Interview mit Thorsten Nehrbauer "Wir wollen eine Größe in der Liga werden"

Bonn · Der Bonner SC hat die wichtigste Personalie für die kommende Spielzeit perfekt gemacht: Thorsten Nehrbauer ist ab sofort für den Regionalligisten verantwortlich. Mit dem gebürtigen Bonner sprachen Thomas Heinen und Simon Bartsch.

Nach den Zitterpartien des Bonner SC in den vergangenen Spielzeiten stellt sich uns die Frage: Wie belastbar sind Ihre Nerven?

Thorsten Nehrbauer: Eine große Stärke von mir ist es, dass ich in schwierigen Situationen die Ruhe bewahre. Obwohl ich sehr emotional bin, bin ich sehr besonnen, sehr überlegt in meinen Äußerungen. Aufgrund meiner Vergangenheit kann ich viele Situationen gut einschätzen. Als Spieler habe ich ja auch öfter mal den Abstiegskampf mitmachen müssen. Manchmal mit positivem Ausgang, manchmal mit nNegativem. So bin ich für alle Eventualitäten gewappnet.

Sie sagen, das Engagement beim Bonner SC sei eine Herzensangelegenheit für Sie. Sie sind aber noch relativ jung in dem Trainergeschäft. Wie passen auf der einen Seite das Herz und auf der anderen Seite die Ambitionen eines jungen Trainers zusammen? Es gab ja auch weitere Angebote.

Nehrbauer: So bin ich als Typ. Ich habe schon immer aus dem Bauch oder nach dem Herzen entschieden. Vielleicht waren das nicht immer die richtigen Entscheidungen. Aber das weiß man ja nie. Für mich ist das in Bonn jetzt die richtige Situation und der richtige Zeitpunkt. Ich glaube, dass ich Leute mitnehmen kann. Ich habe einfach Bock darauf, den Bonner SC auf das nächste Level zu heben. Wie hoch dieses Level am Ende des Tages ist, das kommt auf viele Faktoren an. Wir wollen uns schon weiterentwickeln und schauen, dass wir nichts mit dem Abstiegskampf zu tun haben. Das wird eine große Aufgabe werden. Wir sind da nicht blauäugig. Wir sind auf einem guten Weg. Wir haben viele Menschen mit Fußballsachverstand dabei. Wir werden eine Mannschaft haben, die in dieser kommenden schweren Liga bestehen kann.

Einer dieser Menschen mit Fußballsachverstand ist Stephan Engels, das neue Aufsichtsratmitglied. Er sprach kürzlich von einem angestrebten Tabellenplatz eins bis acht. Macht diese Erwartungshaltung nervös?

Nehrbauer: Nein. Ich kenne die Regionalliga. Wir reden hier nicht über den absoluten Profifußball. Wir reden über eine Liga, in der du als Mannschaft mit einem guten Plan etwas erreichen kannst. Ich habe gerade mit einer Mannschaft, der man zehn Punkte zugetraut hat, den Nichtabstieg um einen Punkt verpasst – mit den sechst meisten Toren. Dementsprechend habe ich auch keine Angst vor hohen Erwartungen. Ich schüre die eher bei den Spielern selbst. Warum sollten sich meine Spieler vor Rödinghausen, Essen, Oberhausen verstecken? Die müssen doch auch einfach erst mal Fußball spielen.

Bislang umfasst der bestätigte Kader elf Spieler. Das ist natürlich ein bisschen dünn.

Nehrbauer: An zwei, drei Stellen fehlen nur noch die Unterschriften. Da haben wir schon die Zusagen. Wir befinden uns aber auch sonst in Gesprächen. Es nimmt langsam Konturen an. Aber das ist zu diesem Zeitpunkt auch normal. Ich glaube, wir haben dann auch Jungs in der Mannschaft, die sich komplett mit der Sache identifizieren. Man muss die Spieler natürlich überzeugen.

Wie machen Sie diesen Spielern denn Bonn oder den Bonner SC schmackhaft?

