Doppelter Abiturjahrgang Schüler berichten: "Ich bin froh, ich habe Zeit gewonnen"
BONN/BAD HONNEF · Nach bestandener Reifeprüfung berichten Schüler aus dem letzten G9- und dem ersten G8-Jahrgang von ihren Erfahrungen.
Es ist geschafft: Der doppelte Abiturjahrgang hat alle Prüfungen hinter sich, die Zeugnisse sind vergeben, und die meisten Abiturbälle sind auch schon über die Bühne gegangen. Während den Hochschulen der Ansturm des doppelten Jahrgangs noch bevor steht, ist es auf den Schulfluren ruhiger geworden. Denn immerhin sind jetzt zwei Jahrgänge nicht mehr da.
Am Siebengebirgsgymnasium in Bad Honnef etwa waren es 190 Abiturienten. Das Besondere bei zweien von ihnen: Sie sind Brüder. Sowohl der 20-jährige Marco Peschmann als auch sein zwei Jahre jüngerer Bruder André haben parallel über den Klausuren geschwitzt. Während Marco zum letzten Jahrgang gehörte, der in neun Jahren zur allgemeinen Hochschulreife geführt wurde, zählte sein jüngerer Bruder zum ersten G-8-Jahrgang.
Beide sind erleichtert, die Schule hinter sich zu haben. Vor allem André, dem Jüngeren, hatten sich Monate vor dem Abschluss die Haare gesträubt angesichts des scheinbar endlosen Stoff-Berges, wie er dem General-Anzeiger erzählte. Jetzt klingt er, als wäre eine Last von seinen Schultern gefallen. Mit seinem Schnitt von 2,9 ist er rundherum zufrieden. "Es war schon Stress. Ich bin froh, dass ich es hinter mir habe", sagt er.
Die Tatsache, dass er weniger (Schul-)Zeit hatte als sein Bruder, relativiert sich in der Rückschau. "Irgendwie bin ich froh. Ich habe Zeit gewonnen, für meine Ausbildung und ein Studium hinterher", sagt André. Zeit verlieren will der 18-Jährige nicht: Im Herbst beginnt er eine Ausbildung zum Industriemechaniker bei der DLR in Köln, "das war meine absolute Wunschstelle". Und danach ein Maschinenbaustudium? So mit Anfang 20, das klinge gar nicht schlecht, findet André. Zuerst aber steht Urlaub mit Freunden an.
Eine solche Auszeit hat Marco, der Ältere, der dem Abitur entspannter entgegen gesehen hatte als sein Bruder, schon hinter sich. Hauptsache keine Nachprüfung: Als klar war, dass er nicht mehr in die Nachprüfung müsste, jettete er mit Freunden nach Mallorca. "Und mein Abi ist besser als erwartet", freut sich der 20-Jährige über eine 2,5 auf dem Zeugnis. Selbst die viel diskutierte Klausur im Mathe-Grundkurs konnte ihm die Note nicht verhageln. "Ich dachte, die hätte ich verhauen. Aber dann war es eine Zwei minus."
Was die nähere Zukunft angeht, hält er an seinen Plänen fest: Zunächst einmal will er ins Ausland. Australien steht ganz oben auf der Wunschliste. Dafür jobbt der 20-Jährige im Supermarkt. Und das mit dem Studium, entweder Geografie oder Biologie oder vielleicht Betriebswirtschaftslehre, hat ja noch ein bisschen Zeit.
Für Mallika Rewari sollte es mit einem Zahnmedizin-Studium eigentlich im Wintersemester losgehen. Doch das wird wohl nichts. "Die Matheklausur hat mir komplett meinen Schnitt versaut", meint die 18-Jährige. Gegenüber ihrer Vornote verschlechterte sie sich um zwei Noten. Der angestrebte Schnitt von 1,4 war nicht mehr erreichbar. "Dabei hatte ich so viel gelernt."
Auch Wochen danach ist ihre Enttäuschung groß. Schon im Dezember, als Mallika an einem Workshop zur Abi-Vorbereitung teilnahm, hatte sie sich im Gespräch mit dem GA als sehr ehrgeizig bezeichnet, zugleich aber bekundet, dass sie sich vor Prüfungen oft viel Stress mache. Vor den Abitur-Klausuren sei sie so aufgeregt gewesen wie nie zuvor bei einer Prüfung. Ihre Freundin Sophia Hoge hadert nicht so sehr mit Mathematik, auch wenn sie sich ebenso um zwei Noten verschlechterte.
"Als ich gemerkt habe, dass es in der Klausur nicht lief, hab ich mir gesagt: Gut, dass ich nicht mehr um meinen Schnitt kämpfen muss." Schon im vorigen Jahr hatte sie ihre Ausbildungsstelle als Industriekauffrau sicher. Mallika will nun eine Ausbildung in einem Zahntechniklabor oder als Zahnarzthelferin absolvieren, um später doch noch Zahnmedizin studieren zu können.
Beide gehörten zum ersten G8-Jahrgang im Bonner Clara-Schumann-Gymnasium. Und wie sieht ihre Bilanz aus? "Wir mussten immer alles viel schneller machen", sagen sie unisono. Beim Lernen für das Abitur hätte sie zum Beispiel gemerkt, dass ihr Grundlagen aus der Mittelstufe gefehlt hätten, sagt Mallika. Die Lehrer seien mit dem Stoff kaum durchgekommen. Und Sophia ergänzt: Die Schüler aus dem letzten G9-Jahrgang hätten nach Weihnachten nur noch wiederholt.
"Wir haben nie wiederholt." Um auf die gleiche Wochenstundenzahl wie die G9er zu kommen, hätten sie viel mehr Unterricht gehabt, sagt Sophia. So hätten sie zum Beispiel erst am Nachmittag Sport gehabt, danach seien noch einige Stunden an Hausaufgaben nötig gewesen. "Ich hatte keine Freizeit mehr", sagt Mallika rückblickend. Sophia hat wenigstens noch weiter getanzt, also ein Hobby behalten.
Und was würden die beiden 18-Jährigen künftigen Generationen von Schülern wünschen? Dass mehr Stoff weggelassen wird und dass die Schulen besser ausgestattet werden, finden Mallika und Sophia. "Ich hatte montags zum Beispiel die zweite und dritte Stunde frei", sagt Sophia, doch um Hausaufgaben zu machen, sich zu Gruppenarbeiten zusammenzufinden oder zu lernen, hätten Räume gefehlt. Der Ausweg: die Treppenhäuser. Nicht eben motivationsfördernd.
Annabell Arndt aus Sankt Augustin hat auch gerade ihr Abitur bestanden. "An einen Schnitt von 1,3 hätte ich nie geglaubt", meint die 17-Jährige, die acht Jahre lang das Kardinal-Frings-Gymnasium in Beuel besuchte. Ihr Rezept gegen "Depri-Stimmung": "Man darf sich nicht so sehr einreden lassen, dass man keine Freizeit mehr hat." Klar sei, dass man sich anstrengen müsse, "aber es ist machbar". Wichtig sei, dass man Mitschüler finde, mit denen man gut zusammen lernen könne.
Einen ersten Einstieg ins Berufsleben hat sie schon geschafft: mit einem Praktikum beim Festival Junger Künstler in Bayreuth, das am 1. Juli begann. Jetzt hofft sie darauf, dass sie im Herbst an der dortigen Uni den Studiengang Theater und Medien aufnehmen kann - genau den, für den sie sich schon vor einem halben Jahr interessiert hatte, als sie mit dem GA den StudiFinder der NRW-Landesregierung ausprobiert hatte.