Gedenken an jüdische Mitbürger Stolpersteine in Rheinbach erzählen Familiengeschichten

Rheinbach · Am Dienstag verlegt Gunter Demnig zehn Gedenksteine in Rheinbach. Kunstaktion war lange umstritten. Zwangsarbeiter mussten in den Obstplantagen "Judengräben" ausheben.

Was mussten sich Menschen jüdischen Glauben während der Herrschaft der Nationalsozialisten von 1933 bis 1945 an Schmähungen gefallen lassen, ehe sie millionenfach systematisch ermordet wurden: „Judensau“ oder „Untermenschen“ sind nur zwei Diffamierungen dieser Zeit. Dass die Nachbarn mit dem sichtbar zu tragenden Davidstern aber vor 1933 anerkannte und integrierte Mitglieder der Gesellschaft waren, lässt sich an der Familiengeschichte von Benedict Schweitzer ablesen: In seinem Heimatort Wormersdorf zählt der Metzger und Viehhändler zum Kreis der Ehrenmitglieder des Turnvereins Wormersdorf. Für den 1942 im heutigen Weißrussland gelegenen Vernichtungslager Maly Trostinec umgekommen Wormersdorfer verlegt der Kölner Aktionskünstler Gunter Demnig am Dienstag, 21. November, den ersten von zehn Stolpersteinen.

Um 13 Uhr lässt Demnig den zehn mal zehn Zentimeter großen Würfel mit der Messingplatte obendrauf vor dem Haus Unterdorf 54, dem letzten Wohnort von Benedict Schweizer und seiner Frau Johanna, in den Bürgersteig. Mit dem Schicksal der zehn Menschen, derer mit einem Stolperstein gedacht wird, hat sich Rheinbachs Stadtarchivar Dietmar Pertz intensiv beschäftigt. Unter der Verwendung von Recherchen des Hobbyhistorikers Peter Mohr, von eigenen Forschungen sowie den beiden Büchern „Sie waren Nachbarn“ und „Habt ein besseres Gedächtnis“ aus der Feder von Horst Mies hat Pertz Kurzbiografien erstellt, die am Dienstag von Schülern vorgetragen werden.

Geflüchtet und Wohnung abgeschlossen

Über Benedict Schweitzer und seine Frau Johanna ist bekannt, dass sie den SA-Schergen, die am Tag nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938 die Wohnung des jüdischen Ehepaares verwüsten wollten, ein Schnippchen schlugen. Als das Rollkommando in Wormersdorf anrückte, waren sie nach Rheinbach in die Polligsstraße zur Familie von Max Wolf geflüchtet und hatten die Mietwohnung abgeschlossen. Einen Ersatzschlüssel behaupteten die Eigentümer nicht zu besitzen. Dadurch wehrten sie sich mit Erfolg gegen die Absicht der SA-Leute, in die Wohnung von Schweitzer einzudringen, heißt es in Pertz Aufzeichnung. Denn dabei hätten man nach damaliger Lesart durch das Aufbrechen der Türe „arisches“ Eigentum zerstören müssen.

Noch heute – etwa an den Obstplantagen zwischen Rheinbach und Wormersdorf – bestens erkennbar, sind die Entwässerungsgräben, die jüdische Zwangsarbeiter wie Alfred Weber aus Rheinbach graben mussten. Damals 1942 hatte dieser bereits eine längere „Schutzhaft“ im Konzentrationslager Dachau überlebt. Bis heute sind die Entwässerungsgräben als sogenannte Judengräben bekannt.

Erbberechtigte Angehörige

Eine alteingesessene Familie war die von Helena Meyer, die im Haus Dreeser Tor 21 in der Rheinbacher Kernstadt lebte. Schon im 18. Jahrhundert war die jüdische Familie Meyer in Rheinbach ansässig. An der Weiherstraße betrieb Bertha Arensberg mit ihren Schwestern eine Schneiderei. Das spätere Ladenlokal im Haus am Lindenplatz musste zum 1. Januar 1939 qua Gesetz der Nationalsozialisten schließen. Im Alter von 73 Jahren wurde sie im Vernichtungslager Auschwitz umgebracht. Haus und Grundstück am Lindenplatz gab die Bundesrepublik 1957 an eine in Bonn lebende Nichte der Arensberg-Schwestern als erbberechtigte Angehörige zurück, die im Jahre 1959 beides verkaufte, so Pertz.

Bestens ins Vereinsleben integriert waren die Schwestern Selma und Josefine „Finchen“ Rolef. Selma Rolef etwa „scheint am gesellschaftlichen Leben der Stadt Rheinbach mit großem Eifer teilgenommen zu haben“, berichtet der Stadtarchivar. Sie engagierte sich seit 1922 im Wanderausschuss des Eifelvereins. Wenn ein Fest organisiert werden musste, sei Selma stets zur Hilfe bereit gewesen. Mehrmals berief sie der Verein in der Kommission, die das Waldfest vorbereitete. Seit 1928 war Selma Rolef, die seit 1917 als Sekretärin bei der damaligen Rheinbacher Kreisverwaltung arbeitete, außerdem Mitglied in der Damenabteilung des Rheinbacher Turnvereins. Beide Schwestern starben in Maly Trostinec.

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