Mainz 05 vs. Hannover 96 Die spontanen Reflexe: "Videobeweis abschaffen!"

Frankfurt/Main · Dort, wo es den Videobeweis gibt, wird immer wieder lautstark die Abschaffung gefordert. Dort, wo er noch nicht eingeführt ist, sehnen sich Spieler und Verantwortliche danach. Bei sportlichem Frust wird Poltern gegen das technische Hilfsmittel immer mehr zu einem Ventil.

 Der Videobeweis sorgte einmal mehr für Unmut.

Der Videobeweis sorgte einmal mehr für Unmut.

Foto: Bernd Thissen

In der Fußball-Bundesliga hat neben dem sportlichen Wettstreit um Siege, Punkte und Tore längst eine neue Disziplin Einzug gehalten: Schimpfen auf den Videobeweis! Mitmachen dürfen Spieler, Trainer und Funktionäre.

Ziel ist: Möglichst laut über die technische Hilfe zu wettern und deren sofortige Abschaffung zu fordern. So oder so ähnlich könnte man die immer wieder aufflammende Debatte um den Video Assistant Referee (VAR) in der höchsten deutschen Spielklasse zumindest deuten.

"Der Videobeweis ist und bleibt ein Skandal. Die Leute machen definitiv keinen guten Job", wütete Hannovers Stürmer Niclas Füllkrug nach dem 1:1 seines Teams beim FSV Mainz 05. Grund dafür war ein höchst fragwürdiger Elfmeter, den Schiedsrichter Robert Hartmann nach einer leichten Berührung gegen Mainz-Stürmer Jean-Pierre Mateta gab - und damit das 1:1 durch Daniel Brosinski ermöglichte. Der Assistent in Köln griff nicht ein.

Der Fall erhitzte derart die Gemüter, dass sich die 05er gezwungen sahen, später noch eine Stellungnahme Matetas auf ihrer Homepage zu veröffentlichen. "Ich kann mich nicht für eine Schwalbe entschuldigen, die keine war", kommentierte der Franzose die strittige Szene in der Schlussphase.

Ein Pionier des energischen Wütens mit Kraftausdrücken ist Horst Heldt. Über den Videoschiedsrichter merkte Hannovers Sportvorstand an, dieser "soll die Klappe halten". Zum Elfmeterpfiff in der Szene mit Mateta polterte er, "der ganze Scheiß" sei "wirklich nicht mehr akzeptabel". Gegen den 49-Jährigen ermittelt seit Montag der Kontrollausschuss des DFB, Heldt wurde schriftlich zu einer Stellungnahme aufgefordert.

Was Heldt allerdings nicht erwähnte: Ohne den Einsatz der Technik hätte Hannover das Spiel nicht gewonnen, sondern mit 1:2 verloren. Schließlich hatte erst die kalibrierte Linie das zweite Mainzer Tor wegen einer Abseitsstellung als irregulär entlarvt. Bei Eintracht Frankfurts Sportvorstand Fredi Bobic entlud sich der Ärger nach einem verweigerten Elfmeter beim 0:1 bei Hertha BSC so: "Ob man in Köln sitzt oder Jerusalem, das muss man sehen. Das macht vieles kaputt, was der Videobeweis erreichen will - mehr Gerechtigkeit."

Der Videobeweis sorgt in regelmäßigen Abständen für Kontroversen in der Bundesliga. Der ehemalige Weltklasse-Referee Markus Merk sprach schon am ersten Spieltag vom "Videobeweis-Chaos" und monierte, dass er das Spiel so "nicht gerechter, sondern willkürlicher" mache.

Das bei den Fans ohnehin unbeliebte Hilfsmittel hat auch weiter seine Schwächen. Im Vergleich zur WM, bei der der Videobeweis als Vorbild gelobt wurde, fehlt die völlige Transparenz, weil die Szenen auf den Leinwänden nicht angezeigt werden können. Reviews und Korrekturen nehmen Zeit in Anspruch, strapazieren die Nerven von Anhängern und Verantwortlichen. Und dann werden trotz dieser Tortur noch nicht einmal alle Fehlentscheidungen korrigiert?

Wie ein Trainer klingt, der von einer richtigen Entscheidung profitiert hat, konnte man am Wochenende bei Julian Nagelsmann hören. Das 2:2-Ausgleichstor seiner TSG 1899 Hoffenheim war in Wolfsburg ursprünglich wegen Abseitsposition aberkannt worden. Der Video-Assistent griff ein, das Tor zählte doch. "Dafür haben wir die Männer in Köln. Die Schiedsrichter haben heute einen guten Job gemacht", befand Nagelsmann. Von einem "Scheiß" oder einem "Skandal" war nichts zu hören, er erzählte aber von der gleichen Technik wie einen Tag später Heldt und Füllkrug.

DAS FORDERN BENACHTEILIGTE BEIM VIDEOBEWEIS:

Abschaffen! Als Wut-Ventil, gerade in Krisen und Misserfolgsfällen, taugt der VAR und sein fehlendes oder falsches Eingreifen immer wieder. André Breitenreiter, betroffener Trainer des Tabellen-17. Hannover, meinte am Sonntag: "Wenn wir diese Situation in Ruhe im Keller in Köln nicht als Schwalbe bewerten, dann können wir aufhören. Dann können wir diesen Video-Assistenten abschaffen. Dann ist es weder gerecht und macht es auch keinen Spaß mehr."

Große Hoffnungen muss sich Breitenreiter aber nicht machen: Denn der Videobeweis wird ab kommendem Frühjahr nicht abgeschafft, sondern zusätzlich in der Champions League eingeführt. "Ich bin überzeugt, dass dies den Fußball auch auf internationaler Ebene fairer und seriöser machen wird", sagte Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge dazu.

DAS FORDERN BENACHTEILIGTE OHNE VIDEOBEWEIS:

Einführen! Um den Wert des Videobeweises zu beziffern, lohnt ein Blick auf das vergangene Wochenende in der 2. Liga und der Premier League. Darmstadts Fabian Holland holte für sein Team mit einer lupenreinen Schwalbe einen Elfmeter heraus, im Gegensatz zum Mateta-Fall gab es überhaupt keinen Kontakt. Der Strafstoß brachte den Hessen das 1:1 und einen Punkt gegen Ingolstadt.

"So ein Elfmeter ist extrem bitter. Jeder im Stadion und am Fernseher hat gesehen, dass das definitiv kein Elfmeter war", sagte Ingolstadts Robert Leipertz. Nur der Schiedsrichter eben nicht - und eine Kontrollinstanz gibt es in Liga zwei nicht. Newcastles Trainer Rafael Benitez, der sich beim 1:2 gegen Wolverhampton benachteiligt fühlte, wurde noch deutlicher: "Wir brauchen den Video-Assistent - und zwar jetzt."

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