Blinde Aktivistin Sabriye Tenberken zu Gast bei Swisttaler Lesetagen

SWISTTAL-MORENHOVEN · Sie gründete in Tibet ein Blindenzentrum und in Indien ein Institut für soziale Visionäre. Die mit zwölf Jahren erblindete Sabriye Tenberken und ihr Lebenspartner Paul Kronenberg berichteten bei den Swisttaler Lesetagen.

Es sind nicht nur die „großen“ Politiker, die die Welt verändern können. Auch scheinbar „kleine“ Menschen, die selbst oft am Rande der Gesellschaft stehen, können die Welt für Tausende lebenswerter machen. Über solche Weltveränderer berichteten Sabriye Tenberken und ihr Partner Paul Kronenberg bei den Swisttaler Lesetagen im Bürgerhaus Morenhoven.

Das Paar ist überzeugt: Man kann lernen, die Welt zu verändern. Und führt auch den Beweis. Denn als logische Folgerung aus ihrem Credo haben sie vor neun Jahren im südindischen Kerala das „kanthari“-Institut für soziale Visionäre und Weltveränderer gegründet. Dort lernen Teilnehmer aus aller Herren Länder alles, was sie brauchen, um ihre Visionen von einer sozialeren, gerechteren und friedlicheren Welt tatsächlich Wirklichkeit werden zu lassen.

Mit Erzählungen aus ihrem eigenen Leben und ihren eigenen Erfahrungen, Filmausschnitten und Lesungen aus ihrem Buch „Die Traumwerkstatt von Kerala – Die Welt verändern, das kann man lernen“ fesselten sie ihre Zuhörer. Beide reisen jedes Jahr durch Afrika und Indien, um die verschiedenen Projekte, die die kanthari-Teilnehmer dort umsetzen, kennenzulernen.

Menschen mit Behinderung sind oft besonders motiviert

„Es sind diejenigen, die besonders wütend sind über ihre eigene Situation, die ihr Projekt am meisten vorwärts bringen“, stellte Tenberken fest. „Wut darf aber nicht Wut bleiben. Sie muss sich umwandeln in Kreativität.“ Wie bei Nicholas Kimuyu, blinder Absolvent des kanthari-Instituts 2011, der in Kenia mit „Victor’s Academy“ eine inklusive Vorschule für nicht-behinderte und behinderte Kinder gegründet hat.

Normalerweise werden Kinder mit Behinderungen in den dortigen Grundschulen nicht akzeptiert. Um Victor’s Academy zu gründen und anerkannt zu bekommen, musste sich Nicholas gegen Korruption und Prinzipienreiterei durchsetzen. Inzwischen hat er über 80 Kindern mit verschiedenen Behinderungen an der Schule vermittelt, dass sie „viel erreichen können entgegen jeglichem begrenzenden Faktor“.

Ein anderer Absolvent ist Ojok, Umweltaktivist, Bienenzüchter und blind. In seinem Trainingszentrum in Uganda bildet er Blinde zu Imkern und Umweltschützern aus. Wenn Sabriye Tenberken sagt, „Behinderung fördert die Innovationskraft“, ist ihre eigene Lebensgeschichte dafür ein besonderes Beispiel. 1970 in Köln geboren und aufgewachsen in Morenhoven, besuchte sie zunächst eine Waldorfschule.

"Ich musste ein Problemlöser werden"

Im Alter von zwölf Jahren erblindete sie völlig und erlebte den Schock des rapiden Verlustes ihrer Sehkraft und parallel der sozialen Kontakte. „Das Schlimmste war die Angst vor der Dunkelheit und vor der Isolation“, sagte sie. Aber es sei gar nicht dunkel geworden. Sie verglich dies mit dem Lesen eines Buches, wenn man all das dort Beschriebene in seiner Vorstellung sehe.

Ihre Erblindung wollte sie nicht als Verlust erleben, sondern in Positives kehren: „Ich musste ein Problemlöser werden. Das macht erfindungsreich und fördert die Imaginationskraft, die sich noch um ein Vielfaches gesteigert hat, seit ich blind bin.“

Sie studierte in Bonn Tibetologie, Soziologie und Philosophie und entwickelte eine Braille-Blindenschrift in tibetischer Sprache. Nach einer Reise nach Tibet gründete sie gemeinsam mit dem Niederländer Paul Kronenberg in Lhasa das Blindenzentrum „Braille without Borders“.

Beide erhielten für ihr Engagement vielfache internationale Auszeichnungen. Das Blindenzentrum wird heute geleitet von Schülern der ersten Generation. Andere ehemalige Schüler betreiben einen integrativen Kindergarten, eine Massageklinik oder studieren.

Infos unter www.kanthari.org.

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