Interview mit Heilpraktikerin aus Odendorf Wie Flutopfer einem chronischen Trauma vorbeugen können

Interview | Swisttal-Odendorf · Angst, Trauer und Verzweiflung herrschen bei vielen Betroffenen auch zwei Monate nach dem Hochwasser vom 14. Juli noch vor. Bei der Bewältigung des Traumas hilft die Heilpraktikerin für Psychotherapie Inge Kreb-Kiwitt den Menschen in ihrer Heimat Odendorf.

 Der Orbach zerstörte in der Flutnacht viele Existenzen. Psychotherapeutin Inge Kreb-Kiwitt berät Flutopfer, wie sie mit dem Ereignis umgehen können.

Der Orbach zerstörte in der Flutnacht viele Existenzen. Psychotherapeutin Inge Kreb-Kiwitt berät Flutopfer, wie sie mit dem Ereignis umgehen können.

Foto: Matthias Kehrein

Tod und Zerstörung brachte das Hochwasser vom 14. Juli mit sich. Beim Umgang mit den traumatischen Ereignissen hilft die Odendorfer Heilpraktikerin für Psychotherapie Inge Kreb-Kiwitt den Menschen in ihrem Dorf mit einem einstündigen kostenlosen Beratungsgespräch. Über den mentalen Zustand der Flutopfer, darüber, wie man ein chronisches Trauma verhindert und welchen besonderen Ansatz sie als analytische Gestalttherapeutin bietet, erzählt sie in einem Gespräch.

Frau Kreb-Kiwitt, mit welchen Anliegen kommen die Flutopfer zu Ihnen?

Inge Kreb-Kiwitt: Die Themen sind unterschiedlich. Es reicht von Unsicherheit bis zum Wunsch, wieder ins alte Leben zurückzufinden. „Ich will meine Kontrolle wiederhaben“ war eine Aussage der Ratsuchenden. Manche sprechen von den Verlusten, die sie erlitten haben. Es geht viel um Trauer und depressive Stimmungen, die sich langsam immer mehr zeigen. Am Anfang stand die Herausforderung, Dinge anzupacken, nun ist es so, dass den Leuten bewusst wird, wo sie gerade stehen. Das löst große Angst und Betroffenheit aus. Manche sagen auch: „Ich fühle mich wie in einem Kokon, wie betäubt.“

Was berichten die Betroffenen von der Flutnacht?

Kreb-Kiwitt: Viele hadern mit den Geschehnissen der Flutnacht, sie wollen Antworten haben. Die meisten sagen, es war ihnen nicht bewusst, dass es so schlimm kommen würde. Wenn sie es gewusst hätten, hätten sie viel besser für ihre Familien gesorgt – das sagen vor allem die Männer. Das waren kritische, lebensbedrohliche Situationen. Auch der Ablauf der Evakuierung und keine Kontakte nach außen gehabt zu haben, ist oft Thema. Nicht zu wissen, was mit den nächsten Angehörigen und Freunden war, ist sehr belastend und im Gedächtnis der Betroffenen hängengeblieben.

Nach welchen Antworten suchen die Leute genau?

Kreb-Kiwitt: Warum sind sie nicht gewarnt worden? Warum gab es widersprüchliche Informationen? Warum war die Informationsstruktur so dermaßen gestört? Wo waren die Verantwortlichen in dem Moment? Eine Frau hat gesagt, dass nicht mal die Feuerwehr ihr Antworten geben konnte. Das war für viele die Katastrophe neben der Katastrophe.

Gibt es auch positive Impulse?

Kreb-Kiwitt: Die Dankbarkeit über die Helfer, die ungefragt angepackt haben, die Menschen in den Arm genommen und getröstet haben, die gesagt haben, „ich bin heute da und komme in vier und acht Wochen noch mal wieder“. Da sind verbindliche Kontakte entstanden. Außerordentliches hat unser „Weltbester Infopunkt“ am Zehnthof geschaffen. Auch die ortsansässigen Vereine zeigen großes Engagement.

Was hat die Flut mit den Odendorfern gemacht?

Kreb-Kiwitt: Odendorf hat sich definitiv verändert: Das äußere Bild, aber auch die Leute hinter den Türen. Sie sind sensibler, dünnhäutiger, stiller, schreckhafter und vorsichtiger geworden. Man merkt bei vielen Ratsuchenden, dass sie sich damit beschäftigen, ob Odendorf noch ihr Zuhause sein kann, ob sie sich hier noch einmal sicher fühlen können. Sie wollen ihr altes Dorf zurück, aber das geht nicht mehr. Die Betroffenen sagen, dass sie nicht schlafen können, dass sie sich an die Flutnacht erinnern, wenn etwa ein Hubschrauber über Odendorf fliegt oder sie den Regen hören. Dann fühlen sich manche sofort wieder in die Situation versetzt. Diese Symptome sind aber in dem jetzigen Verarbeitungsverlauf der Flutkatastrophe nachvollziehbar und eine normale Reaktion. 

