Fußballprofi Amin Younes: "Ich habe den falschen Menschen vertraut"

Neapel · Seit Monaten hat Amin Younes durch ein großes Transfer-Hickhack für Schlagzeilen gesorgt. Er selbst hat in all der Zeit geschwiegen. Nun erklärt er, wie es dazu kam.

 Amin Younes spielt jetzt für den italienischen Erstligisten SSC Neapel.

Amin Younes spielt jetzt für den italienischen Erstligisten SSC Neapel.

Foto: Ciro Sarpa/SSC Neapel

Im Sommer 2017 war Amin Younes ein Shootingstar im deutschen Fußball. Er stand mit Ajax Amsterdam im Europa-League-Finale, wurde Nationalspieler und Confed-Cup-Sieger. In den vergangenen Monaten wurde er als "Vertragsbrecher" und "Arbeitsverweigerer" bezeichnet.

Der Deutschen Presse-Agentur gab er jetzt ein Interview:

Herr Younes, wie konnte das alles passieren?

Amin Younes: Es ist sehr viel passiert, und das ist alles nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Deshalb habe ich mich auch in der ganzen Zeit nicht dazu geäußert. Irgendwann wusste ich gar nicht mehr, was ich sagen sollte. Nun geht es mir gut, ich habe die Dinge auch in mir geordnet und deshalb möchte ich nun einiges erklären.

Haben Sie sich in der Zeit manchmal im falschen Film gefühlt?

Younes: Ja, auf jeden Fall. Es war schon extrem. Es sind Dinge passiert, die ich in dieser Masse und diesem Ausmaß nie für möglich gehalten hätte. Aber ich suche die Schuld nicht bei anderen.

Also haben Sie sich das alles zuzuschreiben?

Younes: Ich bin für alles, was ich tue, selbst verantwortlich und trage die Konsequenzen. Ich habe Fehler gemacht. Ich habe den falschen Menschen vertraut, war naiv. Das kreide ich mir an. Es war klar, dass ich im Sommer ablösefrei sein werde. Deshalb haben mir manche Leute Flöhe ins Ohr setzen wollen. Und ich habe sie mir leider reinsetzen lassen.

Fühlen Sie sich auch ungerecht behandelt?

Younes: Jeder wird im Leben mal ungerecht behandelt. Jetzt war es in der einen oder anderen Sache vielleicht bei mir so. Aber ich will nicht auf Mitleid machen. Wie gesagt: Ich übernehme dafür die Verantwortung. Ich bin jung, und habe mich vielleicht zu sehr von Emotionen leiten lassen. Die Dinge, die passiert sind, kann ich nicht mehr ändern. Aber ich kann und werde daraus lernen.

Fangen wir mal von vorne an. Es heißt, dass Sie 2017 Ajax Amsterdam verlassen wollten und nicht durften.

Younes: Das stimmt. Ich habe dem Verein nach dem Confed-Cup mitgeteilt, dass ich gerne den nächsten Schritt gehen möchte. Das hat leider nicht geklappt. Danach war das Verhältnis etwas schwierig, dann war ich auch noch verletzt. Aber es hat sich eigentlich wieder eingerenkt. Viel schlimmer war die Sache mit Abdelhak Nouri.

Ihrem Mitspieler, der nach einem Testspiel gegen Bremen ins Koma fiel.

Younes: Richtig. Eine schreckliche Geschichte. Wir hatten viele junge Spieler, die schon in der Jugend mit ihm zusammengespielt haben. Denen hat man den Kummer jeden einzelnen Tag angesehen. Und auch ich hatte ein sehr, sehr enges Verhältnis zu ihm und seiner Familie. Er saß in der Kabine neben mir. Wir haben dieselbe Religion, dieselbe Kultur. Er ist ein ganz feiner Junge, wie es sie in diesem Geschäft nur noch selten gibt. Deshalb hat das alles sehr weh getan.

Wie gehen Sie heute damit um?

Younes: Unsere Familien haben immer noch Kontakt. Ich weiß, dass es im Leben weitergehen muss, auch in seinem Sinne. Aber ich denke immer an ihn. Deshalb habe ich mir in Neapel auch ganz bewusst die 34 ausgesucht. Seine Rückennummer.

