„Das war beklemmend“ So haben Schüler aus Rheinbach Verdun erlebt

Rheinbach · Wie fühlt es sich an, die Überreste tausender gefallener Soldaten aus der blutigsten Schlacht des Ersten Weltkriegs zu sehen, während in der Ukraine gekämpft wird? Davon berichtet ein Jugendlicher aus Rheinbach, der mit seiner Schule Verdun besucht hat.

Auf dem Nationalfriedhof in Douaumont in der Nähe von Verdun haben sich Schüler von zwei Rheinbacher Schulen intensiv mit der deutsch-französischen Vergangenheit befasst.

Auf dem Nationalfriedhof in Douaumont in der Nähe von Verdun haben sich Schüler von zwei Rheinbacher Schulen intensiv mit der deutsch-französischen Vergangenheit befasst.

Foto: privat

Am 24. Februar 2022 hat sich das Lebensgefühl für viele Menschen in Europa verändert. „Nie wieder Krieg“, hatte die Forderung der Friedensbewegung nach den beiden Weltkriegen gelautet. Generationen junger Menschen kannten bewaffnete Konflikte auf ihrem Kontinent nur aus Geschichtsbüchern – bis zur russischen Invasion in der Ukraine, die seitdem täglich die Nachrichten dominiert.

Angesichts dieser neuen Lebenswirklichkeit sehen Schüler wie der 14-jährige Nicholas Morgenstern vom Städtischen Gymnasium Rheinbach die deutsche Vergangenheit aus einer anderen Perspektive als frühere Jahrgänge. Mit 40 Jungs und Mädchen von seiner eigenen Schule und der Gesamtschule Rheinbach war der Jugendliche aus Kleinbüllesheim bei Euskirchen vor Kurzem in Verdun – heute Sitz des Weltzentrums für Frieden, Freiheit und Menschenrechte, im Jahr 1916 Schauplatz der blutigsten Schlacht des Ersten Weltkriegs mit mehr als 300.000 Toten.

Eine beklemmende Erfahrung

Als „beklemmend“ beschreibt Nicholas den Besuch einer alten Festungsanlage. „Dass dort, wo man gerade steht, vor etwas mehr als 100 Jahren Soldaten auf den sicheren Tod gewartet haben, ist für uns heute kaum noch vorstellbar.“ Während der Jugendliche das sagt, tobt in der Ukraine die Schlacht um Bachmut. Die Stadt liegt inzwischen in Trümmern, auf beiden Seiten sind seit Beginn der Belagerung im August 2022 zehntausende Tote zu beklagen.

Nicholas Morgenstern (14) interessiert sich für Geschichte. Da sein Vater Reservist ist, macht er sich über den Krieg im Osten Europas mehr Gedanken als andere in seinem Alter.

Nicholas Morgenstern (14) interessiert sich für Geschichte. Da sein Vater Reservist ist, macht er sich über den Krieg im Osten Europas mehr Gedanken als andere in seinem Alter.

Foto: privat

Bilder aus den umkämpften Gebieten in der Ukraine gleichen zunehmend Aufnahmen aus dem Stellungskrieg zwischen Deutschen und Franzosen zwischen 1914 und 1918, Teil des globalen Konflikts, den Zeitgenossen den „Großen Krieg“ nannten. Ein Foto von der Fahrt der Rheinbacher zeigt eine Schülerin, die auf einem Soldatenfriedhof in der Kleinstadt Douaumont, 20 Minuten von Verdun entfernt, vor weißen Kreuzen kniet. Es sind Gräberreihen, die sich am Rand des Sichtfelds bis in die Unendlichkeit zu erstrecken scheinen. Im Hintergrund ragt der Turm des Beinhauses in den Himmel, wo die sterblichen Überreste von 130.000 französischen Gefallenen aufbewahrt werden. „Solche Knochenhaufen kennt man sonst nur aus Filmen. Ich glaube, das ist uns allen sehr nah gegangen“, meint Nicholas.

Anders als nur auf dem Papier

Natürlich hätten er und seine Mitschüler schon vor der zweitägigen Exkursion unter der Ägide des deutsch-französischen Freundschaftsvereins „Partnerschaft des Friedens Rheinbach / Douaumont-Vaux“ viel über die deutsch-französische Vergangenheit gelernt, merkt Nicholas an. Aber Dinge mit eigenen Augen zu sehen und sich aktiv damit auseinanderzusetzen, das sei noch mal eine ganz andere Erfahrung, als historische Fakten und Opferzahlen auf dem Papier zu sehen. „Man bekommt fast so etwas wie einen persönlichen Bezug zu den Toten und merkt erst so richtig, wie sinnlos und traurig diese Schlacht und der ganze Krieg waren“, sagt der Jugendliche und berichtet von der intensiven Beschäftigung mit dem Thema, zum Beispiel durch fiktive Steckbriefe für gefallene Soldaten.

 Die Jugendlichen aus Deutschland durften die Flamme auf der Gedenkstätte für unbekannte Kriegsopfer in Douaumont entzünden.

Die Jugendlichen aus Deutschland durften die Flamme auf der Gedenkstätte für unbekannte Kriegsopfer in Douaumont entzünden.

Foto: privat

Die Kriegswirklichkeit in der Ukraine, so präsent sie medial ist, fühle sich dennoch „irgendwie fern“ an, erklärt Nicholas. Während viele seiner Altersgenossen das Thema im Alltag meist verdrängen würden, habe er Grund, mehr darüber nachzudenken: „Mein Vater ist Reservist, daher ist Krieg bei uns in der Familie ein Thema.“ Zudem sitze in der Klasse eine ukrainische Schülerin neben ihm – auf diese Weise erlebt der 14-Jährige zumindest eine Folge des Kriegs ganz persönlich. Die Nachricht vom Beginn der russischen Invasion im Februar vergangenen Jahres sei in jedem Fall ein Schock gewesen. „Teilweise mache ich mir Sorgen über die Zukunft“, sagt Nicholas.

Schüler durften die Flamme entzünden

Ein Höhepunkt der Friedensarbeit in Frankreich sei es gewesen, als er mit zwei seiner Mitschüler in Begleitung von Olivier Gerard, dem Leiter des Beinhauses, die Flamme des dortigen Denkmals für die unbekannten Kriegstoten entzünden durfte. Eine Ehre, die vor ihnen schon hochrangigen Repräsentanten der Bundesrepublik wie der früheren Kanzlerin Angela Merkel zuteil wurde. Die Rheinbacher besichtigten noch weitere Gedenkstätten und im Krieg zerstörte Ortschaften, wanderten durch alte Schützengräben und statteten dem Gymnasium St. Anne einen Besuch ab, dessen Schüler „Friedensbäume“ in Rheinbach gepflanzt haben, von denen auch in Frankreich schon welche stehen, gesetzt durch Rheinbacher Schüler.

Stefan Raetz, Vorsitzender des Freundschaftsvereins, war dabei und zieht ein positives Fazit: „Die Schüler kehren als Friedensbotschafter zurück. Dafür lohnt sich immer wieder jede Fahrt nach Verdun.“ Nicholas Morgenstern lobt das Angebot als gute Ergänzung des normalen Unterrichtsbetriebs: „Ich würde mir mehr solcher Ausflüge in die Vergangenheit wünschen.“

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