Wie gestalten Sie Ihre Beratungsgespräche?

Kreb-Kiwitt: Ich biete ein Gespräch an, das ist keine Therapie, sondern kann individuell eine Entlastung bewirken. Die Odendorfer können kommen, um frei zu sprechen, um zu gucken, welche Ressourcen es gibt. Ich lasse die Menschen erst mal erzählen, versuche als Resonanzboden für alle Gefühle da zu sein, die sich zeigen, Trauer, Wut, Ohnmacht, Angst. Ich versuche, ein bisschen Realität reinzubringen. Manche gehen eher über das Ereignis hinweg, sagen „ach, das war ja gar nicht so schlimm“. Wenn ich dann sensibel nachhöre, kommt doch einiges zum Vorschein. Da muss ich ganz vorsichtig sein, damit es nicht zu einer Retraumatisierung kommt.

Was raten Sie Flutopfern, die psychologische Hilfe in Anspruch nehmen möchten?

Kreb-Kiwitt: Jeder sollte individuell schauen, wo er gerade steht und welche Ressourcen er hat. Bin ich gut eingebunden in familiäre und freundschaftliche Strukturen, kann ich ganz gut durch diese belastende Zeit kommen. Aber wenn ich eher ein Mensch bin, der viel mit sich selber ausmacht und denkt, das muss ich doch alleine bewältigen, ist es gegebenenfalls sinnvoll, nach einer psychologischen Begleitung zu suchen. Ich würde den Leuten auch sagen: hört gut auf euer Bauchgefühl. Welche Emotionen kommen hoch und was machen sie mit euch? Schaut auf eure körperlichen und psychischen Reaktionen um das Risiko einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zu minimieren.

Wie kommt man vom Trauma zur Posttraumatischen Belastungsstörung?

Kreb-Kiwitt: Eine außergewöhnlich belastende Situation, wie die der Flutnacht, hat mehrere Phasen: Die sogenannte Schockphase tritt während dem traumatischen Ereignis und bis zu einer Woche danach auf. Nach ein bis zwei Wochen kommt eine Einwirkungsphase, in der Verarbeitung stattfinden kann und der Mensch merkt, was überhaupt passiert ist. Dabei können Symptome wie Schlafstörungen, Albträume, Flashbacks, Angstzustände, Trauer, Wut und Vermeidungsverhalten auftreten. Wird die Phase nicht gut bearbeitet und bleibt sie länger als drei bis sechs Monate bestehen, können sich die Symptome chronifizieren, die Gefahr einer PTBS besteht. Daher ist jetzt die wichtige Phase, in der die Betroffenen auf sich achtgeben sollten.

Was raten Sie Angehörigen von Flutopfern, die sehen, dass jemand Hilfe nötig hätte, wenn dieser sich aber weigert, sie in Anspruch zu nehmen?

Kreb-Kiwitt: Dann sollten sich die Angehörigen selbst Unterstützung holen, damit sie damit umgehen können, dass der- oder diejenige vielleicht noch etwas Zeit braucht. Es ist wichtig, diese Betroffenen nicht zu sehr zu bedrängen, denn jeder hat seine individuellen Kompetenzen, mit herausfordernden Lebenssituationen umzugehen.

Sie sind selber vom Hochwasser betroffen. Wie ist es Ihrer Praxis in Odendorf ergangen?

Kreb-Kiwitt: Wir hatten Wasser im Keller und somit auch in meiner Praxis. Zurzeit ist der komplette Bereich leergeräumt und wir haben Bautrockner im Einsatz. Ich hoffe, dass ich die Räume Mitte Oktober wieder nutzen kann.

Wie ist es für Sie als vom Hochwasser Betroffene, andere Betroffene zu beraten?

Kreb-Kiwitt: Als selbst Betroffene kann ich zurzeit noch besser die Gefühle, die meine Ratsuchenden haben, nachvollziehen. Da ich als Gestalttherapeutin sehr auf der Resonanzebene arbeite, ist das im Moment ein sehr großer Vorteil, denn der Kontakt ist viel schneller da und die Ratsuchenden fühlen sich besser verstanden.

Wie arbeitet eine Gestalttherapeutin?

Kreb-Kiwitt: Das ist ein Therapieverfahren, das im Hier und Heute arbeitet. Wir schauen die aktuelle Situation an, mit der die Klienten zu mir kommen. Das können zum Beispiel Konflikte, depressive Störungen oder Angststörungen sein. Was sind die Auslöser und was kann gegebenenfalls aus der Vergangenheit mit reinspielen? Es geht nicht um Ratschläge oder Verhaltensänderungen, sondern die Gestalttherapie unterstützt Personen dabei, ihren eigenen Weg zu finden: wie will ich sein? Sie ist also eine Form der Ich-Findung.

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