Interview zur Lesung in Rheinbach „Mit Liebe beschäftigt man sich nie genug“

RHEINBACH · Journalist Friedemann Karig ist am 13. März in Rheinbach „Zu Gast auf dem Sofa“. Der Autor des Buchs "Wie wir lieben - vom Ende der Monogamie" über Illusionen im Beziehungsleben und die Renaissance der Ehe.

Wenn ich meinen Ehering abnehme und auf die Gravur blicke, sehe ich, dass in diesem Jahr der zehnte Hochzeitstag ansteht.

Friedemann Karig: Herzlichen Glückwunsch.

Dankeschön. Im August jährt sich das Ereignis. An den Schwur der monogamen Lebensweise mit dem eingravierten Lebenspartner haben wir uns gehalten – soweit uns bekannt. Warum sollte ich dennoch oder vielleicht gerade deswegen Ihr Buch lesen?

Karig: Ich glaube: Mit der Liebe beschäftigt man sich nie genug. Und es ist kein Buch gegen die Monogamie – auch wenn der Untertitel das andeutet. Ich erzähle von Paaren, die am Ende der Monogamie stehen, die über die Grenze gegangen sind. Das ist aber keine Einbahnstraße. Ich habe sieben Liebesgeschichten aufgeschrieben, die alle eine Gemeinsamkeit haben: Sex wird in diesen Beziehungen nicht exklusiv gedacht. Die andere Hälfte des Buches ist mehr ein klassisches Sachbuch. Ich habe bei der Recherche gemerkt: Es gibt eine große Diskrepanz zwischen Wissen, tradierten Normen, Vorurteilen und Wünschen sowie der bewussten Beschäftigung, wie wir leben. Ich wusste vieles vorher nicht, was daran liegen mag, dass man im Aufklärungsunterricht Kondome über Bananen zieht, über Liebe aber wenig erfährt.

Wie haben Sie die Menschen gefunden, die Ihnen bei Gin und Zigaretten aus ihrem Liebesleben berichtet haben?

Karig: Das ist denkbar einfach. Die erste Geschichte ist im SZ-Magazin erschienen – das waren Freunde von mir, Paul und Jelena. Die sind an mich herangetreten und haben gesagt: Schreib es doch mal auf, vielleicht lernt jemand daraus. Und diese Geschichte hat unheimliche Resonanz gehabt. Dass eine schonungslose Liebesgeschichte mit Auf und Ab, Kindern, Tränen, Fremdgehen und nicht Fremdgehen – das die interessiert, war klar, aber wie sehr, war nicht so klar. Dann haben wir uns entschlossen, daraus ein Buch zu machen. Ich habe die Geschichte auf Facebook gestellt und einen Aufruf gestartet, dass die sich melden, die auch eine Geschichte zu erzählen haben. Innerhalb von ein bis zwei Wochen haben sich Dutzende gemeldet. Ich wollte normale Paare und auch das Reihenhaus, die deutsche Bürgerlichkeit drin haben.

Im Prolog Ihres Buches charakterisieren Sie die Monogamie als „Desaster“. Und Sie können dies gut begründen, da jede dritte Ehe in Deutschland geschieden wird – Tendenz steigend. Ist die Ehe ein Auslaufmodell?

Karig: Die Ehe erlebt eine Renaissance – nicht nur in meiner Generation. Das öffentliche Bekenntnis zu einer Liebe, die in eine Lebensgemeinschaft übergeht, das kann nicht out werden. Ich habe viele Freunde, die seit ewigen Zeiten zusammen sind wie alte Ehepaare mit Hund, Kindern, Eigentumswohnung, aber nicht heiraten. Da denke ich mir: Gönnt euch doch die Party. Was kann man Besseres machen, als die Liebe zu feiern. Was sich ändert, ist: Wie fülle ich die Ehe aus? Viele leben eine andere Ehe als ihre Eltern. Die Ehe ist innovationsfähig. Ich möchte auch mal heiraten, den Spaß lasse ich mir nicht entgehen.

In dem Zusammenhang zitieren Sie Gottfried Benn mit den Worten: „Die Ehe ist eine Institution zur Lähmung des Geschlechtstriebes.“ Sie haben mit vielen Paaren gesprochen: Wie schafft es die Ehe, wieder sexy zu werden?

Karig: Wenn man den Druck rausnimmt, indem man sagt: Nicht, weil wir schon so lange zusammen sind, muss alles super sein. Die „Arbeit an der Beziehung“ ist ja schon ein Standardterminus geworden. Man gibt sich unheimlich Mühe. Auf der sexuellen Ebene haften wir noch zu vielen Illusionen an. Da wird hantiert mit: Wir peppen unser Sexleben auf – mit Spielzeug und Dessous. Das ist ja schon ein bisschen 80er.

