Trainervergleich vor direktem Duell So unterscheiden sich die Trainer Baumgart und Tedesco
Köln · FC-Trainer Steffen Baumgart und Leipzigs Domenico Tedesco verstehen ihren Job – haben aber eine ganz andere Art. Der eine gilt als Taktikfuchs, der andere kommt mehr über die Emotion. Wer entscheidet das Trainer-Duell für sich?
Es lässt sich gerade nicht feststellen, ob die Baumgarts besonders erleichtert sind, dass Familienvorstand Steffen jetzt wieder mehr Zeit an seinem Arbeitsplatz verbringt. Einerseits natürlich schon, denn der Trainer befand sich ja wegen eines positiven Corona-Tests zu Hause in Isolation. Nun hat er die Erkrankung, die lediglich milde Symptome mit sich brachte, überstanden und darf sich wieder in seinem geliebten Job austoben, im Wortsinn. Andererseits: Natürlich auch, da der Rest der Familie nun in aller Ruhe vor dem Fernseher die Spiele des 1. FC Köln verfolgen kann, wenn der Trainer Baumgart ruhelos, schreiend und fluchend seinem Auftrag an der Seitenlinie nachgeht – und nicht mehr das heimische TV-Gerät verdunkelt.
Am Mittwoch kehrte Baumgart ans Geißbockheim zurück, nachdem er sich am Morgen freigetestet hatte. Er leitete gleich das Training. Nein, Zeit verlieren will der 50-Jährige nicht, bereits am Freitag steht das Auswärtsspiel des FC bei RB Leipzig an (20.30 Uhr/Dazn). Er glaube, sagte er nach der Einheit scherzend, es seien alle froh, „dass ich zu Hause raus bin“.
RB-Trainer Domenico Tedesco erfolgreich als Nachfolger von Jesse Marsch
Keine Frage, arrangieren konnte sich Baumgart nicht mit dem Arbeiten im Homeoffice, denn krank gefühlt hatte er sich ja nicht. Es sei für jeden schwierig, sagte er, „wenn man sich gesund fühlt, aber nicht raus darf“. Also musste er für die Partie gegen den SC Freiburg das heimische Wohnzimmer in seine Coachingzone umfunktionieren – und hielt sich nicht zurück. „Wer mich kennt“, sagte der Kölner Coach rückblickend auf das kuriose Heimvideo, das seine Tochter veröffentlicht hatte, „der weiß, dass das normal war“.
Eine etwas subtilere Art darf dagegen Domenico Tedesco für sich reklamieren. Es schien ja beinahe so, als habe sich der Deutsch-Italiener von der großen Fußball-Landkarte verabschiedet. Dabei konnte er auch bei Spartak Moskau zuletzt nicht unerhebliche Erfolge nachweisen. Und als Tedescos Russland-Episode aus eigenen Stücken beendet war und er im Dezember vergangenen Jahres als Nachfolger von Jesse Marsch RB Leipzig übernahm, war er plötzlich wieder zurück im Bundesliga-Geschäft.
Tedesco gilt als Fußball-Professor
Tedesco gilt als Trainer, der sich mit dem Fußball beschäftigt, als tüftele er an einem Raumschiff zur Entdeckung fremder Galaxien. Wenn er an einen Fußballplatz denkt, hat er wahrscheinlich einen Schaltplan im Kopf. In jedem Winkel passiert etwas Wichtiges. Alles hängt mit allem zusammen, und wenn rechts etwas britzelt, wirkt sich das auch auf links aus. Sein Gehirn funktioniert wie ein Hochleistungscomputer. Tedesco, geboren in Italien, aufgewachsen nahe Stuttgart, scannt, entwickelt, verwirft – und alles wieder von vorn. Bis es passt.
Als Jugendtrainer des VfB Stuttgart soll er einst bereits eine halbe Stunde vor dem Training mit den jungen Fußballern, nicht älter als elf, die Hütchen auf dem Trainingsplatz aufgestellt haben. Ein Perfektionist. Selbst mit der Erfahrung als Kreisliga-A-Spieler ausgestattet, schaffte es Tedeso mit dieser Detailversessenheit später über die Jugendabteilung der TSG Hoffenheim zielstrebig zu den Profis. Und galt spätestens nach seinem Wechsel zum FC Schalke 04 als eines der größten Versprechen eines attraktiven deutschen Jungtrainermarkts.
Baumgart setzt mehr auf Ordnung und Teamgeist
Ihm selbst haftet der Ruf an, ein Fußball-Professor zu sein, ein sogenannter Laptoptrainer. Einer, der stundenlang über Sechser referieren kann, die abkippen, über Balancespieler, Ablagenempfänger oder Box-to-box-Player. Früher hat er sogar Beiträge in Trainerfachmagazinen veröffentlicht, etwa über Möglichkeiten im Umschaltspiel bei Kindern.
