bis zum 21. März 1996 - dem Tag ihres spurlosen Verschwindens.

Vermerkt ist in der Akte auch, dass am Folgetag, einem Freitag, die Bonner Kripo Kontakt aufnahm und sich beim Arbeitgeber nach der Vermissten erkundigte, aber bereits am Montag, 25. März, der Klinikleitung versicherte, dass Trudel Ulmen ihr Arbeitsverhältnis freiwillig aufgegeben und sich "wahrscheinlich mit einem Liebhaber ins Ausland abgesetzt" habe. Freiwillig bedeutet im arbeitsrechtlichen Sinne mutwillig; da stimmte selbst der Betriebsrat der fristlosen Kündigung zu.

Plötzliches Verschwinden gab Rätsel auf

Helga Lohbauer, bis zu ihrem Ruhestand die Chefsekretärin des Ärztlichen Direktors und somit damals Trudel Ulmens unmittelbare Vorgesetzte, gibt das plötzliche Verschwinden allerdings nach wie vor Rätsel auf: "Auf ihrem Schreibtisch stand auch noch am Tag ihres Verschwindens ein gerahmtes Foto ihres Mannes; außerdem hat sie bei der Arbeit nie private Anrufe erhalten."

Als "merkwürdig" empfand die Vorgesetzte den Auftritt des "äußerst attraktiven" Ehemannes am Abend des 21. März 1996 in der Klinik: Trotz der Versicherung des Personals, dass Trudel Ulmen gar nicht erst zur Arbeit erschienen sei, verlangte er, dass man die Tür zum Medizinischen Archiv aufsperre, weil er sich persönlich davon überzeugen wolle, dass seine Frau nicht bewusstlos hinter ihrem Schreibtisch liege.

An den Donnerstag erinnert sich Helga Lohbauer auch wegen jener Vorgeschichte: "Frau Ulmen war eine Teilzeitkraft. Zu Wochenbeginn kam sie zu mir und fragte, ob sie am Donnerstag ausnahmsweise nachmittags statt vormittags arbeiten könne. Den Wunsch hatte sie noch nie geäußert. Es war aber aus arbeitstechnischer Sicht kein Problem, daher fragte ich auch nicht nach einem Grund." Wie hat sie Trudel Ulmen in Erinnerung? "Angenehm im Umgang, ausgeglichen, zurückhaltend. Sie erledigte ihre Arbeit professionell. Sie war sehr schlank, legte viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres und kleidete sich gern figurbetont."

"Eine Wesensveränderung" beobachtete Inge Henn in den letzten Jahren vor Trudel Ulmens Verschwinden. Nicht nur bei der Wahl der Kleidung. Inge Henn war mit ihr in der Frauengymnastikgruppe des Turnvereins Wormersdorf aktiv. "Zu Beginn war sie das brave Trudelchen." Sportkameradin Gertrud Schneider bewertet das anders: "Sie wurde selbstbewusster. Wir alle hatten jung geheiratet und sind im Lauf der Jahre selbstbewusster geworden." Ursula May erinnert sich noch gut an ihre Freundin, mit der sie über die Gymnastikstunde hinaus Freizeit verbrachte: "Sie war eine Seele von Mensch, immer freundlich, immer hilfsbereit. Wer in Not war, konnte von Trudel das letzte Hemd bekommen."

Eines Tages tauchte ein Mann aus dem Westerwald im Rheinbacher Stadtteil Wormersdorf auf. Anfang der 90er Jahre terrorisierte der Stalker mit hohem Aggressionspotenzial telefonisch und physisch erst Trudel Ulmen, dann die Frauen der Gymnastikgruppe, schließlich das halbe Dorf. Bis vor Gericht ein Annäherungsverbot erwirkt werden konnte. Damals war Stalking noch kein eigener Tatbestand im Strafgesetzbuch. "Diese Zeit war die Hölle für alle", erinnern sich Inge Henn und Ursula May. "Da gab es bei uns Anrufe wie: Ich weiß, wo deine Kinder zur Schule gehen."