Nehrbauer: Ich glaube schon, dass ich rüberbringen kann, warum ich mich für den BSC entschieden habe. Das ist eine Riesenchance, mit einem Verein etwas zu entwickeln. Viele Clubs gehen in die Liga mit dem Ziel, die Klasse zu halten. Wir wollen einen Schritt weitergehen und uns weiterentwickeln. Wir wollen eine Größe in der Regionalliga werden. Ich verspreche unseren Spielern ein geiles Training, absolute Leidenschaft für die Sache, und ich kann ihnen versprechen, dass ich für sie alles gebe. Das erwarte ich aber auch von meinen Spielern.

Kelvin Lunga hat sich gegen den Bonner SC entschieden, obwohl er auf dem Zettel gestanden hat. Er wechselt jetzt zu Fortuna Köln. Wie groß ist die Enttäuschung?

Nehrbauer: Kelvin ist natürlich ein interessanter Spieler. Es wäre natürlich schön gewesen, wenn dieser Spieler in seine fußballerische Heimat zurückgekehrt wäre. Für mich ist der Abgang von Adis Omerbasic extrem bitter. Er kommt aus Bonn, hat sich mit der Sache voll identifiziert. Er hat immer Gas gegeben. Solche Spieler mag man als Trainer. Letztendlich entscheiden aber die Spieler.

Beim Bonner SC liegt der Zuschauerschnitt bei rund 700. Das ist nicht viel. Wir wissen jetzt, wie Sie die Spieler nach Bonn holen wollen. Wie wollen Sie die Fans in den Sportpark lotsen?

Nehrbauer: Wir müssen die Zuschauer durch unseren Fußball begeistern. Vielleicht auch durch Personen. Die Wahrheit liegt aber auch bei uns auf dem Platz. Das ist meine Art. Ich will organisiert, aber auch nach vorn spielen. Ich will Tore schießen. Das wird dann angenommen werden. In Kaan hatten wir zu Beginn auch 50 Zuschauer. Am Ende waren es 500 bis 1000. Die Fans bekommen ehrliche Arbeit geboten. Wir müssen alles geben, dass wir im Sportpark eine unangenehme Mannschaft werden. Zu meinen aktiven Zeiten war das der Betzenberg. So stelle ich mir das in Bonn vor. Dass die Gegner denken, jetzt müssen wir nach Bonn, das wird ein hartes Stück Arbeit.

Erwarten Sie denn seitens der sportlichen Leitung den einen oder anderen Unterschiedsspieler, oder können Sie auch mit jungen Spielern gut arbeiten?

Nehrbauer: Das ist vielleicht ein Vorteil meiner Person, dass ich mit gestandenen und jungen Spielern gut arbeiten kann. Wenn man aber gewisse Vorgaben des Vereins hat, braucht man auch Unterschiedsspieler. Ich glaube, dass wir auch da auf einem guten Wege sind.

Ist dieser Job ein Beruf, eine Berufung oder ein Hobby für Sie?

Nehrbauer: Es ist eine Mischung aus allem. Wenn es jetzt nur ein Beruf wäre, hätte ich mich vielleicht gegen Bonn entschieden. Es war schon immer eine Berufung. Auch, weil ich mich aufgrund meiner Verletzungen schon früh mit dieser Materie auseinandersetzen musste. Ich war ja als Spieler ein Sechser, ein Führungsspieler, für die Trainer wie Ralf Rangnick oder Jürgen Klopp immer ein Organisator. Dadurch habe ich früh ein Gespür entwickelt. Das ist bei mir einfach so drin. Mein Co-Trainer hat gesagt, ich bin ein Taktiker und ein Motivator in einem.

Sie sprechen Ihr Verletzungspech an. Sie haben mit einem Michael Ballack und einem Torsten Frings in der U21 zusammengespielt. Wie groß war für Sie der Schmerz, die beiden bei der WM 2006 im eigenen Land spielen zu sehen, während Sie aufgrund Ihrer Verletzungen beim 1. FC Saarbrücken unter Vertrag standen?

Nehrbauer: Dazu müsste man die beiden vielleicht einfach mal anrufen. Die zwei haben zu mir gesagt, sie wären froh gewesen, wenn sie so gute Fußballer wie ich gewesen wären. Nach so einer Verletzung fällt man natürlich in ein extremes Loch. Sportlich hat mich das ja einiges gekostet. Es ist wie ein falscher Boxenstopp in der Formel1.Da ist man schnell eine Runde hintendran. Und diese Runde holt man so schnell nicht mehr auf. Auf der anderen Seite hat mich das als Mensch unheimlich weitergebracht.

