Torhüter in Topform Ist Marvin Schwäbe reif für die Nationalmannschaft?

Bonn · Mit überragenden Leistungen hat sich Marvin Schwäbe in den Vordergrund gespielt. Es werden Stimmen laut, die den Torhüter des 1. FC Köln schon in der DFB-Auswahl sehen.

Ruhig und konzentriert: FC-Keeper Marvin Schwäbe (vorn) überzeugt mit beständig guten Leistungen.

Ruhig und konzentriert: FC-Keeper Marvin Schwäbe (vorn) überzeugt mit beständig guten Leistungen.

Foto: dpa/Hendrik Schmidt

Dass dem Ringerverband Nordrhein-Westfalen ein Fußball-Torhüter eine Meldung wert ist, muss erst einmal verwundern. Doch ein Blick in Marvin Schwäbes Jugend genügt, um festzustellen: Der Mann hat seinen natürlichen Lebensraum nicht allein auf Fünfmeter- und Strafraum, sondern gleichfalls auf die Matte beschränkt, auf der sich Ringer gegenüberstehen. Er verfügte über nicht wenig Talent in diesem Ganzkörpereinsatz-Kampfsport, der schon bei den Olympischen Spielen der Antike seine Sieger krönte. In der Jugend wurde der heute 27-Jährige im Trikot des KSC Germania Hösbach sogar einmal Vierter bei den deutschen Meisterschaften im Freistil. Ob seine Fokussierung auf den Fußball auch damit zu tun hatte, dass sein Bruder Kevin das Ringen noch ein wenig mehr beherrschte, ist nicht überliefert. Dass Kevin insgesamt sechsmal deutsche Meisterehren erfuhr, dagegen schon. „Er stand sogar kurz davor, zu Olympia zu fahren – dann kam leider eine Verletzung dazwischen“, sagte Marvin Schwäbe, Spross einer Ringerfamilie, einmal. „Aber er war da schon wesentlich erfolgreicher als ich.“

Das mit dem Erfolg hat sich inzwischen auch bei ihm selbst eingestellt – nicht auf der Matte, zwischen den Pfosten. Angefangen hatte alles beim SC Hassia in seiner hessischen Geburtsstadt Dieburg, und fachgerecht zupacken konnte er auch als Torhüter, das wurde schnell deutlich. Sein Talent war zu groß für den kleinen Verein. Über Kickers Offenbach, Eintracht Frankfurt und die TSG 1899 Hoffenheim kam er zu Dynamo Dresden und Bröndby IF in Kopenhagen, wo er zum Abschluss seiner drei Jahre dänischer Meister wurde, ehe es ihn im vergangenen Sommer zum 1. FC Köln zog. Natürlich, er hatte gleich Ansprüche auf den Posten als Nummer eins, doch vor ihm stand Timo Horn. Jener Torhüter, der seit fast einem Jahrzehnt seinen Stammplatz sicher hatte in Köln. Und an diesem Zustand sollte sich zunächst auch nichts ändern. Trainer Steffen Baumgart, der in Schwäbe schon damals den legitimen und chancenreichen Herausforderer Horns sah, ließ ihn zumindest im DFB-Pokal ran, und Schwäbe zeigte schon in der ersten Runde gegen Carl Zeiss Jena, als er mit zwei gehaltenen Schüssen im Elfmeterschießen zum Kölner Helden avancierte, dass mit ihm zu rechnen sei.

FC-Debüt beim 4:1-Derbysieg gegen Gladbach

Es dauerte allerdings einige Monate, bis er in der Liga für den 1. FC Köln zwischen den Pfosten stehen durfte. Hilfreich war, keine Frage, eine Knieverletzung Horns mit anschließender Operation, die Schwäbe die Chance eröffnete – und ganz nach dem Motto „Des einen Schaden ist des anderen Nutzen“, nutzte er diese tatsächlich. Im November 2021 feierte er sein Debüt beim 4:1-Derbysieg gegen Borussia Mönchengladbach. Das rief gleich den Ringerverband NRW auf den Plan, der dies voller Stolz auf seiner Homepage veröffentlichte. Nur kurz ging das Ringen dann nach der Genesung Horns um die Berechtigung, den FC als Stammtorwart durch die Saison zu begleiten, weiter. Natürlich sei er stolz, sagte Schwäbe damals, Timo sei eine absolute Vereinsikone, noch dazu „ein fairer Sportsmann. Ich glaube auch nicht, dass er das einfach so hinnimmt. Er ist ehrgeizig und wird versuchen, sich den Platz zurückzuerkämpfen“.

