GA-Serie „Rheinische Redensarten“ Wat et all jitt!?

Bonn · Eine Frage, auf die man eigentlich keine Antwort haben möchte: Davon hätten wir in dieser Episode der Rheinischen Redensarten einen vortrefflichen Vertreter.

 "Wat et all jitt!?"

"Wat et all jitt!?"

Foto: GA-Grafik

Der Rheinländer ist von Geburt an ein ausgesprochenes rhetorisches Talent. Er beherrscht nicht nur die flüssige Rede auf hohem Niveau praktisch völlig ohne zu stocken, sondern auch weitreichende Sinngebung in kurzen, knappen und allgemeingültigen Sätzen. Eine solche rheinische Redewendung ist die Aussage, oder vielmehr die Frage: "Wat et all jitt!?"

Das ist in seiner Einsilbigkeit schon kaum zu toppen. Vor allem, wenn man dem gegenüberstellt, was es an Bedeutungstiefe in sich trägt. Die wörtliche hochdeutsche Übersetzung wäre wohl: Was es (nicht) alles gibt!? Da es hier keinerlei kritische oder unverständliche Vokabeln gibt, können wir uns direkt auf die Anwendungsbereiche im Alltag stürzen. Diese Frage drückt üblicherweise eine überaus große Verwunderung aus. Immer dann, wenn ein Zeitgenosse mit einer Tatsache um die Ecke kommt, mit der das Gegenüber auf keinen Fall gerechnet hat. Dabei ist die Daseinsform als Frage nur vorgetäuscht. Obwohl der Satz mit einem Fragepronomen eingeleitet wird, möchte hier niemand tatsächlich eine Antwort.

Ehrlicherweise dürfte der Sprecher nicht fragen: "Wat et all jitt?", sondern müsste feststellen: "Dat jitt et doch net" (Das gibt es doch nicht). Die beiden Wendungen sind bedeutungsmäßig Zwillinge und werden oft synonym eingesetzt.

Doch es ist nicht nur schlicht Überraschung oder Ungläubigkeit, die sich in dem Satz ausdrückt. Es schwingt auch eine Nuance mit, dass die vorliegende Tatsache nicht gerade gesellschaftsfähig und mit den allgemeinen Gepflogenheiten vereinbar ist. Es handelt sich also durchaus um ein wertendes Urteil, das sich hier Bahn bricht.

Nehmen wir mal ein Beispiel: Ein älterer Mann, der seit jeher als guter Christ und treuer Ehemann galt, verkündet, dass er eine junge Freundin hat und sich von seiner angejahrten, beziehungsberechtigten Frau trennt. Hier ist der Satz angebracht und anwendbar. Oder der Mathelehrer, der schon viele Schülergenerationen mit Infinitesimalrechnung gequält hat - Sie wissen schon: Limes von X gegen unendlich in Klammern Y hoch zwei minus vier geteilt durch X zwei minus zwei - muss zugeben, dass er die Zahl Pi nur bis zur vierten Stelle hinter dem Komma kennt. Beides ist nach normalen menschlichen Maßstäben nicht hinnehmbar und muss mit dem folgenschweren Satz sanktioniert werden: "Wat et all jitt!?" Der Ausdruck ist also ganz klar ein Wolf im Schafspelz. Er ist viel gefährlicher, als er aufs erste Hinhören wirkt. Einen ähnlichen Fall hatten wir schon bei der vernichtenden Frage: "Wer fröht disch noh dä Uhrzick?"

Da knistert es förmlich zwischen den Gesprächspartnern, und es wäre am besten, wenn einer der beiden den Rückzug anträte.

Haben auch Sie einen rheinischen Lieblingsspruch, dann mailen Sie ihn uns unter rheinisch@ga.de.

Der General-Anzeiger bietet in Zusammenarbeit mit LVR-Sprachforscher Peter Honnen den Podcast "So geht Rheinisch". Nähere Infos unter dem Link: www.ga.de/podcast.

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