Expertenanalyse Darum ist FC-Trainer Steffen Baumgart in Köln so beliebt

Analyse | Köln · Steffen Baumgart leitet erst seit einem halben Jahr die Geschicke der Geißböcke. Der Kölner Trainer ist in der Stadt aber schon jetzt eine Kultfigur. Der Kommunikationsexperte Christoph Bertling ordnet die Euphorie um Baumgart ein.

1. FC Köln: Darum ist der Kölner Trainer Steffen Baumgart so beliebt
Foto: dpa/Marius Becker

Der junge Fan ist vermutlich sechs, höchstens sieben Jahre alt. Sein Anliegen ist aber ein großes. Ein Autogramm soll es sein. Eins von Steffen Baumgart bitte schön. Nur verfolgt der 1. FC Köln neue Hygieneregeln, Spieler und Trainer geben keine Autogramme, machen keine Selfies mehr. Der pragmatische Baumgart findet eine Lösung, eine sichere, eine regelkonforme. Seiner Beliebtheit kommt das nur entgegen. Nur wenige Wochen zuvor war die Situation eine andere, das Stadion noch voll. In der vergleichbar entspannten pandemischen Lage kamen 50.000 Zuschauer zum Derby nach Müngersdorf. Nicht wenige davon betraten ihre Plätze mit grauer Schiebermütze, einige von ihnen sogar im weißen Polo-Shirt – die Markenzeichen von Baumgart. Nach dem Spiel feierten die Fans den Trainer, der den Jubel von der Südkurve sichtbar genoss. 

Baumgart ist in Köln bereits Kult. Dabei ist der Trainer kantig, wirkt oft mürrisch. „Wenn du einen aalglatten Trainer hast, der keinen Gesprächsstoff bietet, dann hat er in dem Sinne auch kein Star-Potenzial“, erklärt Christoph Bertling. Der Kommunikationsexperte der Deutschen Sporthochschule Köln sieht im oftmals unbequem daherkommenden Baumgart daher einen Typen, der nach Köln passt: „In München würde es so vermutlich nicht funktionieren.“ Es gebe besondere Kulturen und so etwas wie eine Stadtseele, in die ein Verein eingebettet sei. Beides bedient Baumgart. „Einerseits braucht man jemanden, der übers Wasser gehen kann, andererseits jemanden, der beide Beine auf dem Boden hat. Das strahlt er extrem aus“, meint Bertling.

Baumgart bedient die Kölner Gefühlswelt

Das Kölner Umfeld liebt Baumgart für diese Art. Er wirkt ehrlich und bedient damit die Kölner Gefühlswelt. Darin sieht der Kommunikationsexperte ein sozialwissenschaftliches Phänomen. Laut dem Ansatz des „Basking in reflected glory“ fühlen sich Menschen wohl, wenn sie ihr Selbstwertgefühl durch den Erfolg anderer steigern können. Und da gebe Baumgart wahnsinnig viel Projektionsfläche.

Gewinner und Verlierer der Hinrunde des 1. FC Köln
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Gewinner und Verlierer der Hinrunde des 1. FC Köln

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Einige Beobachter erinnert dies an die Trainerzeit von Peter Stöger. Der Österreicher führte die Kölner im Jahr 2017 ins internationale Geschäft und eroberte damals die Herzen des üblicherweise kritischen Umfelds. Nach dessen Aus blieben Liebesbekundungen an die folgenden Trainer rar. Dabei ist deren Liste lang: Stefan Ruthenbeck, Markus Anfang, Achim Beierlorzer, Markus Gisdol und zuletzt Friedhelm Funkel. Nun ist es Baumgart, der Stögers Erbe schließlich angenommen zu haben scheint. Dabei ist er ein Trainer, der seinen Weg nicht immer gradlinig gegangen ist. In der Literatur würde Baumgart den klassischen Helden spielen. „Er verkörpert, unabhängig davon, ob er es ist, unvollkommen, aber gleichzeitig erfolgreich sein zu können“, so Bertling. 

Der Trainer ist der Star

Nach der Hinrunde steht der 1. FC Köln mit 25 Punkten auf dem achten Tabellenplatz. Auch deshalb herrscht bei den FC-Fründen in Bornheim beste Laune. Hier hatte der Fanclub schon im Sommer an einem Kennenlernen mit Baumgart gearbeitet. „Wer möchte den Mann nicht mal gerne einladen und ihm zuhören, was er zu erzählen hat?“, sagt Achim Raschke, 1. Vorsitzender des Vereins. Ein Stammtisch scheiterte letzten Endes an der Corona-Situation und daran, dass Baumgart unter den Fanclubs stark nachgefragt ist. „Wir haben zwar schon Online-Stammtische gemacht, auch mit anderen FC-Verantwortlichen. Aber das ist nicht dasselbe“, so Raschke. Ein Umstand, den die FC-Fründe verkraften dürften. Zu gut läuft es unter dem neuen Trainer, nachdem der Verein im Sommer nur knapp dem Abstieg entkommen war. 

