“Es gab so gut wie keine Kontrollen“ Wie Fans des FC die Krawalle in Nizza erlebten

Köln · Die Ausschreitungen in Nizza haben einen dunklen Schatten über den 1. FC Köln und den Europapokal gelegt. Wir haben mit FC-Fans aus Bonn und der Region gesprochen, wie sie den Abend in Nizza erlebt haben.

1. FC Köln: Wie Fans des FC die Krawalle in Nizza erlebten​
Foto: AP/Daniel Cole

Den 8. September hatten sich wohl zahlreiche Fans des 1. FC Köln in ihrem Kalender rot markiert. Der Beginn der Gruppenphase der Conference League sollte der Take-off einer beeindruckenden Europa-Tour werden. Dass diese dann auch noch im Spätsommer an der Côte d’Azur beginnen würde, hätten sich die Reisewilligen wohl nicht schöner vorstellen können. Doch schon vor dem „Abflug“ wird die Reise zum Schandfleck, zum Debakel, zum Albtraum. Massive Fan-Ausschreitungen mit 32 Verletzten, davon zwei Schwerverletzten, und Sachbeschädigungen legen einen dunklen Schatten über den Abend in Nizza und über den 1. FC Köln, den nun eine saftige Strafe erwartet. Denn der FC steht nach Ausschreitungen in Belgrad vor fünf Jahren unter Beobachtung der Uefa, spielte im Grunde auf Bewährung.

Dabei hat alles so friedlich angefangen. „Es war einfach ein wunderschöner Tag in Nizza, mit zahlreichen ruhigen und friedlichen Fans“, sagt Wolfgang Pütz, der unter anderem „Bonn steht Kopp“ veranstaltet und zum Auswärtsspiel des FC gereist ist. „Es war bis dahin einfach eine tolle Stimmung.“ Je nach Schätzung und Angaben versammeln sich am frühen Nachmittag 10 000 bis 14 000 Fans im Zentrum der Küstenstadt, verwandeln die Côte d’Azur in Nizza in eine rote Welle. Auch der gebürtige Swisttaler Martin F. ist vor Ort. „Es war einfach extrem nett, dazu das perfekte Wetter am Mittelmeer. Was will man eigentlich mehr“, so der 42-Jährige. „Die Schlachtgesänge, die kölschen Lieder – da waren schon einige Gänsehautmomente dabei.“ Der Tross setzt sich in Bewegung, will zum Stadion ziehen. Über mehrere Kilometer geht es in einem Fanmarsch. Es sind beeindruckende Bilder, die in den Sozialen Medien gezeigt werden. „Das war schon schön auf der Promenade“, sagt Henning W., der Bonner entscheidet sich aber den Fanmarsch zwischenzeitlich zu verlassen. Tausende Fans bejubeln vor dem Kölner Hotel FC-Coach Steffen Baumgart, der den Zuspruch der Anhänger sichtbar genießt.

1. FC Köln: FC-Fans durchbrechen Sicherheitskontrolle

So bewerten wir die FC-Spieler gegen Nizza
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Foto: dpa/Marius Becker

„Wir waren etwas Essen und um 16.30 Uhr am Stadion. Da war noch alles ruhig“, sagt der Bonner. „Aber als wir dann ins Stadion gehen wollten, gab es die ersten Scharmützel.“ Augenzeugen berichten, dass Fans von OGC Nizza mit Messern, Stühlen und Stangen auf Kölner Anhänger losgegangen sind. „Offenbar waren auch Nizza-Anhänger mit Böllern darunter“, sagt Henning W. Es gibt die ersten Verletzten, die Polizei greift laut Zeugen mit Pfefferspray und Wasserwerfern ein. Doch es gibt am Stadion schon die nächsten Probleme. „Ich weiß, dass eine Sicherheitskontrolle von Kölner Fans durchbrochen worden ist“, erzählt Martin F. „Die Sicherheitskontrollen waren auch eher mäßig. Wir wurden nur auf Sicherheitsrelevantes kontrolliert.“ Das bestätigt auch Henning W. „Es gab kaum Ordner, die auf die Tickets geguckt haben. Man konnte im Grunde in jedem Block sitzen.“

