Gefühl der Unsicherheit bleibt So leben zwei geflüchtete Frauen in Wachtberg
Wachtberg · Wenn Shaden Sabouni und Mitra Azizkhani auf das Jahr zurückblicken, fällt das etwas anders aus als bei anderen Wachtbergern. Wieder ein Jahr gemeistert, wieder etwas mehr angekommen in dem Land, das neue Heimat werden soll. Die eine floh 2017 aus Syrien, die andere ließ vor zwei Jahren den Iran hinter sich.
Im Bücherregal hat sich der Duden zur syrischen und englischen Literatur hinzugesellt. Doch so klar strukturiert wie alles in der Wohnung von Shaden Sabouni wirkt, sieht es in ihrem Innern nicht aus. „Aleppo war eine traumhaft schöne Stadt“, erzählt die 43-Jährige. Als sie 2014 von dort in die Hafenstadt Tartus flüchtete, sah das schon anders aus: Kein Strom, keine Heizung mehr, sämtliche Kulturgüter und Fabriken zerstört, von ihrem Haus blickte die Muslima auf Flaggen der Terrormiliz Islamischer Staat.
Ihr Mann floh zuerst
Die Religion habe im Leben ihrer Familie vorher nie eine Rolle gespielt. Sie stammt aus einer Seifendynastie, ihrem Vater Yousef Sabouni, einem angesehenen Künstler, hatte die Stadt nach seinem Tod 2003 ein Buch gewidmet. Auch das ist mit nach Niederbachem gekommen. Von einem Tag auf den anderen war die studierte Englisch-Lehrerin gezwungen, zu Hause zu sitzen. „Vor dem Krieg trug fast niemand Kopftuch, jetzt war ich die einzige Frau ohne“, erinnert sie sich zurück. Ihr kurdischer Mann machte 2015 den Anfang und floh nach Deutschland. Der IT-Experte, zuvor bei Apple beschäftigt, hatte gehofft, seine Familie nachholen zu können. Das scheiterte.
Nachdem die beiden Kinder in der neuen Schule immer mehr Repressalien erfahren hatten, entschied seine Frau, dass Tartus kein Ort war, um zu bleiben. „Wir waren fremd“, sagt sie leise. Ihrem Mann erzählte sie nichts, sie habe ihn nicht beunruhigen wollen; am Handy gab sie stets vor, noch in Syrien zu sein. Sabouni organisierte sich einen Schleuser und begab sich mit den Kindern über den Libanon, den Irak, den Sudan und Katar in ein neues Leben. Die Flucht über Land sei sehr gefährlich und lang gewesen: „Aber ich wollte auf keinen Fall übers Meer.“
Die Wohnung ist der aus Aleppo nachempfunden
Das Ziel war Fulda, wo ihr Mann sich mit Jobs über Wasser hielt. „Er hat bis heute 200 Bewerbungen geschrieben, aber es fehlen Zeugnisse “, so seine Frau. Sie jedoch machte vor Ort einen Master in Business-English und BWL, erhielt einen kleinen Lehrauftrag. Vor etwas mehr als einem Jahr zog die Familie ins Ländchen. Er übernahm die Leitung einer Backfiliale in Siegburg, sie setzt ihren Doktor oben drauf. Tochter und Sohn besuchen Gymnasien in Bad Godesberg, alles könnte perfekt sein. „Wir haben zwar einen unbefristeten Aufenthaltstitel, aber trotzdem stellt sich bei mir kein Gefühl der Sicherheit ein“, umschreibt die 43-Jährige ihre Ängste.
Deshalb schafft sie sich dieses Gefühl zu Hause, hat die Wohnung ihrer zurückgelassenen nachempfunden: Die Tagesdecke auf dem Sofa hat sie nachgehäkelt, ähnliche Bücher, gleiche Farben, wieder Katzen angeschafft. Ehrenamtlich engagiert sie sich in der Flüchtlingshilfe in Bad Godesberg und Wachtberg, hat die Ausbildung zur Integrationslotsin absolviert. Und sieht sich dennoch nicht dort ankommen, wo sie gerne hinwürde: als Professorin an einer Uni.
