Tag des weißen Stockes Hamo ist ein quirliger Junge - obwohl er fast nichts sehen kann

SWISTTAL-ODENDORF · Hamo schaukelt gern, fährt Laufrad und hüpft wie ein Flummi auf dem Trampolin; er geht zur musikalischen Frühförderung, singt in Theaterstücken mit und trällert die Hits aus den Charts. Ein bewegungsfreudiger und musikbegeisterter Fünfjähriger aus einer vierköpfigen Odendorfer Familie - dem man erst auf den zweiten Blick ansieht, dass er blind ist.

 Immer unterwegs: Der fünfjährige Hamo auf dem Laufrad.

Immer unterwegs: Der fünfjährige Hamo auf dem Laufrad.

Foto: Roland Kohls

Dass heute weltweit der "Tag des weißen Stockes" begangen wird, bedeutet ihm noch nicht viel, da er mit seinem rollenden Vorschulstock eher selten unterwegs ist. Vielmehr orientiert er sich mit den Händen und vor allem mit dem Gehör: Durch festes Auftreten oder mit Klicklauten gewinnt er dank Rückschall erstaunlich genaue Auskünfte über seine Umgebung und kann Hindernissen ausweichen.

"Diese Echolokalisation ist für Sehende immer wieder faszinierend. Sie zeigt, wie gut blinde oder stark sehbehinderte Menschen ihre Höreindrücke zu nutzen verstehen", bestätigt Gabriele Korf, Lehrerin an der LVR-Louis-Braille-Schule in Düren, die Hamo ab dem kommenden Schuljahr besuchen wird und schon jetzt im Rahmen eines Vorschulprogramms kennenlernt.

Als Hamos persönliche Frühförderin bereits seit dem ersten Lebensjahr spielt Gabriele Korf eine zentrale Rolle für die Familie: "Ohne sie hätten wir die Anfänge nicht so gut bewältigt. Nach so einer Diagnose braucht man jemanden an seiner Seite", sagt Hamos Mutter Rihane Hussein.

Hamo kam im Januar 2007 mit einer seltenen Netzhauterkrankung zur Welt und kann allenfalls ahnungsweise hell und dunkel unterscheiden. Schon im Lauf der ersten Lebenswochen bemerkten seine Eltern, dass er auf visuelle Reize nicht reagierte; die Diagnose stand wenig später fest. "Das war ein Tiefschlag, wir haben lange gebraucht, um damit klarzukommen. Akzeptieren konnte ich seine Blindheit eigentlich erst, als ich die ersten Entwicklungsfortschritte sah", bekennt die 31-Jährige freimütig. Die Baby-Zeit war hart: Hamo war geräuschempfindlich und schnell überreizt, ein Schreikind.

Auch verliefen manche frühkindlichen Meilensteine der Entwicklung anders. Hamo krabbelte nicht und konnte erst mit fast zwei Jahren frei laufen. "Um sich beim Fortbewegen zu schützen, benutzte er Pezziball und Rutschauto. Die Wohnung mussten wir entsprechend karg und übersichtlich einrichten", erinnert sich Rihane Hussein. Blessuren gab und gibt es trotz aller Vorsichtsmaßnahmen immer mal wieder.

Frühförderung und Krankengymnastik fingen viel Frust auf: "Wir haben praktische Tipps und moralische Unterstützung bekommen", sagt Hussein dankbar. Von der Verunsicherung der ersten Zeit ist heute nichts mehr zu spüren: "Ich bin stolz auf Hamo und seine enormen Fortschritte - und auf uns, dass wir viele Anregungen umsetzen konnten und ihn nicht in Watte gepackt haben. Mitleid brauchen wir nicht." Gewachsen ist ein starkes Vertrauen, besonders zwischen Mutter und Sohn, aber auch zu Vater Naser Hamsourou (35) und Bruder Abdo (11).

Seit Hamo den integrativen Kindergarten der Lebenshilfe, die "Rasselbande" in Rheinbach, besucht, ist er selbstständiger und offener auch anderen gegenüber geworden. Seine Mutter würde die freien Vormittage gern für eine Rückkehr in ihren Beruf als Industriekauffrau nutzen, aber einen familienfreundlichen Arbeitgeber hat sie bislang nicht gefunden. Doch arbeiten will sie. Denn: "Es gibt sehr gute, aber eben auch recht teure Fördermittel wie Tastbücher, Gesellschaftsspiele für Blinde oder zum Beispiel ein Tandem; für solche Anschaffungen würde ich gern etwas dazu verdienen."

Ab dem kommenden Schuljahr lernt Hamo an der Braille-Schule in Düren unter anderem die von Louis Braille entwickelte Punktschrift und den Umgang mit dem Langstock. Auch seine Mutter besucht dann einen Kursus für Blindenschrift.

Der Tag des weißen Stockes
Als Tag des weißen Stockes nutzen Blindenverbände weltweit den 15. Oktober, um auf die Situation blinder und sehbehinderter Menschen aufmerksam zu machen. Am 15. Oktober 1964 übergab US-Präsident Lyndon B. Johnson in einem symbolischen Akt Langstöcke an Menschen mit Blindheit, was als Beginn des systematischen Orientierungs- und Mobilitätstrainings gilt.

Die Idee eines weißen Stockes als Schutz- und Erkennungszeichen entstand in Paris: Guilly d'Herbemont überreichte am 7. Februar 1931 in Anwesenheit mehrerer Minister und Vertreter von Blindenorganisationen die ersten weißen Stöcke. Im Jahr 1969 riefen die Vereinten Nationen den "Internationalen Tag des Weißen Stockes" ins Leben. Mit dem sogenannten Langstock und entsprechendem Mobilitätstraining können blinde und sehbehinderte Menschen die große Herausforderung des Straßenverkehrs in Angriff nehmen.

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