Interview mit Rheinbachs Bürgermeister Raetz hält Grafschafter Outlet-Center für unzulässig

RHEINBACH · Rheinbachs Bürgermeister Stefan Raetz hat sich im Interview mit dem General-Anzeiger über Konkurrenz aus Rheinland-Pfalz und ein gemeinsames Gewerbegebiet mit Bonn geäußert.

Die deutsche Wirtschaft läuft gut. Spürt Rheinbach das?

Stefan Raetz: Ja. Rheinbach profitiert dank selbst geschaffener guter Rahmenbedingungen von der Wirtschaftsdynamik.

Was sind das für Rahmenbedingungen?

Raetz: Man muss schnell sein. Wenn eine Firma Interesse an einer Ansiedlung zeigt, treffen wir uns innerhalb einer Woche. Eine Woche später fällt die Entscheidung. Sonst sind die weg. Wir punkten aber auch mit unserer guten Infrastruktur, was die Verkehrswege angeht. Über Straße und Schiene sind wir sehr gut erreichbar. Der Unternehmer schaut aber auch nach weichen Faktoren wie Schulen, Hochschule, Universität, Gründer- und Technologiezentrum, Kindergärten, Einkaufen, Freizeitmöglichkeiten. Er selbst, seine Familie und seine Mitarbeiter sollen sich ja am neuen Standort wohlfühlen.

Haben Sie die Haribo-Absage vor drei Jahren verdaut?

Raetz: Wenn ich es heute sehe, bin ich sogar erleichtert. Haribo in der Dimension hätte nicht zu uns gepasst. Die „Haribo“-Fläche kann nun wesentlich verträglicher mit vielen kleinen und mittelgroßen Firmen vermarktet werden. Haribo wollte den Grundstückspreis und die Gewerbesteuer drücken. Das geht in NRW so nicht.

Wie viele Firmen sind in der Stadt ansässig, wie viele Arbeitsplätze bietet Rheinbach?

Raetz: Es gibt etwa 2500 Gewerbeanmeldungen. Davon sind etwa 350 klassische Gewerbefirmen in den Gewerbegebieten. In Rheinbach sind 12.000 Menschen beschäftigt, davon 5500 in den Gewerbegebieten.

Sind Sie mit dem Branchenmix zufrieden? Welche Branchen fehlen?

Raetz: Der Branchenmix ist ausgewogen. Der Einzelhandel verträgt noch ein breiteres Sortiment.

Welche Branchen fehlen?

Raetz: Wir könnten noch einen Babyfachmarkt und ein Haushaltswarengeschäft gebrauchen.

Gehen Sie aktiv auf die Firmen zu?

Raetz: Auch. Beispielsweise jetzt bei der Expo Real in München.

Nach welchen Kriterien gehen Sie vor?

Raetz: Wir müssen die Innenstadt erhalten. Rossmann haben wir nur bekommen, weil wir dem Unternehmen zugesagt haben, keinen weiteren Drogeriemarkt am Stadtrand zuzulassen.

Bis 2030 sollen drei neue Gewerbegebiete entstehen. Wie ist der Planungsstand?

Raetz: Nord 1 und Nord 2 sind voll. Im Wolbersacker hat sich bereits das große DHL-Zentrum angesiedelt. Das Gebiet Hochschulviertel 1 ist voll, demnächst ist das Hochschulviertel 2 für Hochschulaffine Unternehmen dran. Angedacht ist in etwa fünf Jahren das Gebiet Nord 0, westlich der Landstraße Richtung Peppenhoven. Wir werden nach und nach entsprechend dem Bedarf reagieren.

Wie haben sich die Einnahmen aus der Gewerbesteuer seit dem Jahr 2000 entwickelt?

Raetz: Überaus positiv. Von 6,4 Millionen Euro auf heute 19,9 Millionen. Allerdings führt die Stadt etwa 40 Prozent auch wieder an das Land und den Kreis ab.

Was sind die Gründe für diese Entwicklung?

Raetz: Eine vorausschauende Wirtschaftspolitik mit einer effektiv arbeitenden Wirtschaftsförderungs- und Entwicklungsgesellschaft. Und ein langer Atem. Erfolge kommen nicht sofort. Wir haben nach dem Bonn-Berlin-Beschluss seit den 90er Jahren verstärkt auf die Schaffung eigener Arbeitsplätze gesetzt. Wenn ein Gewerbegebiet voll ist, muss das nächste so durchgeplant sein, dass es sofort Betriebe aufnehmen kann. Von der ersten Idee bis zu dem Tag, an dem der erste Bagger kommt, können schon mal drei Jahre vergehen.

Wie gefährlich ist gerade für grenznahe Städte wie Rheinbach und Meckenheim die Konkurrenz aus Rheinland-Pfalz, wo von den Betrieben weniger Gewerbesteuer verlangt wird?

Raetz: Das ist eine unschöne Entwicklung. Das Land Rheinland-Pfalz subventioniert seine nördliche Region, um aus NRW Firmen mit günstigen Konditionen abzuwerben. Zum Glück zählt aber nicht nur dies bei der Ansiedlung. Grafschaft hat aus dem Bonn-Berlin-Ausgleichstopf 1,5 Millionen Euro Fördergeld vom Bund für seinen Innovationspark kassiert. Damit hat die Gemeinde Haribo aus Bonn abgeworben.

