Fall Trudel Ulmen Tag drei im Prozess - Das Lügennetz reißt immer mehr

BONN/RHEINBACH · Plötzlich bricht seine Stimme, er kann die Tränen nicht mehr zurückhalten, als er über die Bilder spricht, die ihn verfolgen: "Das Schlimmste ist zu wissen, wie qualvoll Trudel gestorben ist, wie lange sie gegen den Erstickungstod gekämpft hat, wie ihre Beine gezuckt haben und wie sie sich gewehrt hat, als er ihr das Kissen aufs Gesicht drückte, bis sie tot war."

Zwei Prozesstage lang saß Trudel Ulmens Bruder als Nebenkläger gefasst dem Mann gegenüber, der am 20. März 1996 seine Schwester tötete. Doch an diesem dritten Tag im Zeugenstand brechen bei ihm alle Dämme: Thomas Lenerz weint und schluchzt so verzweifelt, dass Kammervorsitzender Josef Janßen die Sitzung unterbricht, bis der Zeuge sich wieder gefasst hat.

Die Zuschauer müssen den Saal verlassen. Auch die 14-jährige Tochter des Angeklagten aus zweiter Ehe geht weinend hinaus. Wie weit der frühere Schwager mit seinen Lügengeschichten von Trudels angeblichem Verschwinden mit einem Liebhaber ins Ausland ging, macht Thomas Lenerz mit Hilfe einer Karte deutlich.

Diese Trauerkarte schrieb der Angeklagte 2003 an Trudels Mutter nach dem Tod von Trudels Vater: "Von jemandem, der euch nie vergessen wird trotz aller Dinge, die vorgefallen sind", heißt es dort. Thomas Lenerz ist fassungslos darüber, wie der Angeklagte sich selbst in dieser Situation noch als Trudels Opfer darstellte und der Mutter ein schlechtes Gewissen machte, wie er sagt. "Dabei hatte er die Trudel getötet."

Das Bild, das der 57-Jährige Angeklagte am ersten Prozesstag von sich selbst zeichnete - als besonnenen und ruhigen Mann, der nur und erst untreu wurde, weil Trudel ihn betrogen hatte, und der sie nur tötete, weil sie ihn so gewalttätig attackiert habe - gerät am gestrigen Verhandlungstag entschieden ins Wanken. Und das Lügennetz, mit dem er sein Lebensumfeld einwickelte, reißt immer mehr.

Wie sehr er damit auch Trudels Familie manipulierte und verletzte, schildert Thomas Lenerz: Weil der Angeklagte der Mutter klar gemacht habe, dass Trudels Affären rauskämen, wenn die Familie weiter nach ihrem Verbleib forsche, habe die streng katholische Mutter ihm und der älteren Schwester weiteres Bohren untersagt. Und: Der Angeklagte habe der Familie weisgemacht, die Polizei forsche weiter nach Trudel. "Hätten wir gewusst, dass die längst die Akte zugemacht hatte, hätte ich viel mehr unternommen."

Trotzdem hätten er und seine Schwester immer wieder bei der Polizei in Bonn nachgefragt, jeden Montag habe die Schwester dort angerufen und immer nur gehört, es gebe nichts Neues, außerdem sei Trudel erwachsen, sie könne machen, was sie wolle. Seine älteste Schwester sei mittlerweile sehr krank und wie er selbst in Therapie. "Ohne die könnte ich es gar nicht aushalten", sagt Lenerz. "Ich schlafe mittlerweile keine Nacht mehr."

Zwei Mal heiratete der Angeklagte noch, doch vor jeder neuen Ehe rief er eine frühere Geliebte an, mit der er zusammen war im Jahr, bevor er Trudel tötete. Im Zeugenstand schildert die Rheinbacherin gestern, wie sie sich von dem Angeklagten zeitweise regelrecht belästigt fühlte.

Schon kurz nach Trudel Ulmens angeblichem Verschwinden zog seine spätere zweite Frau bei ihm ein, sie war seine Schülerin an der Physiotherapeutenschule gewesen, an der er unterrichtete. Wie sie als Zeugin sagt, habe sie sich bereits zu Trudels Lebzeiten heimlich mit dem Angeklagten getroffen. Die Ehe mit dem Angeklagten beschreibt sie als völlig unauffällig.