Das ist Steffen Baumgart
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Neuer Trainer des 1. FC Köln - das ist Steffen Baumgart

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„Für den Moment ist er der perfekte Trainer“, lobt der Vorsitzende, für den die gute sportliche Situation klar dem Übungsleiter zu verdanken ist. Nach dem 4:1-Derbyerfolg gegen Gladbach sowie der Aufholjagd gegen Leverkusen habe Baumgart sogar genügend Kredit, um auch eine sportliche Talfahrt durchzustehen. 

Doch diesen Kredit verdankt Baumgart nicht alleine dem sportlichen Erfolg. Der FC steht unter ihm für mutigen Offensivfußball. Indem er diesen auch in der Öffentlichkeit einfordert und damit bislang erfolgreich ist, gewinnen seine Worte an Glaubwürdigkeit. Damit stärkt Baumgart sein Profil. Auch in der Kommunikation mit der Mannschaft geht der 49-Jährige klare Wege. Experte Bertling spricht in diesem Zusammenhang von zwei Arten der Kommunikation. „Es gibt die symmetrische oder die asymmetrische Kommunikation. Asymmetrisch bedeutet, dass ich eine sehr starke Hierarchie einbaue.“ Auf solche Trainertypen setzen Vereine im Abstiegskampf. Baumgart hingegen werde laut Bertling der „symmetrischen Kommunikation“ zugeordnet. Diese sieht Spieler und Trainer auf Augenhöhe. „Die Gefahr dabei ist aber, wenn es schiefläuft, ist es schwierig, die Kontrolle oder die Führung wiederzubekommen.“ Wenn es aber gut läuft, dann erleichtert es diese Form der Kommunikation, in die Mannschaft reinzuhören. 

Schwere sportliche Situation als Grundstein

Der Trainer hat dem Team eine Vertrauenskultur verpasst. In Gesprächen wird er nicht müde zu betonen, wie wichtig jeder einzelne Spieler sei. Aus diesem Vertrauen unterstützt Baumgart die Kreativität der Spieler, was am Ende dem Kölner Angriffsfußball zugute kommt. „Unter Gisdol hat man sich häufig gewünscht, mal mutiger aufzutreten“, blickt Fanclub-Vorstand Raschke zurück. Den Baumgartschen Offensiv-Fußball hätten sich die Fans schon vorher gewünscht. „Er sagt auch ganz klar, dass wir von unten kommen, aber uns auch noch verbessern können. Damit hat er vielen aus der Seele gesprochen.“ Doch Baumgarts erfolgreiche Arbeit fußt ausgerechnet auf der schweren sportlichen Situation des Sommers, meint Bertling. Nach dem Fast-Abstieg sei das Umfeld viel stärker bereit gewesen, jemanden mit einem neuen Ansatz zu akzeptieren. So konnte Baumgart voll auf den Angriffsfußball setzen. „Das wäre bei seinem Vorgänger Friedhelm Funkel sicherlich nicht so leicht gewesen“, sagt Bertling. 

So scheint die jüngst vergangene Talfahrt das neue Kölner Glück erst eingeleitet zu haben. Mit Steffen Baumgart kam im Sommer ein Trainer zum 1. FC Köln, in den viel hineininterpretiert werden kann. Unter den Fans ist er schon nach kurzer Zeit zum Kulttrainer aufgestiegen. Seitdem der gebürtige Rostocker in Köln ist, wird am Dom nicht mehr nur vom sportlichen Erfolg geträumt, mittlerweile glauben auch einige wieder daran. Bertling vergleicht die aktuelle Euphorie um den Trainer gar mit der Fußball-WM 2006 in Deutschland. „Also da ist einmal die Hyperkompensation – die haben wir auch 2006 bei Klinsmann erlebt – und auf der anderen Seite ist er eine semantische Person.“ Der Fan-Liebling und Köln: das passt auf vielen Ebenen zusammen und geht über das Sportliche hinaus. „Er ist bodenständig, er ist nahbar und gleichzeitig irgendwie auch skurril. Dazu noch leistungsorientiert. Das macht viel aus“, so der Kommunikationsexperte. In der schillernden Fußballwelt sind üblicherweise die Spieler die Stars. Beim FC ist es nun Trainer Baumgart.

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