„Mit einer schlechteren Qualifikation findet man eher etwas“, ist ihre Erfahrung. Sie möchte auf keinen Fall undankbar wirken, aber sie vermisst ihre Heimat, obwohl da bis auf drei Tanten niemand mehr ist, den sie kennt. „Wo gehöre ich hin?“, das ist eine der zentralen Fragen, die sie auch 2022 wieder umtreiben wird.
Der Besuch der Hauskirche einer Nachbarin wurde ihr zum Verhängnis
Das kleine goldene Kreuz am Hals von Mitra Azizkhani fällt als Erstes auf, die Osterkerze auf dem Schrank samt Engel danach. „Ich wollte immer Christin sein“, beantwortet die 44-jährige frühere Muslima die nicht-gestellte Frage. In Karadsch, nahe Teheran, hatte sie schon regelmäßig Gottesdienste in der Hauskirche einer Nachbarin besucht. Inklusive Taufe. Das blieb nicht unbeobachtet. „Ein muslimischer Nachbar hat mich angeschwärzt“, sagt sie zur Hausdurchsuchung, die stattfand, während sie mit Mann und zwei Kindern 2019 auf einer Italien- und Deutschlandreise war. Ihr Vater habe sie angerufen und klargemacht, dass sie als Konvertitin nicht zurückkehren könne. Sohn Kiarash stand da kurz vor dem Abi, sie selbst war Stationsleitung in einem Krankenhaus.
„Ich habe viel geweint“, sagt Azizkhani über das, was folgte. Um nicht den Überblick zu verlieren, hat sie die Stationen in einem kleinen Notizbuch festgehalten. Von Düsseldorf ging es für 40 Tage nach Bonn in eine Gemeinschaftsunterkunft, dann fünf Monate nach Euskirchen, in die Alte Schule nach Berkum und schließlich in eine Mini-Wohnung nach Gimmersdorf.
„Wir haben uns in der Zeit selbst Deutsch beigebracht“, sagt Sohn Kiarash ohne merklichen Akzent. Über die evangelische Gemeinde haben die vier eine Wohnung in Berkum gefunden. Das war wichtig, denn die achtjährige Tochter besucht hier die Grundschule, nochmal wollte man sie nicht herausreißen. Aber auch Mutter Mitra brauchte dringend mehr Raum. „Ich habe sehr mit Depressionen gekämpft“, erklärt sie.
Antrag auf Asyl wurde abgelehnt
Dazu mag auch beigetragen haben, dass ihr Antrag auf Asyl abgelehnt worden war, sie Ausweise für sechs Monate erhielten. „Wir haben gegen die Ablehnung Beschwerde eingelegt, denn wenn ich als Christin zurückgehe, bin ich tot“, betont die Mutter. Leider erkenne das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die damalige Haustaufe nicht an. Der Rest ihrer Familie ist letztes Jahr in Wachtberg getauft worden.
Ihre Chancen, in Deutschland bleiben zu können, will die Familie durch Ausbildung und Arbeit steigern. Der Vater, früher Lebensmittelkontrolleur, absolviert Sprachkurse und hat Minijobs; der Sohn hat binnen kürzester Zeit Haupt- und Realschulabschluss nachgeholt und bastelt gerade an seinem Fachabi auf der Höheren Handelsschule in Duisdorf.
Mutter Mitra hatte im Gegensatz zu ihrem Mann Glück, dass ihr Vater ihre Arbeitszeugnisse retten konnte und diese anerkannt wurden. Sie hat mittlerweile einen unbefristeten Vertrag im Waldkrankenhaus, die Probezeit fast hinter sich und ist derzeit in der Notfallambulanz und der inneren Ambulanz eingesetzt. „Ich fühle mich sehr wohl, gerade deshalb ist es stressig, nicht zu wissen, was mit uns passiert.“ Emotional aber greift sie vor allem an, dass sie ihren kranken Vater auch im kommenden Jahr nicht in die Arme schließen, sondern nur über Whatsapp sehen wird.