„Solche Hirngespinste beeinflussen unser Verhalten“ 1. FC Köln: Diese Rolle spielt die Psyche bei Negativ-Erlebnissen
Köln · Neun Rückstände, drei Platzverweise, drei Eigentore - der FC hat in der Bundesliga schon zahlreiche Nackenschläge kassiert. FC-Trainer Steffen Baumgart sprach bereits von einer Kopfsache. Stimmt das? Das sagt ein sportpsychologischer Berater.
Steffen Baumgart hatte Redebedarf. Offensichtlich. Knapp 60 Minuten warteten die Fans des 1. FC Köln am Dienstag am Geißbockheim auf ihre Mannschaft. Erst mit einstündiger Verspätung begann die letzte Trainingseinheit vor der Abreise zum Conference-League-Spiel des FC beim 1. FC Slovacko (Donnerstag, 18.45 Uhr, RTL+). „Wir haben viel miteinander gesprochen“, sagte Baumgart später, nannte aber keine Inhalte.
Das war auch nicht nötig, denn es wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch um die verheerende Saisonbilanz der Kölner gegangen sein. In neun von elf Ligaspielen geriet der FC in Rückstand, davon fünfmal in der Anfangsphase. Auch gegen Schalke und Leipzig kassierte der FC frühe Gegentreffer, die aber nach Videobeweis zurückgenommen wurden. Dazu erzielten die Kölner in der Liga bereits drei Eigentore und kassierten insgesamt vier Platzverweise. Ein Zufall? Am Montag hatte Baumgart seine Mannschaft aus der Schusslinie genommen, unmittelbar nach dem 0:5-Debakel gegen Mainz hatte sich das noch anders angehört. „Wir machen es dem Gegner zu einfach. Da gibt es keine Entschuldigung für. Es war kein gutes Spiel“, sagte Baumgart da. „Daran müssen wir arbeiten. Und zwar nicht, indem wir eine Fehleranalyse betreiben, da muss eher vom Kopf etwas passieren.“
Und das aus Kölner Sicht möglichst schnell. Denn der FC begibt sich in den Endspurt vor der WM-Pause. Diese Woche mit den Begegnungen gegen Slovacko und dem Heimspiel gegen Hoffenheim am Sonntag (19.30 Uhr, Dazn), es folgen zwei weitere Englische Wochen. Für die Kölner geht es auch darum, sich eine gute Ausgangsposition für die Rückrunde zu erarbeiten. Doch in den vergangenen fünf Spielen kassierten die Kölner 15 Gegentreffer. Die Ursachenforschung hat rund um den FC natürlich längst begonnen. Vermutlich ist ein Konglomerat an Gründen ursächlich für den Negativtrend. Etwa die anhaltende Verletzungsmisere, die Doppelbelastung, möglicherweise eine mangelnde Qualität. Wahrscheinlich aber auch: die Psyche.

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FC glaubt an die eigenen Fähigkeiten
Eine gewisse Anfälligkeit ist zumindest offensichtlich. „Generell können sich aus solchen Erfahrungen sogenannte Glaubenssätze entwickeln. Die objektive Grundlage steht dabei alles andere als auf stabilen Beinen. Vielmehr beruhen sie häufig auf Verallgemeinerungen und subjektiven Meinungen“, sagt der sportpsychologische Experte und Berater Thorsten Loch. „Es gibt jedoch auch Glaubenssätze, die uns einengen und daran hindern, im Sport weiterzukommen. Solche ,Hirngespinste’ beeinflussen sogar unser Verhalten und werden oft zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen.“

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Laut des Experten kenne das Unterbewusstsein nun mal keine Verneinung, wie das Beispiel, nicht an den rosaroten Elefanten zu denken, verdeutlicht. „Wer überzeugt davon ist, eh keine Chance zu haben, wird sich bei Spielen unterbewusst weniger anstrengen und verkrampfen – und am Ende womöglich mit leeren Händen nach Hause gehen. Wer diesen oder ähnlichen Glaubenssätzen verfallen ist, hat meistens kein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten“, erklärt Loch.
FC zerfällt gegen Mainz in seine Einzelteile
Beispiele für solche „Selbstläufer“ gibt es im Sport viele. Vom Absteiger, der auch in der 2. Liga um den Klassenerhalt zittert, bis hin zum lang ersehnten ersten Saisontreffer – wie in der Saison 2011/2012 als Thomas Cichon den FC nach 1034 langen Minuten ohne eigenes Tor erlöste, der FC aber dennoch abstieg. Von mangelndem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten kann in Köln bislang (noch) keine Rede sein. Schließlich haben die Geißböcke sechs Mal die Wende geschafft, holten nach Rückständen noch zwölf Punkte.
Gegen Mainz war eine Wende nicht in Sicht. Im Gegenteil, nach der Gelb-Roten Karte für Kilian zerfiel der FC in seine Einzelteile. „Bei unserer Spielweise muss man alle auf dem Platz haben und alle müssen ihre Leistung bringen. Wenn du einen verlierst, entstehen Lücken“, sagte Baumgart. Am Freitag war Kilian der Unglücksrabe. Schon das erste Foulspiel, das zum Strafstoß führte, war unnötig, die Gelb-Rote Karte mehr als nur überflüssig. „Wenn ihm ein Fehler passiert, verliert er ab und an noch seinen Fokus, weil er sich zu sehr mit diesem Fehler beschäftigt“, sagte Sportdirektor Christian Keller unlängst dem „Geissblog“. „Unabhängig der Personalie Kilian führt ein sogenanntes Konsequenzdenken oft dazu, dass man den Fokus auf das Hier und Jetzt verliert. Man beschäftigt sich mit Dingen aus der Vergangenheit oder in der Zukunft“, bestätigt Loch. Gerade auf diesem hohen Niveau könne der Fokusverlust zu einem Leistungsabfall führen. „Ich würde versuchen, Handlungssicherheit bei dem Sportler zu schaffen, indem er sich auf das Wesentliche konzentriert“, sagt Loch.
Doch es gibt noch weitere Strategien. „Beispielsweise ist die Atmung ein wunderbarer Anker, um sich von einem Fehler zu lösen. Nach der Re-Fokussierung können sogenannte Wenn-Dann-Strategien den Sportler unterstützen, handlungsfähig zu werden“, sagt Loch. „Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass es nicht reicht, sich seiner Stärken bewusst zu werden, sondern dass man auch die Überzeugung gewinnen muss, dass einen diese Stärken auch zu dem gewünschten Erfolg bringen.“
Auch Baumgart sucht nach Ansätzen. „Es geht schon ums Aufarbeiten. Für uns gibt es Lösungen, die auf dem Platz liegen“, sagte Baumgart. „Ich hoffe, dass die Jungs weiterhin an das glauben, was wir bisher gemacht haben.“ Dazu haben die Geißböcke diese Woche gleich zweimal die Chance.