"Ein Pferd kann nicht plötzlich Muh machen" Meeresbiologe Karsten Brensing liest in Rheinbach

Rheinbach · Der Meeresbiologe und Verhaltensforscher Karsten Brensing über Kultur bei Tieren und seine Lesung in Rheinbach. Delfine ändern ihr Verhalten und lernen dazu.

 Eine gewisse Plumpheit wird den gemächlich schwimmenden Mantrarochen nachgesagt. Tatsächlich haben sie das größte Hirn aller Fische.

Eine gewisse Plumpheit wird den gemächlich schwimmenden Mantrarochen nachgesagt. Tatsächlich haben sie das größte Hirn aller Fische.

Foto: picture alliance / Tânia Rêgo/Ag

Sie berichten uns von Delfinen, die in freier Wildbahn plötzlich auf der Rückenflosse durchs Wasser tanzen – wie in einer Delfinshow, nur ohne Publikum und Applaus. Wie haben die Tiere das gelernt?

Karsten Brensing: Das ist eine spannende Geschichte, weil es auf etwa aufmerksam macht, was wir vor kurzem Tieren gar nicht zugetraut haben: Das ist nämlich tatsächlich eine Kultur. Der Kulturbegriff hat sich im Laufe der Zeit ständig geändert. In Lexika steht meist: Kultur ist das, was Menschen tun, und Natur ist das andere. Das stimmt eben so nicht.

Demnach verfügen auch Tiere über Kultur?

Brensing: Kultur ist Verhalten, was nicht durch äußere Einflüsse oder durch selbstständiges Lernen zustande kommt. Heißt: Jedes Verhalten, dass ich in meiner Kultur gelernt habe, habe ich von Freunden oder Eltern und gebe es an meine Nachfahren weiter. Alles, was durch sozialen Austausch, durch Lernen und Imitieren entsteht, ist Kultur. Ein Delfin wurde in einem Fischernetz gefangen und verletzt in ein Delfinarium gebracht, um sich dort zu erholen. Ein paar Wochen päppelte man ihn auf, er musste aber keine Shows machen. Zurück in Freiheit hat dieser Delfin angefangen, auf seiner Rückenflosse zu tanzen. Das gab es vorher nirgendwo auf der Welt. Es gibt kein Tier im Freiland, dass das machen würde ...

... wenn am Beckenrand nicht ein Mensch steht und einen frischen Fisch kredenzt.

Brensing: Ganz genau. Der eine Delfin hat es sich abgeguckt und nachgemacht. Und nach einiger Zeit hat die ganze Delfinpopulation vor Adelaide damit begonnen, dieses Verhalten nachzumachen. Die haben das als ihr Kulturgut aufgenommen. Die anderen Delfine fanden es so attraktiv, dass sie es imitiert haben. Man kann somit ganz klar beweisen, dass es die Tiere voneinander gelernt haben.

Gesänge von Buckelwalen hatte wohl jeder schon mal im Ohr. Sie berichten, dass diese Riesen ein Drittel ihres Repertoires jedes Jahr mit neuen Liedern bestücken. Als Rheinländer können wir das gut verstehen, aber warum tun sie das?

Brensing: Sie tun es, weil sie auf die Art attraktiv werden. Beziehungsweise, sie zeigen einen besonderen Status der Fitness. Man weiß nicht genau, warum Buckelwale singen. Es singen nur die Männchen, wahrscheinlich, um Weibchen zu beeindrucken. Oder sie wollen darstellen: Ich bin ziemlich fit, und du hörst es daran, dass ich neue Elemente in meinem Lied habe, mach dich lieber aus dem Staub, du Rivale. Darum funktioniert die Aufnahme neuer Liedelemente letztlich wie unsere Mode. Wir wollen cool und up-to-date sein und damit unsere Fitness zeigen. Wenn es für Tiere darum geht, sich zu vermehren, ist der Druck nach besonderen Leistungen extrem hoch.

Apropos fit: Das Hamsterrad gilt bei Menschen als Sinnbild für Sinnlosigkeit – Bewegung, ohne vorwärts zu kommen. Sie berichten von Tieren, die ein im Wald aufgestelltes Rad freiwillig nutzen – darunter Frösche und Schnecken. Warum?