Im Januar wollten Sie zu Neapel wechseln. Sie haben den Medizincheck absolviert, ließen sich mit Neapel-Schal fotografieren und sollen auch schon einen Vertrag unterschrieben haben.

Younes: Das stimmt nicht. Ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen. Was ich sagen kann, ist: Ich wurde falsch beraten, die Kommunikation war schlecht. Aber ich habe keinen Vertrag unterschrieben.

In den Medien hieß es damals, Sie seien nicht nach Neapel gewechselt, weil Ihnen die Stadt nicht gefallen habe. An anderer Stelle hieß es, Sie seien auf offener Straße von einem Mafioso angegangen worden.

Younes: Beides ist völliger Quatsch. Die Stadt habe ich in den vier Tagen, die ich dort war, gar nicht gesehen. Der Medizincheck war in Rom, die anderen drei Tage habe ich im Trainingszentrum verbracht, das 40 Minuten vom Zentrum entfernt ist. Jetzt bin ich seit zwei Monaten hier und finde diese Schlagzeile noch schrecklicher. Denn es ist eine sehr schöne Stadt mit vielen tollen und herzlichen Menschen. Und nicht nur mir wurde Unrecht getan, sondern auch ihnen. Wie schwer fiel danach die Rückkehr nach Amsterdam?

Younes: Sehr schwer. Und es hat sich dann so zugespitzt, dass ich mich zu dem größten Fehler habe hinreißen lassen.

Sie meinen, im Spiel gegen Heerenveen die Einwechslung verweigert zu haben?

Younes: Ja. Da braucht man nicht drumherumzureden. Das war falsch, den Teamkollegen und dem Verein gegenüber. So etwas macht man nicht. Ich bin ein junger Mensch und mache Fehler. Aber als Profi hat man eine Vorbild-Funktion. Manch junger Spieler hat gesagt, dass das eine Super-Aktion gewesen sei, weil man sich nicht alles gefallen lassen muss. Aber ich habe ihnen klargemacht, dass so etwas nicht geht.

Wie kam es dazu? Hatten Sie sich durch die Einwechslung beim Stand von 4:1 in der Nachspielzeit gedemütigt gefühlt?

Younes: Ich war einfach enttäuscht. Eine Woche vorher hatte ich nach meiner Einwechslung gut gespielt und ein Tor vorbereitet. Alles schien sich nach den schweren Wochen wieder zum Guten zu wenden. Und dann durfte ich diesen Schwung nicht mitnehmen. Aber das rechtfertigt meine Reaktion nicht. Man muss immer professionell bleiben. Egal, ob man für eine Minute eingewechselt wird oder für 30 Sekunden.

Sie sollten zunächst für zwei Wochen suspendiert werden, sind aber nicht mehr in den Profikader zurückgekehrt. Wieso?

Younes: Die Verantwortlichen meinten, es sei besser so. Sie wollten mich schützen und dass der Verein zur Ruhe kommt. Und im Nachhinein muss ich sagen: Es war wohl wirklich das Beste für alle.

Im Sommer sollen Sie dann einen Vertrag in Wolfsburg unterschrieben haben, den der VfL wegen ihres Vertrages in Neapel aufgelöst haben soll.

Younes: Auch das stimmt nicht. Es gab in dieser Zeit mit einigen Vereinen Gespräche. Über die Inhalte kann ich nichts sagen. Aber ich kann versichern: Ich habe nirgendwo einen Vertrag unterschrieben. Ich war in der Zeit auch einfach ein Spekulationsobjekt. Ich saß zu Hause, habe immer wieder neue Dinge über mich gehört oder gelesen und habe immer wieder nur den Kopf geschüttelt.

Wieso sind Sie im Endeffekt doch in Neapel gelandet?

Younes: Wir haben uns im Juli wieder zusammengesetzt und alles anständig besprochen. Ich hatte endlich vernünftige Leute um mich herum, und auch der Verein hat klargemacht, dass ich fußballerisch und menschlich gut passe. Und am Ende haben sie mich sogar verpflichtet, obwohl ich zum Zeitpunkt der Vertragsunterschrift schwer verletzt war.

