Gegnercheck Das erwartet den FC gegen Bayer 04 Leverkusen

Analyse | Bonn · Bayer 04 Leverkusen ist ein Spitzenteam der Bundesliga. Daran führt kein Weg vorbei. Unter dem neuen Trainer Gerardo Seoane hat die Werkself eine bemerkenswerte Entwicklung vollzogen.

 Ist zielstrebiger in seinem Spiel geworden: Der Leverkusener Moussa Diaby bringt es bislang auf zwölf Liga-Treffer.

Ist zielstrebiger in seinem Spiel geworden: Der Leverkusener Moussa Diaby bringt es bislang auf zwölf Liga-Treffer.

Foto: dpa/Marius Becker

Es kommt nicht selten vor, dass es bei Bayer Leverkusen vor einem Duell mit den Bayern zu einem vorherrschenden Gefühl kommt, das vermittelt: Heute geht was! Und es kommt in der Regel dann ebenso selten vor, dass dieses Gefühl nach der Partie gegen den Branchenprimus nicht getrogen hat. Auch diesmal hatte bei der Werkself vor der Partie gegen die Münchner so etwas wie Zuversicht geherrscht. Schließlich war die Mannschaft von Gerardo Seoane als zweitbestes Rückrundenteam mit 17 Punkten hinter Leipzig (19 Punkte) in die Partie gegen den Serienmeister der vergangenen Jahre (16 Punkte) gegangen. Kein Grund also, wie das Kaninchen vor der Schlange vor dem vermeintlich übermächtigen Gegner zu erstarren.

Das sahen die Spieler vor der Bayern-Partie ebenso. „Wir haben vor dem Spiel schon gesagt, dass heute etwas geht und dass wir eine sehr gute Mannschaft sind, die sich nicht verstecken muss“, bestätigte Bayer-Mittelfeldspieler Kerem Demirbay nach der Begegnung, die für Bayer 04 ein verdientes 1:1 ausspuckte. Dabei schien sich die unvermeidbare Niederlage gegen die Bayern schon ihren Weg zu bahnen. Eine halbe Stunde herrschte arge Konfusion, zumal die Münchner durch Niklas Süle in Führung gegangen waren (18.). Doch ein Eigentor des unberechenbaren Thomas Müller brachte die Gäste zurück ins Spiel. Am Ende verdiente sich Leverkusen ein 1:1. Wenn man mag, kann man in dieser Comeback-Qualität eine neue Stärke der Leverkusener erkennen. Denn häufig kam es gegen die Bayern nach einem Rückstand eher zu einem Debakel, denn zu einem Aufbäumen – wie beim 1:5 im Hinspiel.

Bayer-Trainer Seoane setzt auf mehr Robustheit

Diesmal war alles anders. Der Grund liegt offenbar auch in der veränderten Spielphilosophie, die Seoane unter dem Bayer-Kreuz etabliert hat. War dieser vor Hochbegabung triefende Kader zuvor häufig an der eigenen Verzärteltheit gescheitert, hat sich nun Widerstand geregt in Leverkusens Mannschaft. Der Schweizer Trainer machte im Sommer keinen Hehl daraus, auf mehr Robustheit setzen zu wollen. Er holte Spieler in seinen Kader, die diese funkelnden Diamanten im Team durch harte Arbeit ergänzen. Er wollte Spieler, die zweikampfstark sind und über eine gewisse Körpergröße verfügen, verkündete er: Er holte Odilon Kossounou, Mitchel Bakker, Piero Hincapie und nicht zuletzt Robert Andrich von Union Berlin, die diese Vorgaben in die Tat umsetzen können.

Zu Brav zu sein, wie in der Vergangenheit, das muss sich die Bayer-Elf in dieser Saison nicht mehr vorwerfen lassen. Das spiegelt sich auch in der Kartenstatistik. Dort rangieren die Leverkusener auf dem letzten Tabellenplatz. 55 Gelbe Karten bedeuten die meisten der Liga (neben Hoffenheim). Doch daraus herzuleiten, die Seoane-Elf verstehe sich als reine Kratzen-und-Beißen-Mannschaft, entspricht natürlich nicht der Realität. Bayer bildet eine spielstarke und rasante Einheit, die jederzeit in der Lage ist, gefährlich vor des Gegners Tor zu gelangen. Die Offensive ist, wenn man so will, eine grazile Wucht. Schnell, in guten Phasen unwiderstehlich. In der Regel spielt Patrik Schick den Brecher vorn im Sturm (obwohl auch er über außergewöhnliche technische Fähigkeiten verfügt). Am Sonntag in der Partie gegen den 1. FC Köln muss der Torjäger, der es bislang auf starke 20 Saisontreffer bringt, allerdings passen. Er ist verletzt. Gegen Bayern bildeten die jungen Moussa Diaby, Amine Adli und allen voran Florian Wirtz die Sturm-und-Drang-Abteilung.