Mit dem Bestreben der Gemeinde Grafschaft, ein Factory-Outlet-Center anzusiedeln, schwelt ein weiterer Nachbarschaftskonflikt. Sie befürchten, dass dadurch Kaufkraft aus Rheinbach und Meckenheim abwandert. Wie wahrscheinlich ist es, dass die Grafschaft tatsächlich eine Ausnahmegenehmigung von der Landesregierung erhält?

Raetz: Ich kann nur hoffen, dass Rheinland-Pfalz hier standhaft bleibt und kein Zielabweichungsverfahren einleitet. Ein FOC in der Pampa ist landesplanerisch unzulässig. Zu suggerieren, die Bürger könnten die FOC-Ansiedlung per Bürgerentscheid beschließen, ist unlauter. Natürlich würde ein FOC eine Autobahnabfahrt weiter zu Kaufkraftabflüssen in Rheinbach, Meckenheim, Bonn und Bad Neuenahr führen. Auch der Autoverkehr in der Grafschaft würde nochmals zunehmen. Klar ist, dass ich mit der Region gegen ein Zielabweichungsverfahren oder gar ein FOC rechtlich vorgehen würde.

Warum sollte sich ein Betrieb in Rheinbach niederlassen, wenn er ein paar Kilometer weiter in der Gemeinde Grafschaft weniger Steuern zahlen muss?

Raetz: Bei uns findet ein Betrieb eine gut ausgebaute Infrastruktur und qualifiziert ausgebildete Fachkräfte. Wir sind eine gewachsene Stadt und kein Kunstgebilde.

Denken Sie an eine Senkung der Hebesätze?

Raetz: Nein. Jede Firma, die Gewinne macht, zahlt auch dann gerne Gewerbesteuer, da damit der Wirtschaftsstandort durch weitere öffentliche Investitionen attraktiv bleibt.

Handwerksbetriebe suchen oft händeringend nach qualifiziertem Personal. Besteht dieses Problem auch in Rheinbach?

Raetz: Noch haben wir das qualifizierte Personal. Aber der Kampf um die Besten geht auch in der Region schon los. Rheinbach punktet mit den interessanten Firmen, der Hochschule, dem Gründer- und Technologiezentrum, den Schulen und der hohen Lebensqualität. Wir veranstalten jährlich die erfolgreichste Ausbildungsmesse in der Region.

Sind größere Zugänge in den Gewerbegebieten absehbar?

Raetz: Ja. Ich verhandle derzeit mit mehreren interessanten Firmen.

Mit welchen?

Raetz: Das kann ich natürlich noch nicht sagen. Nur so viel: Es sind sowohl produzierende Unternehmen als auch Dienstleister.

Sind Bonn und die Nachbarkommunen im Werben um Betrieben mehr Konkurrenten oder mehr Partner?

Raetz: Beides. Natürlich konkurrieren wir. Aber wir arbeiten auch zusammen. Wenn eine Kommune den Platz nicht mehr hat, dann vermittelt man den Interessenten in die Nachbarstadt. Unser Ziel muss es sein, die Arbeitsplätze in der Region zu halten. Da klappt die Zusammenarbeit mit Meckenheim sehr gut.

Wie weit ist das angedachte interkommunale Gewerbegebiet mit Bonn?

Raetz: Oberbürgermeister Ashok Sridharan und ich haben eine Absichtserklärung unterzeichnet. Wir wollen zusammenarbeiten. Bonn hat die Flächen nicht mehr, aber Firmen, die erweitern wollen. Warum nicht in Rheinbach? Natürlich bei fairer Lasten- und Gewinnteilung.

Wie soll diese aussehen?

Raetz: Bonn muss sich an den Kosten der Erschließung beteiligen. Die Gewerbesteuer sollten wir uns im Verhältnis 70:30 zugunsten von Rheinbach teilen. Denn an uns bleiben ja auch die Folgekosten hängen.

Wo könnte dieses gemeinsame Gewerbegebiet entstehen?

Raetz: Auf der südlichen Verlängerung des Wolbersackers.

Denken Sie bei der Planung von Gewerbegebieten schon jetzt an künftige Technologien?

Raetz: Wir denken an nachhaltige Ansiedlungen: an hochmoderne Gebäude, innovative Firmen, einer Verbindung zum bio innovation park und an eine Gigabyte-Anbindung, um gerade auf das vorbereitet zu sein was heute noch Zukunft ist.

Der technische Fortschritt führt zu immer größerer Automatisierung in der Produktion. Immer größerer Flächenverbrauch für immer weniger Arbeitsplätze. Wie begegnen Sie dieser Entwicklung?

Raetz: Ja, es wird auf einer Fläche heute mit weniger Beschäftigten gearbeitet. Aber die Produktivität ist enorm gestiegen. Wir achten darauf, dass in Rheinbach jeder einen Arbeitsplatz finden kann. Der absolute Spezialist genauso wie der fleißige Malocher.

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