Gespräch mit Claudia Wilmers von der Ökumenischen Hospizgruppe "Sterben gehört zum Leben dazu"

Elf Teilnehmer eines fast einjährigen Kurses haben sich bei der Ökumenischen Hospizgruppe Rheinbach-Meckenheim-Swisttal zu ehrenamtlichen Sterbebegleitern schulen lassen. Claudia Wilmers und Andrea Kleinfeld koordinieren ihre Einsätze. Im Gespräch erläutert Wilmers, was es bedeutet, Menschen vor dem Tod beizustehen und warum viele Angst vor dem Sterben haben.

 "Ich geb' dir einen Engel mit": Claudia Wilmers (l.) überreicht Mitglied Monika Matern eine Figur, die dem ehrenamtlichen Begleiter wie auch dem Sterbenden ein Symbol für Trost und Kraft sein soll.

"Ich geb' dir einen Engel mit": Claudia Wilmers (l.) überreicht Mitglied Monika Matern eine Figur, die dem ehrenamtlichen Begleiter wie auch dem Sterbenden ein Symbol für Trost und Kraft sein soll.

Foto: Antje Jagodzinski

Was macht ein Sterbebegleiter?
Claudia Wilmers: Die Aufgabe, die wir wahrnehmen, ist die psychosoziale Begleitung, das heißt wir sind dafür da, wofür es keinen Profi gibt. Sprich, wir verschenken Zeit und Gespräche, wir sind da für kleine Handreichungen, wir entlasten die Angehörigen mit unserer Anwesenheit. Wir planen das Jetzt, aber auch das Morgen.

Geht es in den Gesprächen zwangsläufig ums Sterben?
Wilmers: Eher selten. Die meisten Gespräche sind alltäglich, viele Gespräche drehen sich auch um das Leben, um das, was gewesen ist, man nennt das Biografiearbeit, einfach noch einmal zurückgucken, auf das, was war.

Hilft das dabei, aus dem Leben zu gehen?
Wilmers: Ja. Es gibt ja zum Beispiel auch die Aufgaben nach Martin Luther, was man machen muss, bevor man stirbt und eine davon ist, sein Haus bestellen. Und das Haus kann man am besten bestellen, wenn man noch mal in alle Zimmer guckt und schaut, wo Ordnung oder Unordnung ist.

Und dabei unterstützen die ehrenamtlichen Begleiter?
Wilmers: Genau, es ist jemand dabei, der interessiert und offen zuhören kann. Angehörige sind dem meistens schon ein bisschen müde gegenüber oder sie sind emotional sehr beteiligt. Ehrenamtliche sind da sehr objektiv und mitfühlend, aber nicht mitleidend.

Wie schaffen die Ehrenamtlichen es, nicht mitzuleiden?
Wilmers: Darauf werden sie vorbereitet, deswegen machen wir die Zertifizierungskurse. Da unterscheiden wir: Was ist mitleiden, was ist mitfühlen. Wir haben Einheiten zur Frage "Wo kann ich Grenzen setzen?", aber die Ehrenamtlichen können auch während der Begleitung immer bei uns Koordinatorinnen Rückhalt finden.

Ist das am Anfang nicht sehr schwer?
Wilmers: Viele berichten, dass sie an der Aufgabe wachsen. Es kommen aber auch viele zu uns, die da schon Kompetenz haben, etwa weil sie selbst Verlusterfahrungen gemacht und gemerkt haben: Die Gesellschaft muss da noch mehr investieren, damit die Betroffenen mehr Unterstützung bekommen.

Ist Sterbebegleitung denn immer noch ein Tabuthema?
Wilmers: Absolut. Es gibt noch ablehnende Kommentare, wo Betroffene sagen, ich möchte keinen vom Hospiz, da kommt mir der Tod zur Tür herein.

Wo begleiten Sie die Menschen?
Wilmers: Wir machen vor allem Begleitungen bei den Menschen zu Hause, aber laut Definition ist eine Senioreneinrichtung auch ein Zuhause eines Bewohners, entsprechend begleiten wir auch dort Menschen. Und wir haben kein Zeitfenster. Manchmal ist es nur ein Besuch, wir haben aber ebenso Begleitungen über Jahre.

Handelt es sich ausschließlich um schwer kranke Personen?
Wilmers: Nicht nur. Wir begleiten zum Beispiel in den Senioreneinrichtungen auch Menschen, die einfach durch Glückes Geschick alt geworden sind und die lebenssatt und zufrieden gehen wollen.