Wie ist das passiert?

Younes: Ich habe im Urlaub mit einem Privattrainer trainiert und habe mir bei einer Sprint-Übung die Achillessehne gerissen. Dass Carlo Ancelotti sagte: "Der Junge ist verletzt, aber den kriegen wir hin", war die größte Wertschätzung für mich.

Hatten Sie das Gefühl, in Neapel angesichts der Vorgeschichte von einigen mit schiefen Blicken empfangen zu werden?

Younes: Ja, absolut. Ich hatte das Gefühl, dass da bei allen ein kleines Fragezeichen über dem Kopf schwebte. Aber ich glaube, ich habe sie durch meine Art schnell überzeugt. Zum Glück hat Trainer Carlo Ancelotti die Geschichten nicht alle geglaubt, sondern sich sein eigenes Bild gemacht. Wenn er das Gefühl gehabt hätte, dass ich ein Problemfall wäre, hätte er mich sicher nicht gewollt. Hatten Sie irgendwann Kontakt mit Bundestrainer Joachim Löw?

Younes: Nein. Vielleicht hätte ich ihn mal anrufen können. Aber ich hatte in dieser Zeit andere Baustellen, und er war sicher schon voll in der WM-Planung. Mit Manager Oliver Bierhoff und Co-Trainer Marcus Sorg habe ich einige Male telefoniert. Sie hatten mir vorher angeboten, dass ich sie jederzeit anrufen kann, wenn ich Probleme haben, und sie haben Wort gehalten. Das war menschlich absolut top.

Machen Sie sich manchmal Gedanken, ob all diese Geschichten Sie die WM-Teilnahme gekostet haben?

Younes: Es kann sein, dass es so ist. Aber darüber möchte ich mir keine Gedanken machen. Weil man nicht sagen kann, ob es geklappt hätte, wenn alles anders gelaufen wäre.

Haben Sie das Thema Nationalmannschaft abgehakt?

Younes: Natürlich nicht. Es war ein Traum und ein Privileg, dabei sein zu dürfen. Und ich gebe alles dafür, irgendwann wieder dabei zu sein. Aber erst einmal muss ich fit werden.

Wann werden Sie wieder spielen können?

Younes: Ich stehe wieder auf dem Platz, kann laufen und mache erste Übungen mit dem Ball. Aber ich will keine Prognose abgeben, wann ich wieder spielen kann. Dafür ist diese Verletzung zu kompliziert.

Fühlen Sie sich nun in Neapel angekommen?

Younes: Absolut. Es passt alles super, ich fühle mich wohl und sehr glücklich. Es tut gut, dass der Verein daran geglaubt hat, dass ich kein verkehrter Junge bin. Und ich habe das Gefühl, dass ich nach all den Irrungen und Wirrungen letztlich am richtigen Ort angekommen bin.

Was haben Sie gelernt aus dieser Zeit?

Younes: Wahrscheinlich mehr als aus jeder anderen. Zum Beispiel, wem ich vertrauen kann und wen ich nahe an mich ranlasse und wen nicht. Ich habe gelernt, Dinge zu akzeptieren, wie sie sind, und nicht zu lange daran zu knabbern. Und ich habe gelernt, dass man auch abseits des Feldes gut aufgestellt sein muss, obwohl der Fußball selbst natürlich das A und O ist.

Negative Schlagzeilen, richtige und falsche, hatten Sie nun genug für den Rest Ihrer Karriere?

Younes: Absolut. Ich kann in dieser Hinsicht nicht alles beeinflussen, aber einen Teil kann ich steuern. Und ich tue für meinen Teil alles, dass das nicht wieder vorkommt.

ZUR PERSON: Amin Younes (25), wurde in Düsseldorf geboren und bei Borussia Mönchengladbach ausgebildet. Bei Ajax Amsterdam schaffte er den Durchbruch. Er wurde zum Nationalspieler, kam bisher zu fünf Einsätzen im A-Team mit zwei Toren. Seit Sommer spielt er bei der SSC Neapel. Derzeit ist er verletzt.

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