Flüchtlingsunterkunft Wiesenau Mit Autorität und Einfühlungsvermögen

WACHTBERG · Tülün Kahlenberg leitet mit viel Erfolg die Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Hotel Wiesenau. Als Quereinsteigerin nahm sie die Herausforderung an und hat sich inzwischen bei Flüchtlingen, Ehrenamtlern und DRK-Vertretern viel Respekt verschafft.

 Tülin Kahlenberg leitet im Auftrag des DRK die Flüchtlingsunterkunft Hotel Wiesenau der Gemeinde; hier auf dem Samstagstreff bei einem Sprachkurs von Eike Brocke (l).

Tülin Kahlenberg leitet im Auftrag des DRK die Flüchtlingsunterkunft Hotel Wiesenau der Gemeinde; hier auf dem Samstagstreff bei einem Sprachkurs von Eike Brocke (l).

Foto: Axel Vogel

Zur Leitung einer Flüchtlingsunterkunft braucht es viele Qualitäten, gerade wenn unterschiedliche Nationalitäten oft über Monate auf engem Raum miteinander auskommen müssen. Nicht immer ist eine profunde sozialpädagogische Ausbildung nötig, und es ist zudem nicht immer per se ein Mann für den Job prädestiniert. Durchaus kann auch eine Frau diese Herausforderung schultern, vorausgesetzt, man respektive frau verfügt neben einer natürlichen Autorität, Organisationstalent und Fingerspitzengefühl auch über ein Herz am rechten Fleck. So wie das bei Tülün Kahlenberg der Fall zu sein scheint, einer türkischen Kurdin, die seit 17 Jahren in Deutschland lebt, und sich hier längst zu Hause fühlt.

Obwohl die Frau keine Erfahrung in Sachen Flüchtlingsarbeit hat, leitet die Quereinsteigerin seit der Jahreswende die Pecher Flüchtlingsunterkunft Hotel Wiesenau der Gemeinde, „und das sehr umsichtig“, wie ihr Michael Bau bescheinigt. Bau ist Geschäftsführer des Wachtberger DRK, das zusammen mit dem Ökumenischen Arbeitskreis und der Gemeinde für die Betreuung der Flüchtlinge zuständig ist. Gleichzeitig ist Bau auch Kahlenbergs Chef, denn seit Ende des Jahres hat der DRK-Geschäftsführer sie als eine Art Quartiersmanagerin für die Flüchtlingsunterkunft eingestellt.

Die Entscheidung hat Bau bislang nicht bereut. Denn Tülün Kahlenberg schafft seit Monaten das, was anderen Stadtvätern in ihren Unterkünften zunehmend Sorge bereitet: Ein reibungsloses Miteinander zu gewährleisten, auch wenn der Integrationsprozess aus Sicht vieler Flüchtlinge oft nur schleppend in Gang kommt und sich ein Gefühl von Perspektivlosigkeit breitzumachen droht.

Wenn man so will, ist die 37 Jahre alte DRK-Mitarbeiterin ein Musterbeispiel für gelungene Integration. Mit ihrem Mann und den beiden Kinder lebt die Frau im Wachtberger Nachbarort Oedingen, der zu Remagen gehört. Zuletzt arbeitete Kahlenberg, die auch über ein Abitur verfügt, in der Gastronomie des Hotels Wiesenau, das bekanntlich den Betrieb eingestellt hat. Als DRK-Geschäftsführer Michael Bau Ende vergangenen Jahres eine Leiterin für die Flüchtlingsunterkunft suchte, empfahl ihm der Eigentümer Tülün Kahlenberg als erste Wahl: „Ich habe sie sofort eingestellt, als ich hörte, dass sie auch Arabisch spricht“, erinnert sich Bau.

Aber nicht nur ihre Sprachkenntnisse kamen Tülün Kahlenberg in ihrem neuem Job zugute: „Ich kenne auch die Mentalitäten vieler Flüchtlinge“, sagt sie. Die Belegung der Wiesenau bestätigt: Wer in der Einrichtung etwas organisieren will, sollte mit Menschen aus Nigeria und Tadschikistan ebenso zurechtkommen wie mit Flüchtlingen aus Syrien.

Zudem ausgestattet mit einem fürsorgenden, aber gleichwohl Autorität ausstrahlenden Führungsstil füllte Baus Mitarbeiterin ihre neue Rolle schnell mit Leben. Kahlenberg interpretiert ihre Aufgabe als eine Art „zentraler Kümmerer“ bei der Alltagsbewältigung, der über das Übersetzen von Briefen bis zur Begleitung bei Behördengängen reicht. Aber auch das gehört dazu: „Alle Bewohner der Flüchtlingsunterkunft müssen sich an Regeln halten“, bekräftigt sie.

Regeln sind vor allem wichtig, „um ein möglichst strukturiertes Tagewerk zu organisieren“, so Kahlenberg. Dazu zählt sie etwa „die Aufstellung eines „Putz- und Essensplans“. Vor allem aber auch die Teilnahme an den beinahe täglich angebotenen Integrations- und Sprachkursen vor Ort. Kahlenberg achtet akribisch darauf, dass die Hausbewohner, die für eine Teilnahme vorgesehen sind, auch mitmachen, weil sie aus eigener Erfahrung weiß: „Die deutsch Sprache zu lernen ist das A und O, um sich integrieren zu können.“

Wie groß die Herausforderungen sind, lässt sich exemplarisch beim „Samstagstreff“ erleben, den der Ökumenische Arbeitskreis seit Anfang des Jahres auch in der Wiesenau anbietet. Dabei bekommen jene Flüchtlinge Deutschunterricht, die noch nicht an offiziellen, etwa vom BAMF oder der Agentur für Arbeit geförderten Sprachkursen teilnehmen dürfen. Etwa 20 Ehrenamtler des Ökumenischen Arbeitskreises um Anne Förster-Palmer betreuen den Unterricht.

Die ehemalige Gaststube des Hotels gleicht dann einem großen Klassenraum. An jedem Tisch wird gearbeitet. „Die Hausbewohner bekommen in kleinen Gruppen Unterricht, „und zwar jeder nach seinem Leistungsvermögen“, erklärt Kahlenberg: „Analphabeten genauso wie Akademiker.“ Dabei hat Kahlenberg immer ein Auge auf ihre Schützlinge. Sie weiß genau, wer mit wem an welchem Tisch sitzt, und wer sich auf welcher Leistungsstufe befindet.

Mit ihrem Führungsstil genießt die Frau nicht nur bei den Flüchtlingen Respekt. Geringschätzung oder gar Anmache von Männern sind ihr völlig fremd: „Ich habe hier noch nie einen blöden Spruch zu hören bekommen.“ Aber auch mancher Ehrenamtler schätzt ihre Arbeit hoch ein: „Die Art und Weise, wie Tülün Kahlenberg die Einrichtung führt, ist eine ungeheuer wichtige Unterstützung für die Flüchtlinge bei ihrem Integrationsprozess“, sagt Kurt Zimmermann vom Ökumenischen Arbeitskreis.

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