Diaby zeigt neue Effektivität

Der pfeilschnelle Diaby scheint dabei den nächsten Schritt zu einer angemessenen Effizienz gemacht zu haben. Zwölf Saisontreffer hat er sich auf seinem Konto bislang schon gutgeschrieben. Und Wirtz, dieser begnadete Fußballer, der längst dem Status des Talents entwachsen ist, macht so viel richtig in seinem zarten Alter von 18 wie sonst nur Spieler nach jahrelangem Profi-Dasein. Für den 1. FC Köln ist dies natürlich besonders bitter, war der gebürtige Pulheimer doch vor seinem ersten Ballkontakt als Profi für die Geißböcke auf die andere Rheinseite gewechselt, dort zum Nationalspieler und zu einer der größten Hoffnungen im deutschen Fußball aufgestiegen. Auch er hat bereits sieben Treffer in dieser Spielzeit erzielt, zudem zehn Torvorlagen gegeben.

Ein wenig als Problem hat sich die Abwehr herausgestellt: 40 Gegentreffer – so viele hat kein anderes Spitzenteam (und auch kein Team unter den ersten zwölf der Tabelle) bislang kassiert. Ein Zustand, der auch Lukas Hradecky nicht gefällt. Zwar ist der Torhüter mit 98 gehaltenen Torschüssen ligaweit der Beste, doch er hatte sich schon bitter über das Abwehrverhalten seiner Elf beklagt.

Leverkusens Defensive nicht immer sattelfest

Zuletzt gegen die Bayern zeigte sich die Defensive allerdings sehr funktionsfähig. Dabei verlässt sich Trainer Seoane nicht allein auf ein System. Die Werkself zeigt einen deutlichen Entwicklungsprozess auf. Gab es unter Vorgänger Peter Bosz zum unnachgiebigen Vorwärtsdrang keine wirkliche Alternative, ist das Spiel nun viel variabler geworden. Gegen die Bayern holte eine Mannschaft einen Punkt, die im Ballbesitz deutlich unterlegen war (31:69 Prozent), aber immer wieder Nadelstiche in der Offensive setzte. Nach klaren Torchancen hätte Bayer in München schon zur Pause vorn liegen müssen. In diesem Spiel hat Coach Seoane gezeigt, wie er auf den jeweiligen Gegner reagieren kann. Aus dem gewohnten 4-2-3-1 schaltete er auf ein 3-4-3-System bei Ballbesitz, das defensiv zu einer Fünferkette wurde. „Bei der Systemanpassung ging es klar um die Stärke der Bayern mit ihren vielen Offensiv-Spielern auf dem Platz und der letzten Kette. Wir wollten sowohl die Breite als auch die Tiefe besser kontrollieren“, sagte Seoane, „es gibt da mehrere Varianten, 5-3-2, 5-2-3 oder 5-4-1. Während des Spiels war es ein Mix – von allem ein bisschen.“

Auf diese Wechselfähigkeit sollte sich auch der FC einstellen, denn in Leverkusen, so salopp es klingen mag, läuft häufig ein Rädchen ins andere. Und selbst wenn der sogenannte Mentalitätsspieler Robert Andrich, der selbst immerhin schon vier Saisontreffer erzielte, verletzungsbedingt im defensiven Mittelfeld ausfällt, Bayer verfügt immer noch über genügend Widerstandsfähigkeit in seinem Kader (Aranguiz, Palacios), die jedem Gegner das Leben schwermachen kann. Zudem ist der Kader dermaßen breit aufgestellt, dass selbst erhöhte Belastungen wie das Europa-League-Spiel in Bergamo am Donnerstagabend nicht weiter ins Gewicht fallen.

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