Deutschland gegen England So war die Stimmung in den Pubs von London

London · Nach dem Spiel gegen Deutschland herrscht in den Pubs und auf den Straßen in England wie auch im Wembley-Stadion pure Euphorie, als hätte die Mannschaft bereits die EM gewonnen.

Deutschland gegen England: So war die Stimmung in den Pubs von London
Foto: AP/Justin Tallis

Als wenige Minuten vor Abpfiff das zweite – und alles entscheidende – Tor für England fällt, flippen sie vollends aus. Jubelnd springen die Fans von ihren vor Tagen reservierten Plätzen um die Holztische auf, umarmen sich, schreien ihre Freude heraus. Covid-Beschränkungen? War was? Alle Regeln schienen angesichts dieses historischen Moments vergessen. Bis kurz vor Schluss wollten es die England-Fans im Londoner Pub „Coach and Horses“ im Stadtviertel Mayfair kaum glauben, dass ihr Team wirklich gewinnen könnte. Geschichte schreiben würde. Ausgerechnet gegen die Deutschen, den Angstgegner.

Die Anhänger der Three Lions, sie mögen gehofft und gebangt und Daumen gedrückt haben für ihr junges, talentiertes Team. Aber vor dem Spiel gegen Deutschland winkten viele Engländer ab – nahmen die „unvermeidliche Niederlage“ fast schon mit schwarzem Humor hin. „Wir verlieren immer gegen Deutschland, es ist ein Gesetz“, sagte ein Brite namens James nach der ersten Halbzeit. Es sollte anders kommen. Und durch ganz London hallten die Freudengesänge. „It’s coming home, it’s coming home.“ Im Mutterland des Fußballs hoffen sie auf den ersten bedeutenden Titel seit 1966. „Was eine Nacht! Was eine Zeit, am Leben zu sein“, meinte ein Kommentator kurz nach Ende des Klassikers. In den Pubs und auf den Straßen des Königreichs wie auch im Wembley-Stadion herrschte pure Euphorie, als hätte die Mannschaft bereits die EM gewonnen. „Es ist Englands Moment“, sagte Jürgen Klinsmann bei der BBC.

Dabei appellierte wenige Stunden vor Anpfiff noch ein deutscher Fan via Facebook an jene 2000 Deutschen, die Glück hatten. Jene Anhänger, die ein Ticket für das Achtelfinale ergattert hatten, weil sie ihren Wohnsitz in Großbritannien haben, und am Abend in Vertretung die schwarz-rot-goldene Flagge schwenkten. Normalerweise, so die Schätzung, wären mehr als 10.000 Fans aus Deutschland angereist, „um für mächtig Stimmung zu sorgen“, wie der Chef-Anheizer in dem sozialen Medium schrieb. „Diese Aufgabe haben nun wir, die deutsche Community in London und U.K.“ Doch die Unterstützung, das Anfeuern und Mitsingen reichte nicht aus gegen rund 40.000 Engländer. Der Heimvorteil für das englische Team war noch überwältigender als dies schon in normalen Zeiten der Fall gewesen wäre.

Corona-Regeln wurden kaum überprüft

Während am Mittag in der Innenstadt unter grauem Himmel und bei strömendem Regen noch keinerlei Fußballstimmung herrschte, pilgerten schon früh Fans in Richtung Wembley-Stadion. Eigentlich galten strenge Covid-Maßnahmen. Doch Masken waren kaum zu sehen und auch die Distanzregeln wurden von den Fans eher ignoriert. Immerhin, mit einem Ticket für das Achtelfinale erhielt man auch einen persönlichen 30-minütigen Zeitkorridor, während dem man ins Stadion gehen sollte. Mit dieser Maßnahme wollten die Behörden erreichen, dass es kurz vor dem Anpfiff nicht zum großen Gedrängel kommt. Ansonsten wurde das Befolgen der Regeln von den Ordnern kaum überprüft. „Wenn man 45.000 Leute zulässt, kann man das nicht mehr kontrollieren“, sagte ein Mann am Eingang und zuckte die Schultern. War das fahrlässig, wie manche behaupteten? Oder würde es schon gut gehen, wie andere meinten? Ausgerechnet in der Hauptstadt Großbritanniens waren so viele Besucher zugelassen, wo die Delta-Variante des Coronavirus derzeit besonders massiv grassiert. Zwar musste jeder Fan vor dem Eintritt entweder einen negativen Test vorweisen oder belegen, dass sie oder er vollständig geimpft war. Doch ob das genügte in diesem Stadium der Pandemie, bezweifelten zahlreiche Beobachter.

