Albürgermeister forscht nach Oberbachem als Wiege regionaler Raiffeisen-Geschäfte

Wachtberg-Oberbachem · Der Raiffeisen-Gedanke sollte insbesondere Landwirten leistbare Kredite ermöglichen. Die Geschäftsidee feiert in diesem Jahr sein 150. Jubiläum in Wachtberg. Der dazu forschende Altbürgermeister Paul Giersberg erklärt, was es damit auf sich hat.

 Altbürgermeister und Heimathistoriker Paul Giersberg trägt die Daten und Fakten zur Gründung der Raiffeisenläden und -banken in Wachtberg zusammen.

Altbürgermeister und Heimathistoriker Paul Giersberg trägt die Daten und Fakten zur Gründung der Raiffeisenläden und -banken in Wachtberg zusammen.

Foto: Petra Reuter

In Wachtberg feierte die Umsetzung des Raiffeisengedankens in diesem Jahr 150. Jubiläum. Das nahm Altbürgermeister, Hobbyhistoriker und Leiter des Oberbachemer Arbeitskreises Heimatgeschichte Paul Giersberg zum Anlass, sich näher mit Ursachen, Wirkungen und jüngsten Entwicklungen der genossenschaftlich organisierten Läden und Banken zu befassen. „Tatsächlich waren wir hier in Oberbachem nur sechs Jahre nach dem Aufkommen der Idee die Wiege der Läden und dieser Bank in der Region“, berichtet er.

Erstmals setzte Hermmann Schulze-Delitzsch den Genossenschaftsgedanken in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Potsdamer Raum um. Was durch dessen Bemühungen dem gewerblichen Mittelstand im Schuhmacher- und Tischlerhandwerk zum Vorteil gegenüber dreisten Forderungen aus Knebelverträgen gereichte, griff der Westerwälder Friedrich Wilhelm Heinrich Raiffeisen für die Landwirtschaft auf. Wucherzinsen, Überschuldungen und Zwangsversteigerungen waren dort an der Tagesordnung. Wegen der damals geringen Ausbildung im gemeinen Volk begriffen viele Menschen erst mit dem vollständigen Verlust ihrer Habe, welche Verträge sie zuvor bei den Mächtigen unterschrieben hatten.

Ursprüngliche Organisation der Bank ist nicht vergleichbar mit heutiger

„Dem wollte Raiffeisen durch die günstigen Darlehen Einhalt gebieten“, sagte Giersberg. Finanziert durch Bürgschaften der Mitglieder des ersten landwirtschaftlichen Hilfsvereins erhielten mittellose oder in Not geratene Landwirte mit einer Finanzspritze Hilfe zur Selbsthilfe. „Das hat man nur sechs Jahre nach der Vereinsgründung von Raiffeisen bei uns in Oberbachem aufgegriffen“, erzählt der Heimathistoriker. Um die Einkaufspreise zugunsten der Landwirte zu beeinflussen, entstand in Oberbachem der erste genossenschaftlich organisierte Raiffeisenmarkt. Bis heute bietet er vom Saatgut über Gartengerät bis zum Dünger alles rund um die Landwirtschaft. „Die Bank entstand direkt daneben“, so Giersberg.

Allerdings könne man die Organisation des Geldinstitutes in seinen Anfangszeiten nicht mit der heutigen vergleichen, erklärte der Altbürgermeister. Damals unterstand der praktische Betrieb einer Bankfiliale tatsächlich einer einzigen Person, dem sogenannten Rechner. Der kümmerte sich um alle für den Betrieb relevanten Berechnungen, gab Geld aus und nahm Einzahlungen an. Als erster übernahm seinerzeit der Oberbachemer Peter Josef Schell diese Aufgabe. Im Laufe der eineinhalb Jahrhunderte überstanden die wachsenden Filialen etliche Erweiterungen und die Währungsreformen vom Taler über die Reichsmark zur D-Mark, später zum Euro. In den vergangenen Jahren nutzte man Synergieeffekte. Weil die Volks- und Raiffeisenbanken alle ähnliche Strukturen aufwiesen, habe man die Energien gut bündeln können, sagte Giersberg.

Drei Volksbank-Raiffeisen-Filialen stehen heute in Wachtberg

Im Jahr 1872 gründeten die ersten 26 Mitglieder den Oberbachemer Darlehenskassenverein als Einkaufsgemeinschaft und genossenschaftliche Selbsthilfeeinrichtung. Bis zum 75-jährigen Bestehen 1947 wuchs die Anzahl der Mitglieder auf 220. Unter den ersten Ausleihen der Landwirte fand Paul Giersberg einen Betrag von 180 Talern für eine Kuh und 15 Taler für einen anderen Landwirt, der mit diesem Betrag scheinbar einen klammen Monat überbrücken konnte.

Hundert Jahre später lagen die Ausleihen im Jahr bei rund 3,2 Millionen Euro. Heutzutage weist die Bilanz des Zusammenschlusses insgesamt 1,365 Milliarden Euro aus. In Wachtberg gibt es zurzeit drei Volksbank-Raiffeisen-Filialen. Eine mobile am Adendorfer Dorfplatz und die Villiper Filiale an der Holzemer Straße 16 gehören der Genossenschaft Volksbank Euskirchen an, eine weitere der Raiffeisenbank Voreifel befindet sich an der Rathausstraße 21 bis 23 in Berkum.

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