Leidenschaft und Stabilität FC-Trainer Baumgart setzt auf zwei defensive Abräumer

Köln · Steffen Baumgart hat den 1. FC Köln zum Leben erweckt. Seine Mannschaft überzeugt dabei nicht nur mit Leidenschaft und Intensität, sondern auch durch eine bemerkenswerte Kompaktheit. Dafür zeichnet gerade die sogenannte Doppelsechs mit Salih Özcan und Ellyes Skhiri verantwortlich.

 Starke Entwicklung: Salih Özcan (rechts) dominiert das Mittelfeld des 1. FC Köln.

Starke Entwicklung: Salih Özcan (rechts) dominiert das Mittelfeld des 1. FC Köln.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Wenn man es genau nimmt, müsste die Saison aus Sicht von Steffen Baumgart eigentlich sehr unbefriedigend verlaufen. Der Trainer, der das Spektakel so sehr schätzt auf dem Platz, hat bislang recht wenig Spektakel erlebt. Zuletzt gab es für sein Team, den 1. FC Köln, einen 1:0-Sieg gegen Eintracht Frankfurt. Okay. Im Heimspiel zuvor einen 1:0-Sieg gegen den SC Freiburg. Gut. Zwischendurch ein etwas ernüchterndes 1:3 bei RB Leipzig. Na ja. Aber die ganz große Show, nein, die blieb dabei im Verborgenen. Zumindest, wenn man das Baumgart’sche Credo als Grundlage nimmt: immer lieber 5:4 gewinnen als 1:0. Der Trainer gibt nicht nur selbst Vollgas wie ein rasantes Gefährt mit reichlich Pferdestärken unter der Haube, er fordert diese Mentalität auch von seinen Spielern: Offensive, Aktivität und Leidenschaft, das ist es, was der 50-Jährige sehen will.  Und er bekommt es zu sehen, selbst wenn Spiele mit mindestens drei oder vier Toren auf beiden Seiten bislang noch nicht zu bewundern waren.

Dass dies bei Spielen mit Baumgarts Einwirken schon mal vorkommen kann, hat der Coach seinerzeit in Paderborn deutlich gemacht. Dabei ging es den Kölner Verantwortlichen mit seiner Verpflichtung im Sommer, Ex-Manager Horst Heldt war einer der treibenden Kräfte, nicht darum, einen gewissen Hasardeur-Stil zu etablieren. Es ging um eine neue Mentalität, eine selbstbestimmte Spielauffassung, die die Mannshaft durch die Saison tragen sollte. Nach rund zwei Dritteln der Saison darf nun behauptet werden, selbst wenn es ein wenig pathetisch klingen mag: In Müngersdorf ist ein neuer Geist eingezogen. Des Trainers Grundsätze scheinen sich durchzusetzen: „Langweiligen Fußball will ich nicht sehen.“

Baumgart: Allein ist auch der beste Kicker der Welt nur eine Wurst

Baumgarts Fußball steht, wenn man so will, ganz im Gegensatz zu jenem, der die deutsche Nationalmannschaft bei der WM 1986 zwar bis ins Finale führte, aber deren Stil eher vergleichbar war mit einer drögen Wagenburgmentalität. Franz Beckenbauer hatte damals als Trainer, auch bedingt durch das vorhandene, besser: nichtvorhandene Spielerpersonal, ein System gewählt, das die Vorstopper, so wurden damals die Manndecker bezeichnet, nur so übereinanderstapelte. Da war genügend Platz für die Jakobs, Försters und Eders – in einem Team.

Selbstverständlich lässt sich auch mit einer solchen Aufstellung ein nach vorn orientiertes Spiel aufziehen, und genau das ist ja auch der Ansatz des Kölner Trainers. Für Baumgart geht es nicht um das Einstudieren Hunderter Spielsysteme, die man während der 90 Minuten schneller wechseln kann als ein DJ seine Platten. So abgedroschen es klingen mag: Für Baumgart zählt mehr die Ein- als die Aufstellung. Bedingungslose Hingabe. Teamgeist. „Ohne die anderen zehn“, sagte er dem Magazin „11Freunde, „ist auch der beste Kicker der Welt nur eine Wurst.“

Baumgart treibt seine Mannschaft nach vorn

Der Trainer setzt zwar auf einen festen Stamm in seiner Startelf, doch gibt er jedem Einzelnen das Gefühl, wichtig zu sein. Sein implantierter Spielstil ist, ganz seiner Maxime folgend, von Offensive und Mut gekennzeichnet, gleich gegen welchen Gegner. Er habe das Gefühl, sagte er vor dem Hinspiel gegen den Branchenriesen FC Bayern, „wenn ich mich hinten reinstelle, kann ich genauso den Arsch vollkriegen, als wenn ich nach vorn spiele“. Der ständige Vorwärtsgang wurde auch in dieser Partie beinahe belohnt. Aus einem 0:2-Rückstand erwirkten die Kölner ein 2:2, um dann noch mit 2:3 zu verlieren. Ein wenig Spektakel muss dann doch sein.

