Fußball Fan-Gewalt bei EM - Russland und England droht Ausschluss

Marseille · Nicht die Terrorangst, sondern Hooligangewalt beunruhigt zum EM-Start. Die UEFA droht England und Russland mit dem Ausschluss. Auch deutsche und ukrainische Randalierer sorgen für hässliche Bilder.

 Die Gewalt zwischen Russen und Engländern setzt sich kurz vor dem Abpfiff auch im Stadion fort.

Die Gewalt zwischen Russen und Engländern setzt sich kurz vor dem Abpfiff auch im Stadion fort.

Foto: Oliver Weiken

Nach den brutalen Jagdszenen von Marseille und Nizza hat die UEFA England und Russland einen Turnierausschluss angedroht.

Sollte sich die Fangewalt vom Wochenende wiederholen, müssen beide Mannschaften mit der sofortigen Heimreise von der EM in Frankreich rechnen, teilte in die Europäische Fußball-Union nach einer Krisensitzung ihres Exekutivkomitees mit.

Für hässliche Bilder sorgten auch Hooligans aus Deutschland vor dem ersten Spiel der Nationalmannschaft am Abend in Lille gegen die Ukraine. Rund 50 Deutsche griffen ukrainische Fans an, wie der Sprecher der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) der Polizei Nordrhein-Westfalen, Jens Schabacker, sagte. Französische Beamte hätten die Auseinandersetzung schnell beendet.

Die Präfektur des Départements Nord sprach von "ein paar Auseinandersetzungen" mit zwei Leichtverletzten in der Innenstadt von Lille, ohne Einzelheiten zu nennen, wer wen provozierte.

Die UEFA ließ keinen Zweifel an ihrer Entschlossenheit. Man werde "nicht zögern" weitere Sanktionen gegen England und Russland zu verhängen, "inklusive der möglichen Disqualifikation der betreffenden Teams vom Turnier, sollte sich die Gewalt wiederholen", hieß es in dem UEFA-Statement.

Angesichts der Ausschreitungen will die Regierung während der EM Alkohol in "sensiblen Bereichen" verbieten. "Wir haben Gewalttätigkeiten zwischen Fußballanhängern gesehen, provoziert von alkoholisierten Horden", sagte Innenminister Bernard Cazeneuve. Er habe die Präfekten in den Regionen entsprechend angewiesen.

Die Randale in den südfranzösischen Metropolen hatte den Auftakt der Fußball-EM überschattet und große Sorge um die Sicherheit bei dem Mammut-Turnier ausgelöst. Mit Entsetzen reagierten Politiker und Turnier-Verantwortliche auf die Ereignisse um vornehmlich russische und englische Fans am Samstagabend. Die Behörden zählten mindestens 44 Verletzte und berichteten von zahlreichen Festnahmen. Die Hooligan-Gewalt drängte für den Moment sogar die Terrorangst in den Hintergrund.

Bei der mehrstündigen Sondersitzung des UEFA-Exekutivkomitees soll es nach dpa-Informationen zu emotionalen Vorträgen mehrerer Mitglieder gekommen sei. "Viele haben die Schnauze richtig voll von diesen Dingen", berichtete ein Sitzungsteilnehmer. Erste Sondermaßnahmen beschloss das Gremium um das deutsche Mitglied Wolfgang Niersbach mit mehr Sicherheitskräften in den Stadien schon für die Partien am Sonntag - darunter auch für das deutsche Spiel gegen die Ukraine.

Zuvor hatte bereits die Disziplinarkommission ein Verfahren gegen den russischen Verband wegen der Krawalle im Stade Vélodrome eröffnet. Das Gremium um den deutschen Richter Hans Lorenz ermittelt wegen Fanausschreitung, dem Abbrennen von Feuerwerkskörpern und rassistischen Ausfällen. Bis zum Dienstag soll das Urteil stehen - und damit noch vor dem zweiten Spiel der Russen am Mittwoch in Lille gegen die Slowakei.

Auch der englische Verband bekam noch am Sonntag Post von der UEFA. Laut Statuten kann das Exekutivkomitee Warnungen aussprechen, die dann bis zu einem Turnierausschluss führen können, wenn sich Vorfälle auch außerhalb der Stadien wiederholen. Diese Drohkulisse hatte die UEFA im Jahr 2000 gegen England nach Krawallen im belgischen Charleroi aufgebaut. Die Disziplinarregeln sehen sonst nur Strafen für Fehlverhalten in und direkt um das Stadion vor.

Russland war wegen Fanvergehen ähnlicher Art bei der EM 2012 mit Geldstrafen und einer Androhung von Punktabzug belegt worden. Bei ihrer Urteilsfindung schauen die UEFA-Richter auch auf das Verhalten innerhalb der vergangenen fünf Jahre.

Cazeneuve verurteilte das Geschehen als "unverantwortliches und mutwilliges Verhalten von Pseudo-Fans". Doch auch am rigorosen Verhalten der Sicherheitskräfte gab es Kritik. Der russische Sportminister und FIFA-Funktionär Witali Mutko bemängelte die schlechte Organisation im Stadion.

Die Polizeipräfektur in Marseille, wo ein Brite lebensgefährlich verletzt wurde, vermeldete insgesamt 35 Verletzte und zehn Festnahmen. Diese Zahlen scheinen angesichts der Bilder von wilden Prügelszenen und Tränengaseinsatz der Polizei noch sehr gering.

Aus Nizza meldeten die Behörden am Vorabend der Partie Nordirland gegen Polen Fan-Krawalle, die von 20 bis 30 einheimischen Ultras provoziert worden seien. Die Bilanz dort: Neun Personen mussten ins Krankenhaus, drei weitere wurden festgenommen.

Der Imageschaden für die EM ist immens. Zumal weitere Krawalle zu befürchten sind. Die Warnung der UEFA ist auch als Signal an andere Verbände zu verstehen. Zu den bislang Festgenommenen gehören auch ein Deutscher und ein Österreicher.

In Marseille war es den dritten Tag in Serie zu Gewalt gekommen. Im Stadion eskalierte die Situation kurz vor dem Abpfiff: Augenscheinlich russische Anhänger gingen auf englische Fans los, die in benachbarten Blöcken saßen, und prügelten wild auf diese ein. Dabei flüchteten die Attackierten über Zäune in den Innenraum.

Die UEFA räumte nun die unzureichende Trennung der Fangruppen ein. Besonders hier sollen die Vorkehrungen mit mehr und intelligenter eingesetzten Aufsehern verbessert werden. Die Polizei soll weiter nur nicht sichtbar in den Arenen bereitstehen.

Die schlechte Trennung der Fans bemängelte auch FIFA-Topfunktionär Mutko: "Man muss solche Spiele gut organisieren und die Fans (im Stadion) trennen", sagte er.

Russland steht als WM-Gastgeber 2018 besonders im Fokus. Bislang hatten die Funktionäre Fangewalt als Problem im heimischen Fußball zurückgewiesen.

Mark Whittle, Sprecher des englischen Fußball-Verbandes (FA), appellierte in einer nach dem Spiel verlesenen Erklärung an die englischen Fans, ihre Mannschaft respektvoll zu begleiten.

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