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"Das war mir doch egal, wenn er seine Autofelgen mit der Zahnbürste reinigte." Im Anschluss an ihre Zeugenaussage sorgt sie auf der Richterbank für Unmut, weil sie aus dem Zuschauerraum aus den Mittelfinger zeigt. Wem er gilt, bleibt unklar. Die dritte Ehefrau hingegen zeichnet ein Bild vom Angeklagten, das dem nicht gefallen dürfte.

Die 33-Jährige, die mit dem Angeklagten einen sechsjährigen Sohn hat, schildert, wie sie schon bald und immer häufiger von neuen Affären gehört habe. Er habe immer alles abgestritten, auch als eine Frau einmal völlig hysterisch angerufen habe. 2011 bereits sei für sie die Ehe am Ende gewesen. Und sie beschreibt, wie der ansonsten ruhige Angeklagte einmal tätlich geworden sei, als es um Geld ging.

Sie habe ihm gedroht, wenn er sie noch einmal anfasse, rufe sie die Polizei. Und dann habe sie auch noch entdeckt, dass er das Sparkonto des gemeinsamen Sohnes geplündert habe. Bis zuletzt habe er bestritten, Trudel Ulmen, von deren Existenz und angeblichem Verschwinden ihr erst die Schwiegermutter berichtet habe, getötet zu haben.

Erst nach seiner Festnahme habe er sie aus dem Polizeipräsidium angerufen und die Tat gestanden. Und dann wartet die Zeugin mit einer Überraschung auf: Erkennbar fassungslos schildert sie, was der Angeklagte ihr in Briefen aus der U-Haft geschrieben habe. Von den Briefen, die nicht durch die Postkontrolle der JVA gingen, weiß das Gericht nichts.

Und der Angeklagte muss zugeben, dass er eine ganze Reihe von Briefen aus dem Gefängnis geschmuggelt hat. Die Zeugin hat den Brief, der sie so erbost, mitgebracht. Das Gericht beschlagnahmt und verliest ihn, und es wird klar, was die Zeugin so erbost: Dort beschreibt der Angeklagte nicht nur, dass er mit seinem guten Job im Gefängnis "den Vogel abgeschossen" habe und davon ausgehe, in ein paar Jahren wieder draußen zu sein, um für sie "eine schöne Zukunft zu bauen".

Er schreibt auch, dass er "Bammel" davor habe, "wie Scheiße Staatsanwalt und Richter drauf sind" im Prozess. Und er bittet sie, sich im Gerichtssaal neben den GA-Reporter Kaes zu setzen und ihm zu sagen, "dass ich ihm meine Story verkaufen will". Die Zeugin sagt dazu nur: "Das ist widerlich." Und dann wendet sie sich an ihren Noch-Ehemann: "Ich verbiete dir hiermit jeden weiteren Kontakt. Ich will nie wieder etwas von dir hören."

Dann blickt sie zu Trudel Ulmens Bruder und sagt mit belegter Stimme: "Es tut mir so furchtbar leid." Dem Angeklagten, den sie als einen Mann beschrieb, der nicht erwachsen wurde und nur sieht,was er sehen will, ist keine Regung anzusehen. Wie ungerührt der Angeklagte auch bei der Polizei blieb, beschreiben die Kriminalbeamten, die ihn im April nach der Festnahme vernahmen. Sieben bis acht Stunden lang habe der Angeklagte sich wie "eine Schlange gewunden", als er ihn auf die Widersprüche in seiner Aussage hingewiesen habe, erklärt ein Beamter.

Es habe lange kein Anzeichen dafür gegeben, dass der Mann sich habe mit einem Geständnis erleichtern wollen. Im Gegenteil. Er sei stets dabei geblieben, er habe mit dem Tod seiner Frau nichts zu tun. Am ersten Prozesstag hingegen hatte der Angeklagte versichert, wie froh er sei, dass alles raus sei und dass er früher schon häufiger daran gedacht habe, alles zu sagen.

Was beide Beamte als sehr befremdlich empfanden: Auch als sie ihm gesagt hätten, man habe seine Frau gefunden, sie sei tot, habe er nicht die Fassung verloren. Und keine einzige Frage gestellt. Der Prozess wird am Dienstag mit weiteren Zeugen fortgesetzt.

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