Experte zu Ausschreitungen in Nizza und Marseille „Bei so einer Aufbereitung sind Nachahmungseffekte wahrscheinlich“

Köln · Verantwortliche des 1. FC Köln und von Eintracht Frankfurt versprachen, die Ausschreitungen in Nizza und Marseille mit aufklären zu wollen. Dabei spielen bei der Aufarbeitung nicht nur die Clubs eine Rolle.

1. FC Köln: Das sagt ein Medienexperte zu den Fan-Ausschreitungn
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Vergangenen Donnerstag Nizza, am Dienstag Marseille – die Bilder von der Côte d’Azur wirken extrem erschreckend, geradezu verstörend. Menschen, die wild auf sich einprügeln – mit Stangen, E-Scootern, Verkehrsschildern, andere, die sich gegenseitig mit Raketen im wahrsten Sinne des Wortes abschießen und das alles im Rahmen von Fußballspielen. „Eigentlich wollen wir Fußball-Feste feiern“, sagte FC-Trainer Steffen Baumgart, der die Ausschreitungen vor dem Spiel seines 1. FC Köln bei OGC Nizza aus nächster Nähe miterlebt hatte. Am Dienstag folgten Krawalle im Rahmen des Champions-League-Spiels zwischen Olympique Marseille und Eintracht Frankfurt, der historische 1:0-Erfolg Frankfurts geriet zur Nebensache. Angesichts der schieren Gewalt, aber auch des Hitlergrußes, den Eintracht-Fans zeigten. Innerhalb einer Woche ist es gleich zwei Mal im europäischen Wettbewerb im deutsch-französischen Vergleich zu schweren Ausschreitungen, schrecklichen Bildern gekommen.

Und die Bilanz ist verheerend: Zahlreiche Verletzte, darunter Schwerverletzte. Ähnlich wie in der Vorwoche stürzte auch am Dienstagabend in Marseille ein Fan von der Tribüne, offenbar aus Frankfurt. Der Eintracht-Fan soll von einer Rakete am Hals getroffen worden sein. Im Netz kursieren zahlreiche weitere Horror-Meldungen, beispielsweise von Hooligans, die mit Macheten Jagd auf Frankfurt-Fans gemacht haben sollen. Den vier beteiligten Vereinen drohen empfindliche Strafen. „Man hat im Moment das Gefühl, dass es immer mehr wird“, sagte Baumgart am Mittwoch. Stimmt das? „Ich beobachte seit der Rückkehr zur Vollauslastung einen vermehrten Einsatz von Pyrotechnik“, sagte Fanforscher Jonas Gabler nach den Ausschreitungen in Nizza. „Ob es auch zu mehr Gewalt kommt, kann ich aus meiner Sicht nach so kurzer Zeit noch nicht definitiv sagen.“

Medienforscher Christoph Bertling: Bei einer solchen Aufbereitung sind Nachahmungseffekte wahrscheinlich

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Den Anschein hat es jedenfalls. Die Reaktionen der Vereine ließen in beiden Fällen natürlich nicht lange auf sich warten. Die Clubs distanzierten sich von den Gewalttaten und Verfehlungen, versprachen Aufklärung. Tatsächlich sind bei der Kölner Polizei mehrere Hundert Hinweise eingegangen. Offizielle Statements gibt es nicht. Dem Vernehmen nach sind viele der Hooligans der aktiven Kampfsportszene zuzuordnen. Angeblich sollen die Ausschreitungen im Stadion eine Reaktion auf Hetzjagden vor dem Stadion gewesen sein. In den sozialen Netzwerken fordern Fans immer lauter ein härteres Durchgreifen. Es gibt aber auch Stimmen, die eine vermeintliche Verharmlosung des Problems durch die Vereine kritisieren.

Möglicherweise ein Kommunikationsproblem? Dabei ist gerade die Kommunikation bei aufgeladenen Themen von zentraler Bedeutung. „Es ist schon wichtig, wie etwas kommuniziert wird. Es gibt mehrere Dinge, die daraus entstehen können. Es kann zu einer Verharmlosung kommen, bei der man das Phänomen nicht ernst nimmt und ihm damit nicht begegnen kann“, sagt Dr. Christoph Bertling vom Institut für Kommunikations- und Medienforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln. „Es kann auch passieren, dass es zu einer Gewaltverherrlichung kommt – gerade durch die Medien, wenn sie immer wieder das Bild des am Oberschenkel tätowierten, prügelnden Kölner Fans zeigen. Bei einer solchen Aufbereitung sind Nachahmungs- und Verherrlichungseffekte von gewaltbereiten Personen sehr wahrscheinlich. “

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In den sozialen Medien verbreiten sich die Szenen aus Nizza und Marseille rasend schnell, sind kaum aufzuhalten und spielen den Gewalttätern in die Karten. Auch, weil die Medien als Multiplikator fungieren. „Die Hooligans wollen gesehen werden, sich mit ihrer Gewalt rühmen. Wenn man als Medienvertreter auf diesen Zug aufspringt, hat man die Wünsche der Hooligans befriedigt und läuft Gefahr, Nachahmer zu provozieren“, sagt Bertling. „Die Bilder, die in den Medien kursieren, sorgen auch nicht für hemmende Effekte, sie sind teilweise hemmungslos mit Gewalt aufgeladen.“

Bei den Vereinen will man den Fokus wieder auf das Sportliche richten, im Hintergrund wird aufgearbeitet. Eine Lösung des Problems scheint aber weit entfernt. „Ich habe leider kein Rezept, wie man es besser machen kann. Man muss dagegen vorgehen und klar Stellung beziehen, um diese Elemente aus den Stadien zu bekommen“, sagt Baumgart. Möglicherweise war das kolportierte Gespräch zwischen Clubführung und Ultras am Sonntag ein erster wichtiger Schritt.

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