Es ist eine Arbeitsweise, die ganz und gar abweicht von jener Baumgarts. Selbstredend, Taktik dient auch ihm als Grundprinzip seiner Arbeit. Doch stundenlange Videostudien oder Klötzchen-hin-und-her-Schieberei auf Taktiktafeln sind seine Leidenschaft nicht. Als sogenannter Taktikfuchs, nein, als solcher versteht er sich nicht. „Was soll das überhaupt sein, ein Taktikfuchs?“, fragte er einmal im Onlineportal Sportbuzzer, „Alleine das viele Gerede von Taktik – 4-4-1, 4-3-3 oder sonst eine Anordnung – was soll das bringen? Eine Mannschaft muss ein Gesicht haben und eine gewisse Ordnung.“ Punkt. Baumgart schafft Ordnung, kann eine Mannschaft führen, innervieren, vorwärtstreiben. Das Gemeinschaftsgefüge und -gefühl scheint ihm dabei wichtiger, als das zwanghafte Einstudieren Hunderter Spielsysteme. Vielmehr zählen „Mentalität und der Spaß am Sport“, erzählte er im Podcast „Einfach mal Luppen“ mit Toni und Felix Kroos. Was er sehen will: Leidenschaft, Laufen, Einsatzbereitschaft, das könne jeder bringen. Und er selbst könne jeden dazu bringen, „dass er den Meter mehr läuft“. Für die Gemeinschaft.
Das wird auch Tedesco nicht anders bewerten. Bei all seinem Sinn fürs Taktische sollte man nun nicht dem Klischee folgen, der RB-Trainer käme über den Status des Nerds nicht hinaus. Er kann ebenso eloquent wie empathisch daherkommen. Ein Trainer, noch immer nicht älter als 36, der seine Spieler richtig anzupacken weiß, sie mitnimmt.
Tedescos Kniefall in der Kabine während der Halbzeit des Derbys Schalke gegen Dortmund
Schon zu seiner Zeit auf Schalke bezog er die Profis ein in seine Überlegungen, forderte sie auf, ihre Meinung zu sagen. Mit seinen Ideen, seiner Herangehensweise erreicht er die Spieler. Es gibt eine Episode in seiner Schalker Zeit, die einen guten Einblick in sein Wirken außerhalb aller Taktiktüftelei gibt. Sein Kniefall in der Kabine beim 0:4-Halbzeitstand im Derby gegen Borussia Dortmund hat sich im kollektiven Schalker Gedächtnis einen schönen Platz gewählt. „Der Trainer hat uns enger zusammengerufen. Dann ist er vor uns auf die Knie gegangen“, beschrieb der frühere Schalke-Verteidiger Thilo Kehrer die Kabinenpredigt. „Das war eine sehr ruhige und trotzdem sehr emotionale und packende Ansprache.“ Seine Spieler folgten ihm, am Ende gab es ein spektakuläres 4:4.
Tedesco setzte zwar nicht alles auf die Karte Fußball, schloss zwei Studiengänge erfolgreich ab (Wirtschaftsingenieurwesen, Innovationsmanagement), arbeitete später in einem Ingenieurbüro (Spezialgebiet: Reduktion von Autolärm), trieb eine berufliche Laufbahn im Fußball-Business aber immer ehrgeizig voran. Auf eigene Erfahrungen als Profispieler musste er, der fünf Sprachen spricht, dabei verzichten. Das unterscheidet ihn nicht von anderen sehr veranlagten Trainern: Julian Nagelsmann, Thomas Tuchel, auch Hannes Wolf.
Glatte „1“: Tedesco mit der besten Abschlussnote beim Trainerlehrgang
Dass er dennoch schon früh ins Geschäft einstieg, verdankt er auch einer Art Musterschülerhaftigkeit. Die fiel bereits auf, als er den Lehrgang zum Fußballlehrer des DFB 2015/16 absolvierte. Mit Nagelsmann, damals wie er Jugendtrainer in Hoffenheim und auf dem Sprung zum Cheftrainer der TSG, bildete er eine Fahrgemeinschaft. Wer sich die gemeinsamen Fahrten nach Hennef nun jedoch wie einen ewigen Austausch zweier Fußball-Masterminds vorstellt, liegt falsch. Auch das Private kam nicht zu kurz. Die Verbindung hat gehalten. „Wir kennen uns schon gut“, sagte der heutige Bayern-Trainer Nagelsmann vor Kurzem. Die Fahrten und der Lehrgang endeten schließlich damit, dass Tedesco Klassenbester wurde, in der schriftlichen Abschlussarbeit Nagelsmann übertraf. Endergebnis in Noten: 1 zu 1,3.
Auch Baumgart erinnert sich gerne an seine Anfänge mit dem Erwerb der Trainerlizenz. Nicht, weil ihm in der Hennes-Weisweiler-Akademie in Hennef der Fußball wie Anatomie in einem Medizinstudium eingepaukt wurde, sondern weil er vor allem eines mitnahm: „Du lernst Gemeinschaft. Du lernst unterschiedliche Ansichten kennen.“ So ist aus Baumgart jener Trainer geworden, der nichts auf den Einzelnen gibt, aber alles auf die Mannschaft setzt.
Nun war er – im Gegensatz zu Tedesco – nicht der Jahrgangsbeste. In seiner Klasse von 2015 war das der heutige Wolfsburger Coach Florian Kohfeldt. Aber in der Bundesliga sind beide angekommen. Baumgart und Tedesco. Jeder auf seine Art.