Brensing: So richtig beantworten, kann man das nicht. Das Spannende an der Untersuchung war, abgesehen von der Frage, warum man auf die Idee kommt, ein Hamsterrad in den Wald zu stellen, dass man feststellen konnte, dass Nagetiere draußen genauso oft das Hamsterrad nutzen wie Tiere in Gefangenschaft. Bei Säugetieren und Vögeln hat man einen Mechanismus entdeckt, der für solch ein Verhalten eine Erklärung bietet: das Belohnungssystem – eine kluge Erfindung der Natur. Es belohnt uns für ein Verhalten, das relativ langweilig ist oder welches wir oft wiederholen müssen, um erfolgreich zu sein. Das Hamsterrad vermittelt den Tieren ein Gefühl des Fortkommens. Es würde mich nicht wundern, wenn es ein Belohnungssystem auch bei anderen Tieren gibt. Da stehen wir in der Forschung aber noch ganz am Anfang.

Tiere nutzen Sprache. Menschenaffen, so schreiben Sie, sind anatomisch gar nicht in der Lage zu sprechen. Macht Sprache ein Stück des Erfolges der Spezies Mensch aus?

Brensing: Jein. Man kann ja auch mit Körpersprache sprechen – Menschen, die taub sind, machen das hervorragend. Es gibt die Gebärdensprache, die genauso funktioniert, wie unsere Lautsprache. Zur Lautsprache sind Menschenaffen in der Tat nicht fähig, weil ihr Kehlkopf in einer falschen Position sitzt. Das heißt aber nicht, dass Menschenaffen keine Sprache haben: Es gibt eine Untersuchung mit einer Sprache, die auf Symbolen beruht. Eine US- Forscherin hat sich mit Bonobos verständigt – mit Hilfe von 400 Symboltafeln. Die konnten so mit einfachen Dreiwortsätzen miteinander kommunizieren.

Und bei der gesprochenen Sprache?

Brensing: Bei der Lautsprache geht es um die Schlüsselqualifikation, vokales Lernen zu betreiben. Man muss sich den Laut merken und wiedergeben können. Einem Hund kann man nicht beibringen, Miau zu machen. Ein Pferd kann nicht plötzlich Muh machen. Es gibt nur eine kleine Anzahl von Tieren, die in der Lage sind, vokales Lernen zu betreiben. Das ist aber die Voraussetzung, wenn wir von einer akustischen Sprache sprechen.

Was können wir durch Verhaltensweisen der Tiere lernen, um unser Zusammenleben zu verbessern?

Brensing: Das Erste, was mir da einfällt, ist, dass wir Menschen ein großes gesellschaftliches Problem haben: Aggressivität. Das ist vielleicht das größte Problem, das wir überhaupt haben. Es lässt uns Kriege führen, und es steht unserer normalen friedlichen Entwicklung entgegen. Es gibt ein Element, dass der Aggression entgegensteht: Mitgefühl. Wenn wir Mitgefühl haben, können wir jemand gar nicht quälen. Am liebsten möchte die Pharmaforschung dafür eine Pille haben. Spannend ist: Die Mitgefühlforschung wird an Ratten betrieben. Ratten können Mitgefühl haben, was eine sehr komplexe kognitive Leistung ist. Wenn Sie fragen, was können wir von Tieren lernen, sage ich: Wir können Mitgefühl von Ratten lernen. Dann sind die meisten Menschen recht entsetzt. Aber so ist es tatsächlich.

Schockiert war ich von einem Foto in Ihrem Buch, das ein Spatzennest zeigt, welches gespickt ist mit Zigarettenkippen. Es mutet befremdlich an, ist es aber nicht...

Brensing: Es ist spannend und abgefahren. Sie können es in meinem Buch im Kapitel „Windpockenpartys & andere Formen der Medizin“ nachlesen. Es gibt keinen Zweifel, dass es bei Tieren so etwas wie Selbsttherapie gibt. Oder es existiert sogar so etwas wie Quarantäne im Tierreich. Dieses Spatzennest ist vermutlich ein Weg, Parasiten abzuwehren. Nikotin ist relativ giftig, und die Spatzen nehmen eine relativ geringe Vergiftung in Kauf, weil sie gelernt haben, dass auf diese Weise, ihr Nest von Parasiten freigehalten wird.

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