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Foto: dpa/Matthias Balk

Doch Baumgart hielt für die Rückrunde fest an Schwäbe. Und der exzellente Torhüter dankte es ihm mit einer Selbstverständlichkeit, die seitdem keinen Zweifel an des Trainers Entscheidung lässt. Im Gegenteil. Schwäbe, den eine Aura der Ruhe in all den Turbulenzen des Spiels umgibt, erweckt den Eindruck, zu Höherem berufen zu sein. Zumindest mehren sich die Stimmen, nicht nur aus dem Kölner Umfeld, dass er durchaus eine Alternative zu den etablierten Manuel Neuer, Marc-André ter Stegen, Kevin Trapp oder auch Bernd Leno sein kann. Dass allerdings bald der insgesamt vierte Kölner Keeper nach Manfred Manglitz, Harald „Toni“ Schumacher und Bodo Illgner ein Spiel für die DFB-Elf bestreitet, ist bei der Duracell-Lebensdauer Neuers eher unwahrscheinlich. Vor den anderen Kandidaten muss sich Schwäbe, der mit seiner Frau Michelle, Töchterchen Zoe und dem Hund die Ruhe in seinem Haus in Düren dem Großstadttrubel vorzieht, jedoch nicht verstecken. Ein Mann für die großen Sprüche und Forderungen ist er gleichwohl nicht.

Kein Mann der großen Sprüche

Sein Spiel jedoch passt in das Anforderungsprofil, das auch Bundestrainer Hansi Flick an seine Torhüter auf diesem Höchstniveau stellt. Neben erstklassigen Reflexen und der Beherrschung des Raums kann sich auch sein Torwartspiel mit dem Ball am Fuß mehr als sehen lassen. Zudem strahlt er immerzu eine Ruhe aus wie ein tibetanischer Mönch in der Meditation, die ihn auch bei Rückschlägen nicht verlässt. Eklatante Fehler von ihm sind seit seinem Debüt gegen Gladbach an einem Finger abzulesen, doch selbst jener beim Tor des Leipzigers Timo Werner bringt ihn nicht aus dem Konzept. Er macht einfach weiter – in aller Ruhe. Nach dem 2:2 gegen Leipzig lobte Baumgart: „Wie Marvin dann die Nerven im Griff hat und uns im Spiel hält, da muss ich sagen: Hut ab!" Auch der frühere Profi-Torhüter und heutige Lizenzspieler-Chef Thomas Kessler rang nicht um Worte: „Jeder Torhüter macht Fehler“, sagte er. „Die Frage ist, wie er darauf reagiert. Das ist entscheidend. Und da hat Marvin unter Beweis gestellt, dass er zu den Besten gehört." Das kann man derzeit so stehen lassen.

Zwar konzentriert sich Schwäbe seit seinem 14. Lebensjahr ausschließlich auf seine Karriere als Fußballer, doch das ständige Ringen und Rangeln in seiner Jugend hat ihn auch für das Torwartspiel bestens präpariert. „Die Ruhe in Eins-gegen-eins-Duellen“, sagte der als Mattenkämpfer Konflikterprobte einmal dem „Express“, die habe er auf den Fußball übertragen. „Man lernt, nicht hektisch zu werden und nicht zu schnell den ersten Schritt zu machen. Beim Ringen muss man wie als Torwart auch ein bisschen abwarten, was der Gegenüber macht, und genau beobachten können.“ Zuletzt zeichnete er sich in einer solchen Situation gegen den Stuttgarter Silas aus und hielt den FC damit, neben etlichen anderen Paraden, im Spiel. Das erinnert ein wenig an die Nervenstärke des kühlen Neuer.

Schwäbe wurde U21-Europameister

Erste Berührungspunkte mit der Nationalmannschaft gab es ohnehin schon. Sein Ziel, einmal in das A-Team zu kommen, nahm im Sommer 2016 zumindest Umrisse an. Als Torhüter der deutschen U21, zuvor hatte Schwäbe sämtliche DFB-Teams seit der U17 durchlaufen, durfte er im Trainingslager in Ascona vor der EM 2016 mit den Elite-Spielern trainieren. Die U21, in deren Kader er auch beim EM-Titelgewinn 2017 in Polen stand, fungierte in der Schweiz als Testgegner für die Mannschaft von Joachim Löw, um die kommenden Gruppengegner zu simulieren. „Es war schon schön, die A-Nationalmannschaft mal gesehen und gegen sie gespielt zu haben“, sagte Schwäbe seinerzeit. Ein Abendessen und ein Grillfest rundeten das Zusammentreffen ab, und „wir konnten uns ein bisschen kennenlernen“, erinnert sich Schwäbe. Nur ein Gespräch mit Neuer kam „leider nicht“ zustande. Das könnte ja bald anstehen, sollte Marvin Schwäbe seine Leistung weiterhin derart konstant und auf diesem erstaunlichen Niveau abrufen. Im Kreis der Nationalmannschaft.

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