Auf dem Weg zu seinem Sitzplatz sieht der Bonner auch Köln-Fans, die ihre Gesichter vermummen. „Natürlich hatten wir da ein mulmiges Gefühl und uns gefragt, was da noch so alles passiert“, sagt der Bonner. Es passiert einiges. Rund 100 Vermummte rennen daraufhin Richtung Nizza-Fanblock. Wie der FC berichtet, haben sich unter die Kölner Anhänger auch Sympathisanten von Paris Saint-Germain, einem Rivalen von Nizza, gemischt. Augenzeugen berichten auch von BVB-Fans. Bestätigt sind beide Angaben nicht. Allerdings hing im Kölner Block eine große Fahne von Paris Saint-Germain, einige Vermummte tragen die Vereinsfarben. Es kommt zu wilden Schlägereien. Ein Mann aus Paris stürzt unglücklich vom Oberrang, zieht sich nach ersten Angaben ein Schädeltrauma zu, sei aber nach Behörden-Angaben stabil. Diese geben auch an, dass rund 650 Polizisten und 600 Ordner im Einsatz sind. Augenzeugen geben allerdings an, dass diese erst viel zu spät eingegriffen haben.

1. FC Köln muss sich auf Strafe einstellen

OGC Nizza - 1. FC Köln
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Auf Videos in den Sozialen Medien ist nicht nur die unsägliche Brutalität zu sehen. Man erkennt auch Ordner, die mit Tischen und Stangen auf Hooligans einschlagen, am Boden liegende Anhänger treten. Die Polizei räumt die Fanblocks. FC-Kapitän Jonas Hector richtet emotionale Worte an die Fans, ruft zur Vernunft, zur Ruhe auf. Derweil wird hinter den Türen heftig diskutiert. Die Uefa hat kurzfristig eine Krisensitzung einberufen. Diskutiert werden die Spielabsage sowie eine Partie unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Der Verband entscheidet sich, das Spiel auszutragen, stellt aber Bedingungen. Bei weiteren Ausschreitungen wird die Begegnung sofort abgebrochen, annulliert und am grünen Tisch entschieden. „Das war für uns natürlich der absolute Stimmungskiller“, sagt Martin F. „Viele Fans haben mit Beginn des Spiels wieder auf Normalbetrieb umgestellt. Ich konnte den Schalter nicht so einfach umlegen.“

Die Bilanz ist verheerend. Auch der Schaden für die Vereine ist groß - sowohl wirtschaftlich als auch das Image wird beschädigt. Denn der Schandfleck von Nizza wird bleiben. Der FC kündigte an, mit aller Härte gegen die Täter vorzugehen. „Man muss versuchen, jeden Einzelnen ausfindig zu machen und dafür sorgen, dass sie niemals wieder ein Stadion betreten werden – zumindest in Köln nicht“, erklärte FC-Sportdirektor Christian Keller. Die Täter sollen ausfindig gemacht werden. Spuren wird der Abend dennoch hinterlassen. „Ich habe mich auf diese Auswärtsreise einfach unfassbar gefreut“, sagt Martin F., der sonst eher Heimspiele besucht. Sowohl er als auch Henning W. glauben, dass Nizza auf die Massen an FC-Fans nicht vorbereitet gewesen sei. Kaum vorstellbar, denn angeblich hat der FC die Behörden auf Sicherheitsbedenken hingewiesen, und die Bilder aus London 2017 sollten auch in Frankreich angekommen sein. „Angst hatte ich eigentlich nicht. Wir saßen zum Glück weit entfernt“, sagt der 43-Jährige. „Wir haben uns nur ein wenig Sorgen gemacht, wie wir sicher nach Hause kommen. Wir mussten eine Stunde im Stadion warten, da ging das. Dennoch: das alles hinterlässt bei mir nur ein einziges großes Fragezeichen.“

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