Interview So erlebte eine Bonner Studentin das Erdbeben in Nepal

NEPAL · Die Bonner Studentin Milena Rabe hält sich derzeit in Tharkri Chock im Distrikt Terai, an der Grenze zu Indien, in Nepal auf. Dort unterrichtet Rabe in der Navodaya School in einer sechsten und siebten Klasse Englisch.

 Bhaktapur.

Bhaktapur.

Foto: dpa

Das schwere Erdbeben von Samstag hat sie hautnah miterlebt. Via Internet sprach Maximilian Mühlens mit der Studentin über ihre Erlebnisse.

Wie haben Sie das Erdbeben am vergangenen Samstag erlebt?
Milena Rabe: Ich war gerade zusammen mit Kollegen damit beschäftigt, die Betten im Mädchentrakt vorzubereiten, als auf einmal das Haus anfing zu wackeln. Bis dahin habe ich Erdbeben mit einem wackelnden Kochbuch auf dem Regal verbunden. Ich habe es auch nicht sofort realisiert - es war wie im Traum. Wir dachten zuerst, ein Lkw sei zu schnell am Haus vorbeigefahren. Aber das Wanken wurde immer heftiger. Dann fingen alle an zu schreien und rannten nach draußen. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich dachte: Hier könntest du jetzt sterben.

Was haben Sie in dieser Situation dann gemacht?
Rabe: Ich bin auch rausgerannt, war mir allerdings keineswegs sicher, ob ich es noch rechtzeitig aus dem Haus schaffe - wir waren ja im zweiten Stock des Hauses. Wir haben dann alle Kinder auf dem Hof zwischen den Gebäuden versammelt. Der Schock war bei allen riesig, viele haben geweint - einige hatten aber auch ein Lachen im Gesicht, weil sie einfach froh waren, es aus dem Haus geschafft zu haben. Bevor ich zu meiner Schule gereist war, habe ich noch drei Tage in Kathmandu verbracht und die Stadt tatsächlich noch so erleben dürfen, wie sie einmal war - vor allem die Altstadt hat mich beeindruckt, die nun ja leider nahezu zerstört ist. Es ist unvorstellbar.

Haben Sie sich danach unter freiem Himmel aufgehalten?
Rabe: Ja, ganz genau. Wir haben uns nach dem Hauptbeben nur noch draußen aufgehalten. Mit der Zeit kamen dann auch die ersten Nachrichten, dass es noch Nachbeben geben sollte. Auf Planen haben wir dann mit allen 239 Schülern insgesamt drei Nächte draußen verbracht. Ich habe mich aber schon Samstagnacht um zwei Uhr wieder in mein Zimmer getraut und wollte dort schlafen - allerdings wackelte nur drei Stunden später wieder mein Bett und ich bin wieder nach draußen gerannt.

Wie haben denn die Kinder auf das Erdbeben reagiert?
Rabe: Direkt nach dem Beben haben sie versucht, ihre Eltern in den Dörfern zu erreichen, was nicht ganz so einfach war. Denn die Verbindungen sind sehr schlecht. Sie haben sehr viel gesungen und gebetet - viele der Kinder sind keine Christen, sondern glauben an Naturgeister. Sie bemühten sich, wieder Ruhe in die Situation zu bringen. Ich habe Süßigkeiten verteilt - das hat ihnen zumindest ein wenig geholfen.

Aber die Kinder haben schon registriert, dass ihre gewohnte Umgebung, ihre Heimat, zerstört ist?
Rabe: Der Schock über die zerstörten Hütten ihrer Eltern war groß. Die Schule ist relativ unbeschadet davongekommen. Die Kinder sind am nächsten Tag sofort nach Hause gereist, um zu helfen.

Das heißt, dass momentan dort jede Hand gebraucht wird?
Rabe: Ja. Hier an der Schule werden ausschließlich Kinder der Chepangs unterrichtet. Sie sind eine sehr kleine Ethnie in Nepal, die sehr arm sind. Sie leben nur von der Jagd und ihrer kleinen Landwirtschaft. Dass jetzt ihre Hütten zerstört worden sind, ist sehr dramatisch - es verschlimmert ihre ohnehin schon schwierige Situation noch mehr. Die Schule ist für die Kinder kostenlos, weil sich die Familien dies sonst nicht leisten könnten. Die Schule ist eine einmalige Chance. Hätten sie diese nicht, müssten sie ein Leben lang als Bauern in den Bergen arbeiten.

Ihr Aufenthalt in Nepal ist eigentlich bis zum 10. Juni geplant. Bleiben Sie jetzt noch so lange?
Rabe: Ich bleibe hier, werde helfen und die Kinder unterrichten. Schließlich komme ich hier auch derzeit nicht weg. Die Straße nach Kathmandu ist gesperrt - Flüge nach Deutschland sind auch schwierig zu bekommen. Eine Kollegin von mir wird allerdings bald abreisen - sie ist doch zu verängstigt.

Zur Person

Milena Rabe ist 22 Jahre alt und machte 2012 ihr Abitur am Aloisiuskolleg in Bad Godesberg. Sie studiert an der Universität Koblenz Kulturwissenschaft. Ihre Bachelorarbeit zum Thema "Salafismus in Deutschland" hat sie kurz vor ihrem Aufenthalt in Nepal fertiggestellt. Ihre freie Zeit vor dem Masterstudium nutzt sie, um an der Navodaya School in Nepal Kindern armer Familien Englisch beizubringen.

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