Erinnern Sie sich an ein Erlebnis aus der Sterbebegleitung, das Sie selbst sehr berührt hat?
Wilmers: Was mir noch in Erinnerung ist, ist die Begleitung einer hochaltrigen Dame über 80. Als wir uns kennenlernten, sagte sie: "Ich brauche jetzt Menschen, die mir helfen. Ich merke, ich muss sterben." Und dann hat sie noch mal ihr ganzes Leben erzählt, und sie ist wirklich dann nach einem halben Jahr gestorben. Das sind so Dinge, die berühren mich sehr, im positiven Sinne. Natürlich sind Begleitungen, wo ein soziales Netz zurückgelassen wird, mit kleinen Kindern, mit Eltern, die noch leben, anders. Da muss man auch gut schauen, wo man selber bleibt.

Da ist es wahrscheinlich eher die Begleitung der Angehörigen, die man leistet, oder?
Wilmers: Sowohl als auch. Eine Mutter, die ihre kleinen Kinder zurücklassen muss, das ist schon eine andere Gesprächssituation.

Wie findet man da die richtigen Worte?
Wilmers: Auch darum geht es im Kurs. Wir ermutigen die Ehrenamtlichen aber auch, auf den Bauch zu hören. Es ist viel Intuition, viel Feingefühl. Die erste Technik ist Zuhören. Und Geduld.

Die jetzt zertifizierten Begleiter waren ausschließlich Frauen...
Wilmers: Ja. Von den jetzt insgesamt 50 ehrenamtlichen Mitarbeitern sind gerade mal fünf Männer. Wir sind immer wieder auf der Suche nach Herren, weil wir merken, wenn Männer am Lebensende stehen, sind sie, wie als Kinder auch, nur von Frauen umgeben. Und da mal so ein gescheites Männergespräch - das können wir Frauen einfach nicht bieten.

Warum macht der Tod vielen Menschen Angst?
Wilmers: Weil wir nicht wissen, was danach kommt. Und weil wir so viel zurücklassen, an dem wir hängen.

Sind die Ängste größer geworden?
Wilmers: Jüngeren Menschen fehlt mitunter ein Halt im Leben. Das, was früher die Religion noch gut konnte, geht so ein bisschen verloren. Und was es noch schwieriger macht, ist, dass es ein Tabuthema ist, auf das wir nicht vorbereitet werden. Meine Kollegin und ich gehen auch in Schulen, wo wir merken: Über das Sterben sprechen, das geht gar nicht. Und ich glaube, da muss man früher ansetzen, das Thema enttabuisieren, dann haben wir auch wieder eine Chance zu sagen: Sterben gehört zum Leben dazu.

Hat sich Ihre eigene Einstellung dazu durch Ihre Arbeit verändert?
Wilmers: Ja, sehr. Allein, dass man täglich damit Kontakt hat. Viele der Ehrenamtlichen sagen auch, sie leben einfach bewusster im Hier und Jetzt. Wenn Hospizmenschen unterwegs sind, sind das meistens die Menschen mit der besten Laune, weil wir die Freude erkennen, dass wir leben können.

Das Thema Sterbehilfe bewegt derzeit die Politik. Finden Sie es gut, dass sich da etwas tut?
Wilmers: Es kommt von der falschen Seite. Warum fangen wir oben mit einem Gesetz an und nicht unten bei den Menschen? Ich würde mehr investieren in Aufklärungsarbeit an den Schulen, in der Berufsausbildung und an Universitäten. Dieses Thema "Sterben, Abschied, Trauer" mehr verankern und präsentieren, dass sich vielleicht ein Gesetz erübrigt. Zumal wir da versuchen, etwas in Bahnen zu zurren, was vielleicht gar nicht hineinpasst.

Bejahen Sie eine Sterbehilfe?
Wilmers: Ich selber bin der Meinung, Sterben gehört zum Leben, ist ein Stück meines Weges. Den zu überspringen, würde mir etwas nehmen vom Leben.

Der Verein

Die Ökumenische Hospizgruppe Rheinbach-Meckenheim-Swisttal unterstützt schwer kranke und sterbende Menschen sowie ihre Angehörigen.

Der Verein besteht seit 13 Jahren und hat rund 350 Mitglieder. Neben der Sterbebegleitung bietet er zum Beispiel auch Gesprächscafés für Trauernde. Infos: Tel. 0 22 26/90 04 33 und www.hospiz-voreifel.de.

Zur Person

Claudia Wilmers (49) aus Rheinbach ist seit der Gründung des Hospizvereins 2002 hauptamtliche Mitarbeiterin. Die gelernte Krankenschwester, die Palliativfachkraft ist, stellt als eine von zwei Koordinatorinnen den Kontakt zwischen Ehrenamtlichen und Betroffenen her und ist für die Gewinnung, Begleitung und Weiterbildung der Mitarbeiter zuständig.

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