1997, im Jahr nach Trudel Ulmens Verschwinden, wurde die kinderlose Ehe geschieden - in Abwesenheit der "unbekannt Verzogenen". Der Antrag ging Oktober 1996 beim Amtsgericht Rheinbach ein. Darin heißt es wörtlich: "Drei Tage nach ihrem plötzlichen und völlig überraschenden Verschwinden aus dem gemeinsamen Haus der Parteien erhielt der Antragsteller von ihr am 24. März 1996 einen Anruf mit der Mitteilung, sie befinde sich mit jemandem im Ausland, ihr gehe es gut, sie sei finanziell abgesichert. Sie bedankte sich für die letzten Ehejahre und entschuldigte sich für die letzten drei Tage..."

Da das obligatorische Trennungsjahr noch nicht vollzogen war, der Gesetzgeber aber einen Nachweis der Zerrüttung verlangt, musste der Antragsteller schweres Geschütz auffahren: Von mehreren "ehewidrigen Verhältnissen der Antragsgegnerin" ist im Scheidungsantrag die Rede. "Der Antragsteller ist nicht bereit, die Ehe mit der Antragsgegnerin fortzusetzen. Das ist ihm angesichts dessen, was er in den letzten Jahren in dieser Ehe hat durchmachen müssen, auch nicht zumutbar." Hätte Trudel Ulmen, die verschollene "Antragsgegnerin", die Gelegenheit erhalten, darauf zu reagieren, so hätte sie problemlos ebenfalls schweres Geschütz auffahren können. Das versichern nicht wenige Rheinbacher Bürger; manche auch aus eigenem, schmerzhaftem Erleben. Zerstörte Träume, zerstörte Ehen.

Die beiden wirkten stets wie ein Traumpaar

"Die beiden wirkten auf uns stets wie das Traumpaar", sagt Trudel Ulmens Bruder Thomas Lenerz. "Nach 20 Jahren Ehe gaben sich die Trudel und ihr Mann auch bei unserem letzten gemeinsamen Weihnachtsfest 1995 in Mayen wie frisch verliebt." Wer allerdings in Rheinbach nur ein wenig hinter der Fassade der nach außen demonstrativ zur Schau gestellten Traumehe gräbt, blickt bald in einen Abgrund.

Szenen einer Ehe. Reine Privatsache. Könnte man meinen. Aber wenn ein Mensch spurlos verschwindet, ist das sehr wohl von öffentlichem Interesse; zwangsläufig sind es auch die Lebensumstände, die Aufschluss darüber geben könnten, was mit diesem Menschen geschehen ist. Deshalb ermittelt die Bonner Kripo derzeit so intensiv im privaten Umfeld der Verschollenen. "Wir hoffen nur, dass die Polizei diesmal dranbleibt", sagt Ursula May.

Der Gymnastikgruppe teilte der Ehemann damals mit, bei dem Liebhaber, mit dem seine Frau ins Ausland verschwunden sei, handele es sich um einen reichen portugiesischen Geschäftsmann, der zuvor im Rheinland gelebt und gearbeitet habe. Trotz intensivster Ermittlungen hat die Bonner Kripo aber bislang keinen einzigen Anhaltspunkt für dessen Existenz finden können.

Gegenüber der Familie in Mayen korrigierte sich der Ehemann Monate später, Trudel Ulmen sei am 21. März 1996 entgegen seiner ersten Aussage doch nicht nur mit ihrer Handtasche, sondern mit einem "großen Hartschalenkoffer" samt Schmuck, Kleidung und Pelzmänteln weggefahren. Das kann Uta Ulmen, die zweite, ebenfalls geschiedene Ehefrau, so nicht bestätigen: "Im Haus fehlte nichts. Der Kleiderschrank war proppenvoll. Das habe ich mit eigenen Augen gesehen."

Die Polizei bittet die Bevölkerung um Mithilfe: Wer hat Trudel Ulmen am 21. März 1996 oder danach gesehen oder weiß etwas über einen späteren Aufenthaltsort? Hinweise nehmen die Ermittler unter der Rufnummer 02 28/150 entgegen.

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