Inwiefern?

Nehrbauer: Ich bin ein absoluter Kämpfer geworden. Ich lasse mich von nichts mehr so schnell umschmeißen. Ich war in einem tiefen Loch, und der damalige Mainzer Trainer Wolfgang Frank hat mich wieder aufgebaut. So konnte ich mich wieder hocharbeiten, bis in die Bundesliga. Dann kam der Fersenbruch. Ich war wieder ein Jahr weg. Es hat für die 1. Liga nicht mehr gereicht. Die Jungs sind so dynamisch, so schnell. Wenn du dann die körperliche Präsenz nicht mehr mitbringst, kommst du da einfach nicht mehr ran.

Nutzen Sie diese Erfahrung, diese Erlebnisse in Ihrem Umgang gerade mit jungen Spielern, die den Traum vom Profidasein sicherlich noch nicht aufgegeben haben?

Nehrbauer: Es ist doch immer besser, von einem Menschen etwas beigebracht zu bekommen, der das Ganze auch erlebt hat. Es ist auf jeden Fall authentischer. Gerade auch bei negativen Aspekten kann man den Spielern besser zur Seite stehen.

Zum Beispiel?

Nehrbauer: Ich versuche, den Spielern einzubläuen, dass sie größer denken müssen. Warum sollten wir denn nicht Essen schlagen? Unsere jungen Spieler wollen doch da hin, wo der Gegner steht. Das ist manchmal einfach nur eine Kopfsache. Es gibt so viele talentierte Spieler, die den Sprung nicht schaffen, weil ihnen die Robustheit, das Verständnis fehlt. Auch im Bonner Kader sehe ich viele Talente, die bislang weit unter ihren Möglichkeiten geblieben sind. Bei mir sind die Spieler von eins bis zwanzig wichtig. Und am Ende der Saison wird die beste Bank den Unterschied machen.

Wie würden Sie sich als Trainer beschreiben? Sind Sie immer mittendrin, oder stehen Sie am Rand und schauen zu?

Nehrbauer: Ich bin sehr aktiv. Ich muss ja auch auf mein Gewicht achten (lacht). Da hapert es ein wenig. Ich bin sehr leidenschaftlich. Man wird mich wahrscheinlich über die Stadiongrenzen hören.

Wer wird Ihr neuer Assistent?

Nehrbauer: Gordon Addai. Den kenne ich noch aus meiner aktiven Zeit. Er ist bei den Jungs einfach gut angesehen. Und er ist ein Bonner. Er lebt für den Verein. Er liebt diesen Verein. Also wird er auch alles für den Verein geben. Und arbeitet daher ähnlich wie ich.

In einem alten CoJoBo-Jahrbuch gibt es ein Foto von Ihnen. Mit der Realschul-Mannschaft haben Sie dort gegen das Gymnasium gespielt. Auf dem Foto sind andere bekannte Gesichter aus dem Bonner Fußball. Haben Sie noch Kontakte?

Nehrbauer: Nein, leider gar nicht mehr. Ich bin nicht der Typ, der Kontakte pflegt. Außerdem habe ich schon seit frühen Jugendjahren eine Art Zigeunerleben geführt. Wenn ich zu Hause war, habe ich die Zeit lieber mit der Familie verbracht. Durch meine Frau und vor allem das Kind haben wir in Windeck Wurzeln geschlagen.

Aber Bonn ist schon Heimat für Sie?

Nehrbauer: Bonn ist meine Heimat. Da bin ich großgeworden. Da bin ich zur Schule gegangen. Da habe ich meine Kindheit verbracht. Wenn ich durch die Straßen fahre, meine Eltern besuche, dann kommen schon die Kindheitserinnerung hoch. Und das stärkt mich auch in meiner Entscheidung.

Schaut sich Ihr Vater die Spiele noch an? Hat er in Kaan Spiele gesehen?

Nehrbauer: Wenn es gesundheitlich passte, war er bei allen Spielen dabei und wird das sicherlich auch in Bonn tun. Er wird auch öfter Zaungast beim Training sein. Er war auch sicherlich ein Stück weit ein Grund, sich für Bonn zu entscheiden.

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