Hochschule Bonn-Rhein-Sieg Rheinbacher Professorin forscht zu Bio-Siegeln und Biergärten

Rheinbach · Wer gähnt, steckt damit andere an: Wegen Spiegelneuronen im Gehirn imitieren wir unsere Mitmenschen. Eine Professorin aus Rheinbach hat nachgewiesen: Das gilt sogar für nachhaltiges Einkaufen. Neben Bio-Siegeln spielen auch Biergärten eine Rolle in ihrer Forschung.

 In ihrem Experiment hat Professorin Cristina Massen untersucht, wie Bio-Siegel auf den Verbraucher wirken.

In ihrem Experiment hat Professorin Cristina Massen untersucht, wie Bio-Siegel auf den Verbraucher wirken.

Foto: Axel Vogel

Das Phänomen hat bestimmt jeder schon einmal beobachtet: Jemand gähnt, und plötzlich müssen alle, die es gesehen haben, auch gähnen. Das liegt an sogenannten Spiegelneuronen im Gehirn. Sie erkennen Handlungen und Gefühle anderer und „spiegeln“ sie im eigenen Gehirn, ganz automatisch. Und diese Nachahmungstendenz geht weit über einfache Bewegungen hinaus: Die Rheinbacher Wirtschaftspsychologin Cristina Massen hat in Experimenten gezeigt, dass wir sogar nachhaltiges Einkaufen nachahmen, wenn wir Vorbilder haben.

„Wir imitieren ganz automatisch Bewegungen und Handlungen anderer Menschen. Wenn wir zum Beispiel jemanden sehen, der uns sympathisch ist und der sich die Haare zurückstreicht, machen wir das nach. Manchmal ganz unbewusst. Umgekehrt mögen wir Leute mehr, die uns imitieren“, erklärt sie.

In ihrer Forschung hat sie sich lange damit beschäftigt, ob Menschen auch etwas abstraktere Regeln lernen können. „Wenn jemand nach einer Erdbeere greift, greifen wir auch nach einer Erdbeere. Aber greife ich vielleicht auch nach einem anderen Stück Obst?“ Dieses Thema hat sie unter anderem an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (HBRS) mit Bezug auf nachhaltiges Einkaufen untersucht. „Es ging um die Frage: Wenn ich jemanden beobachte, der immer nach Produkten mit einem Bio-Siegel greift, lerne ich dann automatisch eine Tendenz, das nachzumachen und bei meinen eigenen Einkäufen auf Nachhaltigkeit zu achten?“

Experiment misst Reaktionszeit der Probanden

Ob sich diese „Bio-Regel“ durch Beobachtung auf andere Menschen überträgt, untersuchte das Team um Massen anhand von Bio-Gemüse und -Obst. Dazu zeigten die Wissenschaftler Probanden Videos von einer Person, die nach der Bio-Regel etwa eine Orange auswählt. Im Anschluss überprüften sie, ob die Probanden schneller sind, wenn sie selbst sich nach der Bio-Regel für etwas entscheiden müssen – ein sogenanntes Reaktionszeit-Experiment. „Wenn sie schneller sind, heißt das, dass sie die Regel gelernt haben. Und das konnten wir tatsächlich nachweisen. Durch die Beobachtung anderer Menschen werden solche nachhaltigen Konsumregeln aktiviert, und wir können sie eher anwenden“, fasst die Wissenschaftlerin zusammen.

An diesem Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft hatte Massen bereits seit 2010 gearbeitet; 2014 nahm sie es mit zur HBRS, als sie dort eine Professorinnen-Stelle antrat. Die Ergebnisse lassen sich auf viele Bereiche übertragen. „Eine interessante Anwendungsmöglichkeit ist die Umweltpsychologie, die ich im Moment im Masterstudiengang Wirtschaftspsychologie unterrichte“, sagt die Professorin. Ein Teilgebiet der Umweltpsychologie beschäftige sich mit der Frage, wie man Menschen vermittelt, sich umweltförderlich zu verhalten. „Ein Punkt ist Wissen: Menschen müssen über Umweltprobleme Bescheid wissen, um sich umweltfreundlich zu verhalten.“

Noch effektiver als die reine Wissensvermittlung sei aber das sogenannte Modelling: ein menschliches Modell, das umweltbewusstes Verhalten vormacht. „Wenn Menschen so etwas sehen, tendieren sie dazu, es nachzumachen, weil es etwas über Normen aussagt. Man denkt: Das scheint hier angesagt zu sein, also mache ich das besser auch.“ Ein konkretes Beispiel: Am Transportband in der Cafeteria könne ein Video von jemandem, der seinen Müll sortiert, besser wirken als ein Schild, das sagt: „Bitte Müll trennen“.

In der Werbung werde das Prinzip angewandt, um Kunden etwa dazu zu bringen, ein bestimmtes teures Produkt zu kaufen, weiß die Wirtschaftspsychologin. Besonders gut funktioniere das, wenn die Modelle berühmte oder attraktive Menschen seien.

Massens Studenten erforschten Biergärten

Auch Massens Studenten erforschen für ihre Abschlussarbeiten oft Aspekte der Umweltpsychologie. Dabei geht es nicht immer um Nachhaltigkeit, sondern auch um Umwelt im Sinne von Umgebung. „Wie müssen Umwelten gestaltet sein, damit wir uns gut erholen und entspannen können?“, ist eine Frage. Mit einem Jahrgang hat Massen dazu Biergärten untersucht. „Ein schönes Thema für Studenten“, sagt sie schmunzelnd.

Bereits vorhandene Forschung hatte laut Massen Erholung in Parks untersucht und dabei vier ausschlaggebende Aspekte identifiziert: Faszination, Naturelemente, Weite und Komptabilität. „Die Umgebung muss faszinierend sein. Das ist oft der Fall, wenn Wasserelemente im Spiel sind.“ Flüsse oder Seen würden oft als positiv wahrgenommen, besonders wenn es durch Schiffe oder Ähnliches etwas zu beobachten gebe. „Zusätzlich ist Wasser ein Naturelement, das unsere Biophilie befriedigt. Man geht davon aus, dass Menschen alles lieben, was mit Leben zu hat, wie Pflanzen, Tiere und Wasser.“

Auch dass ein Ort eine gewisse Ausdehnung hat – wie in der Bonner Rheinaue –, sei wichtig für den Wohlfühleffekt. Genauso wie das Wegsein: „An Orten, an denen Menschen sich weit weg vom Alltag fühlen, fühlen sie sich wohler“, erklärt die Psychologin. Komptabilität erklärt Massen so: „Inwieweit ermöglicht es eine Umgebung, Dinge zu tun, die einem Spaß machen? Wenn viele Handlungsmöglichkeiten vorhanden sind, die man gerne macht, findet man einen solchen Ort attraktiver.“

Ergebnis kann direkt auf Wirtschaft angewandt werden

Mit Fragebögen zu diesen Aspekten gingen die Studenten auf die Besucher verschiedener Biergärten zu. Das Ergebnis: Was für Parks gilt, gilt auch für Biergärten. „Wenn sie die Umgebung des Biergartens als faszinierend empfanden, fanden Gäste den Aufenthalt erholsam und hatten höhere Kaufintentionen.“ Auch hier lässt sich aus dem Feldversuch also etwas für die Realität ableiten: Wenn Wirte wollen, dass ihre Kunden mehr kaufen, müssen sie ihre Biergärten faszinierender gestalten.

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