Auch im Ruhestand berufstätig Alfterin Marie-Luise Hartung arbeitet trotz Rente weiter

Rhein-Sieg-Kreis · Marie-Luise Hartung aus Alfter arbeitet auf Stundenbasis für ihren alten Arbeitgeber. Allerdings nicht, weil sie auf das Geld angewiesen ist.

Marie-Luise Hartung aus Alfter arbeitete vor ihrem Ruhestand 48 Jahre lang. FOTO: ANNE WILDERMANN

Marie-Luise Hartung aus Alfter arbeitete vor ihrem Ruhestand 48 Jahre lang. FOTO: ANNE WILDERMANN

Foto: Anne Stephanie Wildermann

Wäre Marie-Luise Hartung (66) aus Alfter-Ort nicht gewesen, hätte eine Frau vermutlich ihren Job verloren. Die Betroffene arbeitete in der Kantine einer Bundesbehörde in Bonn. Nachdem ihr Vorgesetzter wechselte, kamen die Probleme, die vor allem kommunikativer Natur waren. Die Fronten verhärteten sich zunehmend. Die herzkranke Frau wendete sich an den Integrationsfachdienst Bonn/Rhein-Sieg (IFD) mit Sitz in Bonn. Die Krise, die vorherrschte, war für Hartung unübersehbar. Aber sie schaffte es als eine Art Mediatorin, dass die Frau ihren Job nicht verlor und stattdessen die Arbeitsstunden reduzieren konnte. Eine Lösung, mit der auch der Arbeitgeber einverstanden war.

Diese Klientin betreut Hartung nicht mehr, der Fall ist abgeschlossen. Dafür sind es aktuell zehn andere Menschen mit Behinderung, über die Hartung Berichte schreibt oder sie einmal die Woche an ihrem Arbeitsplatz besucht und Gespräche mit Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite führt. Dabei ist Hartung seit 2015 offiziell im Ruhestand. Allerdings kehrte sie wegen Personalmangels aufgrund von Krankheit auf Bitten ihrer alten Chefin zum IFD zurück.

Seit Sommer 2016 arbeitet die gelernte Krankenschwester und studierte Diplom-Sozialarbeiterin wieder für den IFD, allerdings nur 15 Stunden die Woche, im Home-Office, aber mit einem offiziellen Vertrag. Damit gehört Hartung nach Angaben des Landesamts für Information und Technik zu den 104 000 Rentnern, die in NRW arbeiten (Ergebnis des Mikrozensus, Stand 2016, siehe Infokoasten).

„Etwas zu tun, macht mich glücklich“

„Wegen des Geldes habe ich nicht mehr angefangen“, betont Hartung. Diese Aussage wirkt glaubhaft. Schließlich ist ihr Haus mit idyllischem Garten seit Beginn des Ruhestandes abbezahlt. „Ich hätte auch gut von meiner Rente leben können. Dennoch habe ich mich gefreut, als die Anfrage für die Tätigkeit beim IFD kam“, erinnert sich die Rentnerin. Der Grund für ihre Zusage war eine Mischung aus vielem: den Job hatte sie immer gern gemacht, Wiedersehen mit alten Kollegen, Unterstützung des Teams und der Menschen mit Behinderung und die Ehre, noch mal gefragt zu werden. Selbst provozierende Kommentare von einer ehemaligen Kollegin ließen sie an ihrer Entscheidung nicht zweifeln. „Wozu musst Du noch arbeiten? Brauchst Du die Arbeit so sehr? Kannst Du auch mal nichts tun?“, hieß es. „Etwas zu tun, macht mich glücklich“, antwortet Hartung kurz und knapp. Bestärkt wird sie von ihrer Tochter und ihrem Lebensgefährten, der noch Vollzeit arbeitet.

Selbst wenn Hartung nicht wieder für den IFD tätig geworden wäre, hätte sie nicht zu Hause gesessen und Briefmarken gesammelt oder Orchideen gezüchtet. Kurz nach Rentenbeginn gründete sie auf ehrenamtlicher Basis die „Initiative Inklusiver Arbeitsmarkt Alfter“, die sich ebenfalls für Arbeitnehmer mit Behinderung aus der Region einsetzt oder Betroffenen hilft, einen passenden Job zu finden. Des Weiteren engagiert sie sich in der Wählergemeinschaft „Freie Wähler Alfter“ und sitzt als sachkundige Bürgerin im Ausschuss für Bildung, Generationen, Sport, Soziales, Inklusion und Kultur der Gemeinde Alfter. Nebenbei arbeitet sie als Yogalehrerin. Sie empfängt ihre Kursteilnehmer sowohl zu Hause als auch in der Vorgebirgsschule Alfter. Die Freitage gehören ausschließlich ihren drei Enkelkindern.

Die Termine mit Klienten des IFD „bastelt“ Hartung, wie sie selbst sagt, um alles andere herum. „Meine Indienreise, die ich dieses Jahr unternehmen wollte, habe ich auf kommendes Jahr verschoben“, sagt sie und wirkt darüber nicht betrübt. Auch wenn der türkisfarbene Terminkalender der Rentnerin prall gefüllt ist, vereinbart sie keine Termine vor 10 Uhr morgens. Sie brauche diese freie Zeit, um sich auf den Tag vorzubereiten, erklärt sie.

Da sie nicht mehr Vollzeit tätig ist, ist ihr neuer Lebensabschnitt, trotz Job, ein Gewinn für sie. „Ich genieße den Gestaltungsraum, den ich habe. Außerdem tut mir ein strukturierter Tag gut.“ Ausgebrannt klingt anders. Und sollte es doch mal stressig und hektisch werden, zieht sich Hartung zur Meditation in ihren kleinen Yogaraum neben dem Arbeitszimmer zurück.

„Es ist ein Geschenk für mich"

Wann Hartungs Vertrag beim IFD ausläuft, ist noch unklar. Aber die Rentnerin ist sich darüber bewusst, dass er eines Tages nicht mehr verlängert wird, weil er an eine bestimmte Stelle geknüpft ist. „Ich kann damit leben, wenn der Vertrag endet. Schließlich decke ich ja nur 15 Stunden in der Woche ab. Mehr wollte ich auch nicht machen“, sagt sie.

So lange unterstützt sie das Team als Fachkraft, trifft einmal in der Woche Klienten zum Beratungsgespräch in den Räumen des IFD an der Maximilianstraße in Bonn und tauscht sich mit Kollegen aus. „Es ist ein Geschenk für mich, wie alles gekommen ist. Vor zehn Jahren hätte ich nicht gedacht, dass es mal so kommen wird“, gesteht Hartung und ist der Ansicht, dass die Leute ruhig darüber sprechen sollten, wenn sie etwas Gutes tun. „Ohne sich dabei groß selbst zu belobigen“, betont sie und gibt zu, dass sie mit Lob nicht gut umgehen könne. „Es ist wichtig, sichtbar in der Individualität zu bleiben.“ Etwas klingt der Satz nach einem Kalenderspruch – dennoch birgt er etwas Wahres. Eingefahrene Strukturen, Starrheit und behördenähnliches Arbeiten sind Hartung nämlich zuwider.

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