Migranten im Ländchen Wachtberger Flüchtlingshelfer fühlen sich allein gelassen

Wachtberg · Die ehrenamtlichen Helfer vom Roten Kreuz und vom Ökumenischen Arbeitskreis beklagen, dass Bürokratie und rechtliche Vorschriften ihre Arbeit erschweren. In Ländchen kümmern sie sich um rund 290 Flüchtlinge.

 Fühlen sich wohl in Wachtberg: der syrische Flüchtling Mohamad Housen (3 v.l.) und seine Frau Falak (Mitte), sowie die Kinder (v.l.) Roudi (12), Elin (5), Avin (7), und  Mohamadbadr (14) (Tochter Lava (16) fehlt).

Fühlen sich wohl in Wachtberg: der syrische Flüchtling Mohamad Housen (3 v.l.) und seine Frau Falak (Mitte), sowie die Kinder (v.l.) Roudi (12), Elin (5), Avin (7), und  Mohamadbadr (14) (Tochter Lava (16) fehlt).

Foto: Axel Vogel

Die Betreuung von Flüchtlingen, die 2015 und 2016 zu Hunderttausenden nach Deutschland kamen, war lange Zeit auch in Wachtberg das beherrschende Thema. Kein Wunder, im November 2016 mussten allein auf Gemeindegebiet 428 Flüchtlinge untergebracht werden. Laut Gemeindesprecherin Margrit Märtens war damals der Höchststand erreicht.

Neben der Gemeindeverwaltung waren vor allem das Deutsche Rote Kreuz und der Ökumenische Arbeitskreis weitere Säulen der Flüchtlingsbetreuung. Mittlerweile sind die Fallzahlen gesunken – und damit ist auch das Thema aus dem Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Zum Leidwesen der ehrenamtlichen Flüchtlingsbetreuer, nach deren Dafürhalten die Mühsal der Integrationsarbeit nur noch wenig berücksichtigt wird. Nicht von ungefähr hatte erst Ende Januar Ehrenamtskoordinatorin Katja Ackermann eine entsprechende Brandrede im Sozialausschuss gehalten. Höchst bedauerlich findet die ganze Situation auch Kurt Zimmermann, Vorsitzender des Ökumenischen Arbeitskreises. Er sagt: „Uns bereiten bei der Betreuung die Bürokratie und eine Vielzahl von rechtlichen Vorschriften große Probleme.“

Anfang des Jahres zählte Ackermann etwa 280 bis 290 geflüchtete Menschen, die von den haupt- und ehrenamtlich Tätigen in der Flüchtlingshilfe der Gemeinde betreut werden. „Davon sind etwa 162 anerkannt. Das heißt: Sie haben eine Bleibeperspektive von mindestens ein bis drei Jahren hier in Deutschland.“ 82 befänden sich noch im Verfahren und warteten auf eine Entscheidung in ihrem Asylverfahren. „Etwa 40 Personen sind geduldet“, so Ackermann weiter. Für die Flüchtlingshilfe wird dabei gerade diese vergleichsweise kleine Gruppe von rund 20 Prozent zu einer besonderen Herausforderung. Abgelehnte Asylbewerber müssten – streng genommen – ausreisen, bleiben aber trotzdem auf unbestimmte Zeit, weil sie einen Duldungsstatus haben oder eine Abschiebung rechtlich nicht möglich ist. Ihre Perspektiven sich integrieren zu können, sind oft gering.

Laut Bürgermeisterin Renate Offergeld machen ihrer Verwaltung vor allem die sogenannten Dublin-III-Fälle zu schaffen. Dabei handelt es sich um Flüchtlinge, die in einem anderen Land der Europäischen Union eingereist sind, das dadurch rechtlich für das Verfahren verantwortlich ist und wohin die Asylbewerber zurückgeführt werden müssten. Das scheitert aber oft aus den unterschiedlichsten Gründe, wie Jens Dieckmann im GA-Interview erklärt. Für Offergeld sind diese Dublin-III-Fälle eine zusätzliche Last, „die auf die Kommunen abgewälzt wird“. Schließlich müsse die Gemeinde für deren Unterhalt und Unterkunft aufkommen.

Viel Aufwand muss die Gemeinde auch für die Betreuung einer dritten Gruppe betreiben: Für derzeit 39 anerkannte Flüchtling, die eine Wohnsitzauflage haben. Heißt: Die Verwaltung muss sie versorgen und unterbringen. Für Bürgermeisterin Offergeld, deren Gemeinde über keinen sozialen Wohnungsbau verfügt, ein weiteres Problem. „Dieser Wohnraum, fehlt uns dann für neue Flüchtlinge“, sagte Offergeld. Anfang 2020 lebten etwa 120 geflüchtete Personen in den Unterkünften der Gemeinde. 39 Personen davon sind anerkannte Geflüchtete, die mangels bezahlbarem Wohnraum in den Unterkünften bleiben. Ebenso 64 Geflüchtete, die noch auf eine Entscheidung ihrer Asylverfahren warten und 16 Menschen, deren Asylverfahren abgelehnt wurde.

Für Flüchtlingsbetreuer wie Karl-Heinz Bialas wird es zunehmend schwerer, Menschen mit einer geringen oder keiner Bleibeperspektive zu motivieren. „Da gibt es immer mehr Zündstoff.“ Aus der Praxis von Tülin Kahlenberg, Flüchtlingsexpertin beim Roten Kreuz, ist das teils erklärlich: „Für diese Gruppe gibt es inzwischen so gut wie keine Angebote von öffentlicher Seite mehr.“

Selbst bei anerkannten Flüchtlingen, die aus Syrien kommen, tut sich für die Betreuer ein unerwartetes Problem auf: Im Zuge des von der Bundesregierung 2019 verabschiedeten Migrationspaktes werden die Altfälle vom Bundesamt für Migration und Flüchtlingen (BAMF)  nochmals hinsichtlich ihrer Identität und ihrer Fluchtgründe überprüft. Laut Zimmermann führe das bei Betroffenen wie der Familie Housen „zu einer großen Verunsicherung“.

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