Sie sagen, es kann für eine Beziehung bereichernd sein, wenn die Grenze der exklusiven Sexualität geöffnet wird.

Karig: Eine meiner Kernthesen im Buch ist, dass es völlig natürlich und biologisch erklärbar ist, dass das Sexleben in der Beziehung nach einiger Zeit nachlässt. Die sexuelle Attraktivität hat nun mal eine gewisse Halbwertszeit, da kann keiner etwas dafür. Die Paare müssten sich mal überlegen, ob die vom Himmel gefallene, sakrosankte Grenze der exklusiven Sexualität wirklich so entscheidend ist. Also: Was wäre so schlimm daran, wenn wir diese Grenze mal verschieben? Im gemeinsamen Dialog schwächt man die Beziehung nicht, sondern stärkt sie eher. Ein Seitensprung, hinter dem Rücken des Partners, ist maximal unfair und etwas, was ich total ablehne.

Es gibt eine regelrechte Industrie, was das Kennenlernen angeht. Machen das Tempo unserer Zeit und das Internet etwa es schwieriger, Menschen zu finden, die man langanhaltend liebenswert findet?

Karig: Nein – eher im Gegenteil. Es macht es einfacher zu finden, aber schwieriger zu behalten. Die Länge der Beziehungen und Ehen entwickeln sich nicht besonders gut – aber das hat nichts mit dem Internet zu tun. Trotz Internetpornos wächst keine übersexualisierte Generation heran. Wir sind immer noch an tiefen, vertrauensvollen, langfristigen Beziehungen interessiert. Ob es das Internet gibt, ist, wenn ich wirklich verknallt bin, doch wurscht. Aber der Druck, bei der Auswahl die perfekte Wahl zu treffen, ist immens. Früher hatte ich die drei Söhne vom Bauernhof zur Auswahl. Heute muss ich nur mein Handy anmachen und habe drei Millionen Alternativen. Die Postmoderne sagt mir: Deine einzige Aufgabe im Leben ist, ein liebenswertes Selbst zu sein und deinen Seelenpartner zu finden. Wir haben sonst nicht mehr viele existenzielle Probleme – wir hungern nicht, leben nicht im Krieg, sondern in Wohlstand und Freiheit.

„An unbewältigter Sexualität leiden und erkranken heute mehr Menschen als an Umweltgiften.“ So steht es in Ihrem Buch, wenn Sie den Psychologen Dieter Duhm zitieren. Welchen Ausweg aus diesem Leiden sehen Sie?

Karig: Ja, die gibt es auf jeden Fall. Da bin ich chronischer Optimist. An erster Stelle ist da die ehrliche Auseinandersetzung zu nennen. Wir wissen ganz viele Themen nicht, weil sie tabu sind – zum Beispiel Polyamorie. Viele Leute fühlen sich ungeheuer provoziert von jeder Alternative. In vielen Punkten erinnert mich dieser Diskurs an die Auseinandersetzung mit Homosexualität. Eine vorauseilende Aggression gegen etwas, was man nicht versteht. Viele Menschen sind noch sehr intolerant. Ich wünsche mir eine fröhliche, intellektuelle Auseinandersetzung, nicht, dass alle direkt in Swingerclubs laufen.

In den vergangenen Jahren kamen viele Bücher wie „Fifty Shades of Grey“ oder „Feuchtgebiete“ auf den Markt, die sehr erfolgreich waren, weil die Leser sagten, dass sie beim Lesen ein gewisses Kribbeln erzeugten. Erhoffen Sie sich solch einen Kribbeleffekt auch von Ihrem Buch?

Karig: Ja. Ich würde lügen, wenn ich das verneine. Ich habe nicht umsonst diese Doppelstruktur gewählt – aus Geschichten, die man gut nachempfinden kann, und theoretischem Wissen, um mit Illusionen aufzuräumen. Die klassischen Modelle der Monogamie funktionieren für viele Menschen sehr gut – da wird es keine Revolution geben. Aber ich bin schon gespannt. Der historische Kontext ist sehr günstig, die neuen Modelle als Alternative, nicht als Abschaffung des Alten, zu sehen.

Friedemann Karigist am Montag, 13. März, 19.30 Uhr „Zu Gast auf dem Sofa“ in der Hochschul- und Kreisbibliothek, Von-Liebig-Straße 20 in Rheinbach. Karten für zehn, ermäßigt sechs Euro gibt es in der Rheinbacher Buchhandlung Kayser, Hauptstraße 28, sowie den Hochschul- und Kreisbibliotheken in Rheinbach, Von-Liebig-Straße 20, und Sankt Augustin, Grantham-Allee 20. „Wie wir lieben – vom Ende der Monogamie“ ist im Blumenbar-Verlag erschienen und kostet 20 Euro.

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