Gerade wurde bekannt, dass die Fälle im Königreich innerhalb von einer Woche um fast 50 Prozent stiegen. Zwar haben fast zwei Drittel aller erwachsenen Briten bereits beide Impfungen verabreicht bekommen und rund 85 Prozent haben mindestens eine Dosis erhalten. Doch die Zahl der Neuinfektionen nimmt seit Wochen drastisch zu. Am Samstag erst wurden 18.270 Menschen positiv getestet, das waren so viele wie seit Anfang Februar nicht mehr. Deutschland stufte das Königreich schon vor einiger Zeit als Virusvariantengebiet ein, was bedeutet, dass man nach der Rückkehr in die Bundesrepublik 14 Tage in Quarantäne muss. Vor Ort handelte es sich bei den Fans neben den in London ansässigen Deutschen also nur um wenige Schnellentschlossene, die bereits Anfang letzter Wochen anreisten – und für die 90 Minuten mindestens 19 Tage Isolation in Kauf nahmen.

Wegen der aktuellen Einreisebestimmungen der britischen Regierung bot die Uefa Tickets nur Anhängern an, deren Wohnsitz in Großbritannien, Irland, auf der Isle of Man, in Guernsey und Jersey liegt. Die Bundesrepublik steht auf der Liste der Reiseländer in der mittleren Ampel-Kategorie „amber“, gelb. Das bedeutet, dass auf der Insel Ankommende nicht nur vor und nach ihrer Ankunft mehrere Tests machen müssen, sie haben auch eine Quarantänepflicht, die mindestens fünf Tage andauert. Damit zerschlugen sich alle Träume der Anhänger des deutschen Teams, das Spiel live im legendären Wembley-Stadion verfolgen zu können.

Die Stimmung in den Pubs war anders

Schon am Mittag bereiteten sich die Pubs in allen Teilen der Stadt auf den Klassiker vor, auch wenn die Stimmung im Mutterland des Fußballs während dieses Turniers deutlich anders ist als in Nicht-Pandemie-Zeiten. Wo sich sonst zum Fußball Trauben von Menschen vor dem Pub versammeln, wo es sonst kaum ein Durchdringen zur Theke gibt und das Bier der Pint-Gläser wegen des Gedrängels und Jubels überschwappt, gelten eigentlich strikte Regeln. Deutlich weniger Menschen sind in Gaststätten erlaubt, Kunden werden nur am Tisch bedient, in den meisten Pubs bestellt man per App. Gleichwohl haben andere Spiele gezeigt, dass sich die Fans mit jedem Pint und jeder Spielminute weniger an die Maskenpflicht auf dem Weg zur Toilette oder an Distanzregeln halten. Zu euphorisch werden die Mannschaften gefeiert, insbesondere gestern Abend. Das Coronavirus geriet in Vergessenheit.

Mehr Polizei war wenige Stunden vor Anpfiff lediglich um das Wembley-Stadium und die Fan-Zone am Trafalgar Square im Zentrum Londons zu beobachten. In der offiziellen Fan-Zone, die durch dunkle Sichtschutzzäune abgesperrt ist, ging es vermutlich am Strengsten zu, was Corona betrifft. Auch hier brauchten die Fans ein Ticket sowie einen negativen Test beziehungsweise den Nachweis der Doppelimpfung, um auf einer der beiden Großleinwände das Spiel zu verfolgen. Man erhält einen Tisch zugewiesen und das alles findet unter freiem Himmel statt. Ich schaue das Spiel lieber zuhause vom Sofa aus“, sagte ein Passant, nachdem er einen Blick in den Innenbereich geworfen hatte. „So verkrafte ich es auch besser, wenn wir mal wieder gegen Deutschland verlieren.“ Der Brite lachte auf. Eigentlich, so schob er noch nach, sei es an der Zeit, dass endlich England mal wieder das Turnier gewinne. Es war die vorherrschende Meinung der glücklichen Fans gestern Abend: „It’s coming home.“ Endlich. Vielleicht.

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