Zu Gast auf dem Sofa Leonie Müller tauscht "Wohnung gegen Bahncard"

Rheinbach · Als „Gast auf dem Sofa“ liest Leonie Müller aus ihrem Buch „Tausche Wohnung gegen Bahncard“. 18 Monate ist die Studentin mit dem Zug quer durch Deutschland gereist – ohne gültigen Mietvertrag, aber im Besitz einer Bahncard 100.

 Leonie Müller, Autorin des Buches „Tausche Wohnung gegen Bahncard“.

Leonie Müller, Autorin des Buches „Tausche Wohnung gegen Bahncard“.

Foto: Axel Vogel

Dass sie mit dem Zug zu ihrer Lesung nach Rheinbach gekommen ist, versteht sich von selbst. Für ihr Gastspiel in der Lesereihe „Zu Gast auf dem Sofa“, die von der Bibliothek der Hochschule und der Buchhandlung Kayser angeboten wird, machte Leonie Müller in der Hochschul- und Kreisbibliothek Bonn-Rhein-Sieg, Campus Rheinbach, Station.

Dort las sie aus ihrem vor drei Wochen erschienenen Buch „Tausche Wohnung gegen Bahncard – Vom Versuch, nirgendwo zu wohnen und überall zu leben“. Im lockeren Gespräch mit der stellvertretenden Bibliotheksleiterin Susanne Kundmüller berichtete die Studentin lebendig von ihrem Versuch, das „Abenteuer des Reisens mit dem vernünftigen Leben eines jungen Menschen zu verbinden“.

Als „Rabatt auf den Ernst des Lebens“ sieht Leonie Müller ihren Selbstversuch, bei dem sie im Jahr 2015/16 für 18 Monate mit dem Zug quer durch Deutschland gereist ist – ohne gültigen Mietvertrag, aber im Besitz einer Bahncard 100.

Ihre Wohnung in Stuttgart hatte die reiselustige Bielefelderin, die in Tübingen Medienwissenschaften und Soziologie studierte, nach Unstimmigkeiten mit ihrer schwäbischen Vermieterin gekündigt. Auf der Suche nach einem Ort, wo sie gerne leben würde, kamen Überlegungen auf, warum „Reisen“ und „Alltag“ immer zu trennen seien. Sie beschloss, das Verkehrsmittel als Wohn- und Arbeitszimmer zu nutzen und bei Freunden und Verwandten zu nächtigen.

Studienstop in Tübingen

Innerhalb von drei Wochen waren die Vorbereitungen für ihr Abenteuer abgeschlossen. Möbel und Habseligkeiten wurden bei der Familie untergestellt und sie stieg in den Zug. Im 40-Liter-Rucksack lediglich eine Bahncard 100, ein Mitgliedsausweis für eine Fitness-Studio-Kette, deren Filialen sie bundesweit nutzen konnte, ein Car-Sharing-Vertrag und insgesamt rund 100 private Gegenstände.

„Die Route hat sich meist von selbst ergeben, ich musste ja immer Studienstops in Tübingen einlegen und habe dann geschaut, wo ich hin möchte“, erläutert die moderne Nomadin. Der Besuch einer Kunstausstellung oder die Besichtigung unspektakulärer Orte der Republik wurden plötzlich „einfach nur so“ möglich.

„Der Horizont erweitert sich“, erklärt die 25-Jährige, die im Zug am liebsten zwischen den Türen auf dem Boden sitzt, „denn ich musste nicht mehr überlegen, ob die Kosten sich lohnen und konnte parallel für mein Studium arbeiten“. Ihr Buch liest sich nicht wie ein klassischer Reisebericht. Tagebuchartig geschrieben werden die bereisten Ecken Deutschlands zwar vorgestellt, im Fokus stehen aber viele persönliche Gedanken zu allen möglichen gesellschaftlichen Themen der Zeit.

Minimalismustrip

Auf ihrem Minimalismustrip macht Müller sich viele Gedanken über die eigenen Grenzen. Aus der Motivation heraus, Muster aufzubrechen, hinterfragt sie den Wunsch von Sesshaftigkeit oder Mobilität ihrer Generation. In fiktiven Dialogen mit einer Bank oder der Bahnhofsuhr am Dortmunder Hauptbahnhof versucht sie Antworten zu finden.

Mit anderen Reisenden diskutiert sie über Freiheit und Abhängigkeit des Individuums von der Gesellschaft: „Anonym im Zug unter vielen Fremden unterwegs zu sein und keine Rolle erfüllen zu müssen, das ist mein Gefühl von Freiheit“, so Müller. Bahnreisende Leser finden sich aber vor allem in Müllers Beschreibungen von Alltagsszenen, die sich in Zügen oder an Bahnhöfen abspielen, wieder.

Mit scharfer Beobachtungsgabe und in lockerer Sprache beschreibt sie Dialoge unter Fahrgästen und die charakteristische Atmosphäre beim Warten auf die Bahn inmitten von Gleisen, Werbetafeln und dem typischen Geräusch einer piepsenden und dann laut ins Schloss fallenden Zugtür.

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