Interview zum Reformationstag Das würde Martin Luther uns wohl heute sagen

Swisttal · Die Swisttaler Pfarrerin Claudia Müller-Bück spricht zum 500. Jahrestag der Reformation im Interview über Martin Luther. Sie verrät darin auch, was uns Luther wohl heute sagen würde.

 500 Jahre Reformation: Die evangelische Pfarrerin Claudia Müller-Bück im Heimerzheimer Gemeindehaus vor der Büste Martin Luthers.

500 Jahre Reformation: Die evangelische Pfarrerin Claudia Müller-Bück im Heimerzheimer Gemeindehaus vor der Büste Martin Luthers.

Foto: Hans-Peter Fuß

Die evangelischen Christen feiern am Dienstag den 500. Jahrestag der Reformation. Am 31. Oktober 1517 soll Martin Luther 95 Thesen an die Wittenberger Schlosskirche angeschlagen haben. Darin kritisierte er den Ablasshandel der katholischen Kirche. Die Swisttaler Pfarrerin Claudia Müller-Bück hat sich nicht nur während ihres Theologie-Studiums intensiv mit dem Leben Luthers befasst. Mit ihr sprach Hans-Peter Fuß.

Wie feiern Sie persönlich das Reformationsjubiläum?

Claudia Müller-Bück: Wir feiern am Dienstag ab 10 Uhr mit der Gemeinde einen klassischen Abendmahlsgottesdienst. Am Nachmittag fahren wir zur Reformationsgala in den Telekom-Dome nach Bonn.

Worüber werden Sie predigen?

Müller-Bück: Ich werde über ein Gemälde von Lucas Cranach sprechen, auf dem er Luther als Prediger auf der Kanzel vor der versammelten Gemeinde darstellt. Eine Hand Luthers berührt die Bibel, die andere zeigt auf Christus am Kreuz.

Welche Rolle spielt Luther in Ihrem Leben?

Müller-Bück: Als Kind fand ich Luthers Leben spannend, brachte dies aber noch nicht mit meinem Glauben zusammen. Während einer Fortbildung im Jahr 2011 haben wir in der Wittenberger Stadtkirche gesungen. Das war schon beeindruckend, dort, wo alles begann, zu singen. Luther, der unter vielen Zweifeln und Anfechtungen litt, sagt uns: Du bist getauft, begleitet und gehalten. Das möchte ich den Menschen mitgeben.

Vor 500 Jahren protestierte Luther mit seinen 95 Thesen gegen den Ablasshandel in der damaligen Kirche. Wogegen würde er heute protestieren?

Müller-Bück: Er würde das Wort Gottes in den Mittelpunkt stellen. Er würde dazu anregen, in der Bibel zu lesen und sich darüber auszutauschen. Er würde versuchen, den Menschen die Gnade und die Barmherzigkeit Gottes nahezubringen.

Er soll die Thesen an die Tür der Wittenberger Schlosskirche angeschlagen haben. Wie würde er heute seine Meinung verbreiten? Würde er twittern?

Müller-Bück: Er hat den damals neuen Buchdruck für sich genutzt. Heute würde er vielleicht Twitter nutzen. Da er aber ein Freund von ausgiebigen Gesprächen war, würden ihm 140 Zeichen nicht reichen.

Was hat Luther uns heute zu sagen?

Müller-Bück: Er ermuntert uns, mit Ernst Christen zu sein, in den biblischen Texten selbst auf die Suche nach der Wahrheit zu gehen, Mut zu einem eigenen Standpunkt zu haben und der Liebe Gottes zu trauen, Kirche zu sein, in der alle Verantwortung tragen als Priestertum aller Getauften.

Luther stand im Bauernkrieg auf der Seite der Fürsten und sprach sich später für die Vertreibung der Juden aus evangelischen Herrschaftsbereichen und die Zerstörung ihrer Synagogen aus. Galt für diese Menschen nicht die Freiheit eines Christenmenschen?

Müller-Bück: Auch Luther hat Fehler gemacht. Er hat das Leid der Bauern in Kauf genommen. Und im Alter verhärtete sich seine Haltung den Juden gegenüber. Man sollte ihn aber nicht nur nach den heutigen Maßstäben messen, sondern auch aus seiner Zeit heraus verstehen.

