Beispiel Wirtz‘ Kreuzbandriss So wirkt sich eine schwere Verletzung auf die Psyche aus

Analyse | Köln · Der 1:0-Erfolg des 1. FC Köln über Bayer Leverkusen wurde von der schweren Verletzung von Florian Wirtz überschattet. So ein Sportunfall hat auch immer Auswirkung auf die Psyche. Eine Expertenanalyse.

 Leverkusens Florian Wirtz liegt während der Partie gegen den 1. FC Köln verletzt am Boden.

Leverkusens Florian Wirtz liegt während der Partie gegen den 1. FC Köln verletzt am Boden.

Foto: dpa/Marius Becker

Sorgenvoll blickte auch Steffen Baumgart in Richtung Kölner Sechzehner. Der Trainer des 1. FC Köln erkundigte sich bei der Bayer-Bank immer wieder nach der Verletzung von Leverkusens Spielmacher. Florian Wirtz war nach einem Zweikampf mit Luca Kilian liegen geblieben, hatte zunächst auf den Boden geschlagen, sich dann an das linke Knie gegriffen und wurde anschließend minutenlang behandelt. Dem Spieler selbst wird umgehend klar gewesen sein, dass es nicht weitergehen konnte. Wirtz, in Köln ausgebildet, bei Leverkusen zum Hoffnungsträger der DFB-Auswahl geworden, hatte sich einen Riss des vorderen Kreuzbandes im linken Knie zugezogen – Saison gelaufen, WM in weite Ferne gerückt.

Jährlich gibt es mehr als eine Million Sportverletzungen, die ärztlich behandelt werden müssen. Dass Sport ein gewisses Verletzungsrisiko birgt, ist jedem Profisportler sicherlich bewusst. Doch nicht nur die Verletzung an sich macht den Akteuren im Fall der Fälle zu schaffen. „Die Art und Schwere der Verletzung, der Saisonzeitpunkt, die eigene Verletzungshistorie und weitere Faktoren spielen eine entscheidende Rolle für die mentale Verfassung der Sportler, die weitreichende Folgen nach sich ziehen können“, sagt Thorsten Loch, sportpsychologischer Experte, der die einseitige Rehabilitation durch medizinische und physische Maßnahmen im Sport kritisiert. „Effektive Rehabilitation setzt eine ganzheitliche Sichtweise voraus – Körper und Geist müssen parallel genesen.“

Vorfälle können Leistung hemmen

Der Schock der Verletzung war Wirtz deutlich anzusehen. Kein Wunder, der 18-Jährige ist der Shooting-Star im deutschen Fußball, eine WM-Teilnahme war quasi sicher. „In der Regel besteht in den Köpfen immer noch ein Rest Hoffnung, dass es doch nicht so schlimm sein wird“, sagt Loch. Anthony Modeste und Ondrej Duda schauten zu Wirtz und applaudierten fair, als der Leverkusener vom Platz getragen wurde. „So ein Ereignis wird von jedem Einzelnen völlig unterschiedlich wahrgenommen“, sagt der Experte. „Habe ich möglicherweise selbst schon solch eine Verletzung durchmachen müssen, so weiß ich, was dort alles auf einen in der Rehabilitation zukommt. Diese Erfahrung kann etwas mit einem machen.“ Die Konzentration gehe hinunter, man sei mit seinen Gedanken nicht mehr bei der eigentlichen Aufgabe, die eigenen Aktionen könnten gehemmt werden.

Auch Baumgart war sichtbar geschockt, suchte das Gespräch mit dem Leiter der Lizenzspielabteilung, Thomas Kessler, und blickte wieder aufs Feld. „Das war für uns alle ein Schock“, sagte Baumgart später. Laut Experten ist die Möglichkeit einer Verletzung allen Beteiligten durchaus bewusst. Der Sorge werde aber lange keine Beachtung geschenkt, bis einen die Verletzung selbst erreiche. Man müsse aber die Vorkommnisse unterscheiden. Der Herzstillstand von Christian Eriksen bei der EM im vergangenen Jahr ist mit einem Kreuzbandriss nicht zu vergleichen. „Nehmen wir als Beispiel den Zusammenbruch von Eriksen. Diese Szene war nicht nur ein Schock für sein Team. Eine solche Ausnahmesituation hatte höchstwahrscheinlich noch niemand zuvor erleben müssen. Selbstverständlich macht dies etwas mit den Menschen im unmittelbaren Umfeld“, sagt Loch. „Bei einem Kreuzbandriss handelt sich um eine typische sportartspezifische Verletzung. Man weiß, was es ist, und man ist in der Lage sich etwas drunter vorstellen.“

Wirtz‘ Ausfall hatte Einfluss auf das Spiel

Dennoch kann auch eine solche Verletzung eine Signalwirkung haben, die in beide Richtungen ausschlagen kann. „Entweder es gelingt dem Team, diese Emotionen entsprechend zu kanalisieren und die frei gewordene Energie handlungsdienlich zu nutzen oder eben nicht. Bin ich in den Gedanken bei meinem Mitspieler und verliere den Fokus, so reichen diese paar abfallenden Prozentpunkte auf diesem Niveau bereits, um das Pendel in Richtung Niederlage umschlagen zu lassen.“

Sportlich wird der Ausfall des Spielmachers sicherlich Auswirkungen auf das Leverkusener Spiel gehabt haben. Ob es auch einen Einfluss auf die Psyche der Leverkusener Akteure gegeben hat, ist nicht messbar. Genauso wenig gebe es  laut Experten eine Patentlösung, ob der Trainer das Geschehene in der Halbzeit ansprechen soll. „Ich denke, dass der Trainer abspüren sollte, ob dies in der Halbzeit ein Thema für das Team ist. Idealerweise kennt der Trainer sein Team und seine einzelnen Mitglieder wirklich gut und kann dementsprechend agieren“, sagt Loch.  Für Bayer-Coach Gerardo Seoane wird wohl die Sorge um seinen langwierig verletzten Mittelfeldmann ohnehin im Vordergrund stehen.

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