Lehrerin Sophie Bauer aus Heimerzheim Eindrücke der letzten Kriegsmonate

SWISTTAL-HEIMERZHEIM · Seit Beginn der feindlichen Luftoffensive hatte unser Dorf schon sehr früh viele unruhige und sorgenvolle Nächte erlebt. Im Laufe des letzten Kriegswinters wurden die Flieger immer mehr die ständige Bedrohung bei Tag und bei Nacht.

 Die Lehrerin Sophie Bauer schildert den Bombenangriff auf Heimerzheim vom 3. März 1945.

Die Lehrerin Sophie Bauer schildert den Bombenangriff auf Heimerzheim vom 3. März 1945.

Foto: Ak

Die deutschen Flugzeuge verschwanden fast ganz vom Himmel. Damals waren in der Gemeinde längere Zeit SS-Truppen einquartiert, die durch ihre unzeitgemäßen Trinkgelage und Schmausereien den niedergeschlagenen Einwohnern viel Ärgernis bereiteten. Größer noch war die heimliche Erbitterung über die Parteileute, die das graue Elendsheer der ausländischen Zwangsarbeiter bei ihren Schanzarbeiten beaufsichtigten. Es kam verschiedentlich zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen mutigen und hochherzigen Heimerzheimern und den "Goldfasanen", wenn diese bei harter Behandlung ihrer Untergebenen angetroffen wurden. Nur ganz wenige glaubten noch an die Goebbels-Parolen, die die SS an die Mauern pinselte: "Deutsches Volk sei ganz beruhigt, am Ende steht doch unser Sieg."

Inzwischen kam der 3. März, der unserem Dorf in schmerzlicher Erinnerung bleiben wird. Einige Tage vorher waren schon einige Bombenteppiche am Rande des Dorfes gefallen, wobei es drei Tote gab, darunter zwei Schulkinder. Als wir sie am 3. März zur letzten Ruhe betteten, pfiffen uns die Granaten zum ersten Mal über die Köpfe, die Front war da. Die Dorfbewohner waren dabei, in ihren Häusern Vorsorge für die kommenden schweren Tage zu treffen. Sie ahnten nicht, dass ihr schwarzer Tag schon gekommen war. Gegen 10.30 Uhr warf ein Verband von 36 Flugzeugen seine Bomben auf das Dorf. Die Wirkung war verheerend. Haupt- und Burgstraße (die heutige Brückenstraße) waren vernichtend getroffen, in der Kirch- , Schul- und Bachstraße nichts als Schutthaufen und gewaltige Bombentrichter.

Das Geschrei und Gestöhn der Betroffenen. Das in Rauch und Mörtelstaub gehüllte Dorf war wie ein grausiges Bild aus der Unterwelt. Als die Überlebenden zu Hilfe eilten, kamen ihnen schon die ersten blutenden Gestalten entgegen gewankt. Hier und da wurden die ersten Toten und Verwundeten ausgegraben. Unser Schulkeller lag bald voll von Verletzten und Toten. Es mangelte an ärztlicher Hilfe. Erst am Abend wurde ein Teil der Verwundeten nach rückwärts geschafft. Die Bergungsarbeiten wurden erschwert durch Tiefflieger, die mit Bordwaffen in die rettenden Zivilisten schossen. Es fielen neue Bomben und forderten neue Opfer. Bald brachen in den Trümmern Brände aus, die den Verschütteten den Feuertod brachten. Das Dorf war voll Klage- und Jammergeschrei. Besonders der Jammer der Kinder nach ihren Eltern war herzzerreißend. Bald setzte ein verstärktes Artilleriefeuer den planmäßigen Bergungsarbeiten ein Ende.

Am Dienstag, 6. März, rückten die Amerikaner in unser Dorf ein. Der Volkssturm war nicht angetreten, die Nazis waren geflohen. Außer ihnen noch eine Anzahl anderer Einwohner, die die Bombenabwürfe in Schrecken versetzt hatten. 32 Familien verließen das Dorf. Über das Verhalten der Sieger gehen die Berichte auseinander. Viele bewiesen eine ehrenhafte Gesinnung. Doch es gab auch viele Plünderungen, Zerstörungen und Verschmutzungen, auch blutige Misshandlungen und Fälle von Notzucht. Viel schlimmere Plünderungen, Zerstörungen und Gewalttaten verübten die russischen und polnischen Arbeiter, die aus der Umgegend hier zusammengeströmt waren und vier Wochen im Schulgebäude hausten.

Leider kann nicht verschwiegen werden, dass sich die Einwohner von Heimerzheim an den Plünderungen beteiligten. Solche, die nichts verloren hatten, scheuten sich nicht, ihren Landsleuten das letzte zu stehlen, das ihnen noch geblieben war. Tag für Tag wurden die Toten auf Karren und Bahren zum Friedhof gebracht und in Massengräbern beigesetzt. Von vielen waren nur spärliche Überreste vorhanden. An Toten wurden festgestellt: 87 aus Heimerzheim, darunter 17 Schulkinder, 18 Flüchtlinge, 55 deutsche Soldaten, 15 Fremdarbeiter. Viele der Großherzigsten und Edelsten sind unter ihnen. Bei Gott bleiben sie unverloren und unvergessen.

Sophie Bauer (1897 bis 1985) war mehr als vier Jahrzehnte Lehrerin an der Volksschule in Heimerzheim.

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