Luther hat die Kirchenspaltung nicht gewollt. Wird sich die Ökumene in Ihrer Lebenszeit so weit entwickeln, dass man an eine Wiedervereinigung des evangelischen und katholischen Christentums denken kann? Wäre dies überhaupt wünschenswert?

Müller-Bück: Die christlichen Konfessionen haben eine gemeinsame Basis, leben ihren Glauben an Jesus Christus und ihre Wertschätzung der Bibel aber verschieden. Was uns immer noch trennt, ist das Verständnis der Ämter in der Kirche. Wir Evangelischen halten es mit dem biblischen Wort: „Einer ist euer Meister, Christus, ihr aber seid alle Geschwister.“ (Matthäus 23,8b) Von katholischer Seite ist der eigene Alleinvertretungsanspruch dogmatisch festgeschrieben, der alle zu Geschwistern zweiter Ordnung macht, die sich diesem biblisch nicht begründeten Machtanspruch widersetzen. Sichtbare Folge unter anderem: keine gemeinsame Eucharistie als Feier der Gemeinschaft im Namen Jesu.

Was trennt die beiden Konfessionen außerdem?

Müller-Bück: Das Amtsverständnis und die Frage der Zulassung zum Abendmahl. Das hat Kardinal Woelki kürzlich noch einmal betont. Eine Wiedervereinigung der Kirchen kann nicht so aussehen, dass die evangelische Kirche in den Schoß der katholischen Kirche zurückkehrt, sich einem Papst als Stellvertreter Christi unterordnet und aufgibt, was sich durch die Reformation in fünf Jahrhunderten entwickelt hat. Auch die katholische Kirche hat sich weiterentwickelt. Luther hätte auch heute noch Schwierigkeiten mit dem Amts- und Kirchenverständnis der katholischen Kirche. Ich wünsche mir, dass die christlichen Kirchen in gegenseitiger Achtung auf Augenhöhe weiterhin auf dem Weg sind zu größerer Kirchengemeinschaft.

Luther wuchs nach seiner Lebenszeit aus der Rolle des Reformators heraus und wurde zum nationalen Mythos. Wird man ihm damit gerecht?

Müller-Bück: Ich sehe ihn nicht als Mythos. Er hatte und hat aber über die Kirche hinaus eine große Bedeutung. Etwa für die Entwicklung der deutschen Sprache durch seine Bibelübersetzung. Und durch seinen Mut, als kleiner Mönch zu seiner Überzeugung zu stehen.

Der ältere Luther war ein Genussmensch, liebte gutes Essen und guten Wein. Seine Sprache war zuweilen recht derb. Taugt er heute noch zum Vorbild?

Müller-Bück: Auch Jesus wurde als Fresser und Weinsäufer beschimpft. Man kann Christ sein und das Leben genießen. Luthers Gelage waren Zeichen der Gemeinschaft und der Gastfreundschaft. Bei den Tischgesprächen, bei denen auch Frauen dabei sein durften, ging es meist um theologische Themen.

Auch von der evangelischen Kirche wenden sich immer mehr Menschen ab. Wie ist dieser Trend zu stoppen?

Müller-Bück: Die Zahl der Austritte sinkt. Wir haben in Swisttal in diesem Jahr so viele Taufen wie noch nie. Wir sind lebendige Kirche, offen für alle und mit der Bibel auf der Suche danach, wie Gott mit seiner Gnade heute zu uns kommt. So war es auch, als wir im Sommer mit 140 Jugendlichen aus dem Kirchenkreis beim Konficamp in Wittenberg waren. Dabei ist mir als Pfarrerin wichtig, Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit zu begegnen, sie ernst zu nehmen und sie auf ihrem Glaubensweg zu begleiten. Gemeinde sind wir, indem wir Gaben und Aufgaben miteinander teilen. Ich glaube, dass die evangelische Kirche so auch im Hinblick auf ihre Mitgliederzahlen gelassen in die Zukunft blicken kann.

Welches Buch über Luther empfehlen Sie?

Müller-Bück: „Der Mensch Martin Luther“ von der Historikerin Lyndal Roper geht detailreich auch auf Kindheit und Jugend Luthers ein. Der Band „Luther lesen“, herausgegeben von Martin H. Jung, versammelt wichtige Texte in heutiger Sprache. Und die Luther-Bibel in neuer Bearbeitung von 2017.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Eine Chance wert
Kommentar zum E-Bike-Projekt im Rhein-Sieg-Kreis Eine Chance wert