Unter seinem Vorgänger Markus Gisdol war die Mannschaft von solchen Spielen dagegen so weit entfernt wie selbst der wiedererstarkte FC vom Champions-League-Triumph. Der Trainer vertrat mit seiner zutiefst defensiven Ausrichtung ohne jeglichen Ansatz, aktiv das Spiel nach vorn zu gestalten, genau das Gegenteil der nun praktizierten Spielweise. Baumgarts System ist von hoher Intensität geprägt, nicht umsonst belegen die Kölner bei der Laufleistung einen der vorderen Plätze aller Bundesligisten. Das beinhaltet sowohl das frühe Anlaufen der gegnerischen Abwehrreihe als auch eine Zweikampfführung, die auf Aktivität und nicht auf Abwarten ausgerichtet ist. Gleichzeitig auch das Zurücklaufen in die Defensive und das Zulaufen entscheidender Räume im Höchsttempo. Jeder Spieler ist gefragt. Selbst ein Torjäger wie Anthony Modeste oder ein fußballerischer Feingeist wie Mark Uth nimmt sich davon nicht aus. Im Gegenteil. Auch das ist das Verdienst Baumgarts, der aus allen, sogar aus bereits abgeschriebenen Profis, das wahre Leistungsvermögen herauskitzelt. Da fällt es schwer um die Formulierung der sportlichen Wiedergeburt herumzukommen, und Baumgart ist, wenn man so will, der Geburtshelfer.

Özcan und Skhiri – ein starkes Duo

Bei allem Eroberungsgeist, der die Kölner in dieser Saison bislang umweht, haben Seriosität und Stabilität längst Einzug gehalten. Bislang bleibt nur ein Spiel in Erinnerung, in dem der FC nahezu chancenlos war. Das 0:5 in Hoffenheim kam in der Höhe aber nicht zustande, da Baumgart mit Salih Özcan nur einen defensiven Mittelfeldspieler auf der Sechser-Position ins Rennen geschickt hatte. Die Mannschaft ließ sich zu tief fallen, es an ausreichend Aggressivität in den wichtigen Räumen vermissen.

Baumgarts Einstellung ist ja bekannt. Es kommt ihm nicht so sehr auf die Aufstellung an, sondern wie die Spieler ihre Position interpretieren. Nicht selten in dieser Spielzeit hatte seine Formation nur einen Sechser zu bieten, den mal Ellyes Skhiri, dann – in Abwesenheit des Tunesiers – Özcan gab. Abgesehen davon, dass der deutsche U21-Europameister eine glänzende Saison bislang hinlegt, scheint er sich an der Seite von Skhiri sehr wohl zu fühlen. Die sogenannte Doppelsechs funktioniert. Seite an Seite organisierten die beide schon beim 4:1 im Derby gegen Gladbach den Widerstand vor der Abwehrmauer. Zuletzt gegen Frankfurt sorgten beide in dieser Rolle dafür, dass die Eintracht kaum einmal bis zur letzten Kölner Reihe durchbrach. Der Aufwand den das Duo dabei betreibt ist immens. Skhiri, das Laufwunder aus Nordafrika, reißt ligaweit mit die meisten Kilometer im Spiel ab; Özcan überzeugt durch seine Unnachgiebigkeit in Zweikämpfen, seine Entschlossenheit und seinen Drang, der Mannschaft auch mit seiner Präsenz helfen zu wollen.

Nicht umsonst bezeichnet sie ihr Trainer gerne als „meine Rennkühe“. Könnte passen. War es beim WM-Titelgewinn der deutschen Nationalmannschaft 2014 die sogenannte Ochsenabwehr, die vier etatmäßige Innenverteidiger bildeten, darf man folglich durchaus von einem kölschen Kuh-Mittelfeld sprechen, das den Rasen abgrast. „Die beiden haben die Aufgabe, die Mannschaft zusammenzuhalten“, erklärte Baumgart nach der Partie gegen Frankfurt. Das hat beeindruckend funktioniert. Der 1:0-Erfolg gegen die Eintracht bedeutete das dritte Spiel in dieser Runde ohne Gegentreffer.

Das gelang auf eine Art, die Rasanz und Attraktivität zu bieten hatte – trotz des lediglich einen Treffers. Neben dem unverzichtbaren Skhiri hat sich also auch Özcan zu einem Unverzichtbaren entwickelt. Seine Entwicklung ist bemerkenswert. „Salih ist im Moment in einer exzellenten Form, gefühlt verliert er keinen Zweikampf und spielt keinen Fehlpass“, lobt Baumgart, „So gibt er der Mannschaft viel Stabilität.“ Eine Stabilität, die Erfolg verspricht. Das Spektakel darf dann gerne mal ausbleiben. Zumindest, was die Anzahl an Toren betrifft.

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