FC-Historie Wie Thomas Häßler Deutschland zur WM 1990 schoss – und Weltmeister wurde
Serie | Köln · Ganz Deutschland liegt sich in den Armen. Die Nationalmannschaft ist 1990 in Rom zum dritten Mal Weltmeister geworden. Ohne das Kunststück eines Kölners wäre das gar nicht möglich gewesen.
Wer die Gnade der frühen Geburt erlebt hat, der wird sich erinnern können an ein bemerkenswertes Turnier, an dessen Ende Deutschland sich zum dritten Mal Weltmeister nennen durfte: die WM 1990 in Italien. Zuvor hatte uns Udo Jürgens bereits musikalisch eingestimmt und mitgenommen auf den Brenner, den Po vor Augen, und auf eine Abenteuerreise, die viele außergewöhnliche Erlebnisse und Eindrücke zu bieten hatte: Lothar Matthäus etwa, der unter der Sonne des Südens als unnachahmlicher Antreiber und Torschütze (nach einem Solo gegen Jugoslawien) das tat, was er am besten kann: Fußball spielen. Oder der Kölner Keeper Bodo Illgner, der im Halbfinale den Ruf der Engländer als frustrierte Elfmeterschützen mit seiner Parade gegen Stuart Pearce untermauerte. Auch Andreas Brehme, der Elfmeter mit links wie rechts schießen konnte, sich beim entscheidenden Strafstoß im Finale gegen Argentinien für rechts entschied, ihn platziert nach unten links schoss – und damit richtiglag. Das anschließende Solo des in sich versunken, über den verwaisten Rasen des Stadio Olimpico di Roma spazierenden Teamchefs Franz Beckenbauer, die Hände in den Taschen vergraben, auch das: einfach unvergesslich! Oder der Skandal-Platzverweis für Rudi Völler mit seiner von Speichel getränkten Lockenpracht gegen Holland, ach…
Italien-Impressionen, die bleiben. Doch die Jubelschreie in den deutschen Wohnstuben und die Freudengesänge der Fans in Schwarz-Rot-Gold in Bella Italia hätte es beinahe nicht gegeben, wenn nicht ein kleiner Kölner an einem ungemütlichen Herbsttag, dem 15. November 1989, über sich hinausgewachsen, wenn nicht Thomas Häßler gewesen wäre. Mit seinem Treffer, ach was: Kunststück, im WM-Qualifikationsspiel gegen Wales in Köln verschaffte der Dribbelkünstler der deutschen Mannschaft erst die Berechtigung für die Reise über den Brenner, um in Italien schließlich Weltmeister zu werden. Die Ausgangslage war klar vor dem „High-Noon-Match“ in Müngersdorf: Die DFB-Elf musste gewinnen, um den Traum vom WM-Titel nicht zum Wunschtraum verkümmern zu lassen.
Frühe Führung für Wales
Diese FC-Spieler standen zeitgleich in der DFB-Elf
Ohnehin, es war eine aufregende Zeit damals, wenige Tage zuvor war die deutsche Mauer gefallen und Geschichte. Die Geschichte des nasskalten Abends in Köln schrieb ein anderer, denn die deutsche Mannschaft musste einige Hindernisse überwinden, hoch wie Mauern, um das kleine britische Land doch noch in die Knie zu zwingen. Beckenbauer, der Chef der deutschen WM-Mission, hatte die Aufgabe zuvor als „wichtigstes Spiel“ in seiner Trainerkarriere erhoben, trotz des WM-Finals 1986 in Mexiko, trotz der Heim-EM zwei Jahre später. Doch zunächst bröckelte die Zuversicht beim „Kaiser“, seinem Gefolge, den Fans. Die Waliser waren früh in Führung gegangen durch Angreifer Malcolm Allen, der Illgner überwand: 0:1 aus deutscher Sicht, nach nur elf Minuten. Die Gäste organisierten den Widerstand mit Hingabe, blieben hartnäckig. Eine zähe Auseinandersetzung. „Die Waliser waren an dem kalten Abend fast gleichwertig“, erinnerte sich Häßler Jahre später im Magazin „11Freunde“. „Die standen sehr kompakt hinten drin und warteten nur darauf, ihre Konter zu fahren.“
Kalte Temperaturen in Köln, gesunkene Hoffnung – es wurde ungemütlich. Doch „Ruuudi“ entfachte dann neues Feuer. Mit einem typischen Völler-Tor weckte er neue Hoffnung. Ecke Andreas Möller, Kopfball Klaus Augenthaler, dann war der deutsche Torjäger da. Im Fallen. Mit der Fußspitze. Ein Tor benötigten die Deutschen also noch, um über den Brenner zu kommen. Und sie hatten dafür 65 Minuten Zeit. Der Halbzeitpfiff unterband die deutschen Bemühungen, die dadurch erschwert wurden, dass die Waliser in Neville Southall einen erstklassigen Torhüter an diesem Abend aufboten. Die Hoffnung des DFB-Teams war zwar leicht angekratzt, aber noch lange nicht ausgelöscht. Vor allem bei einem nicht: Pierre Littbarski, der Spaßmacher, nicht nur in der Nationalmannschaft, sondern auch bei seinem Club, dem 1. FC Köln. Und an diesem Abend in Müngersdorf auch als Antreiber und Motivator im Einsatz. In der Pause rief er seinen Mitspielern zu: „Jungs, noch 45 Minuten bis Italien.“ 45 Minuten, in denen sich entscheiden sollte, ob die deutsche Nationalmannschaft die Gruppenreise nach Italien auch antreten würden.
Zwei Berliner, die Köln verzaubern
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Mit Littbarski und Häßler standen Beckenbauer zwei Zauberkünstler am Ball, als Spieler beinahe Deckungsgleich, zur Verfügung. Und es passte zwischen den beiden Kölnern, die in Berlin geboren wurden/aufwuchsen, schließlich nach Köln zogen, um für den FC zu spielen. Und nun sollte es an diesem Abend in Müngersdorf enden mit den Träumen vom WM-Titel? Die Antwort folgte rasch, und es war Häßler, der sie gab. Und es war Littbarski, der Pausen-Mutmacher, der diese Antwort maßgerecht vorbereitete. Auf der linken Seite umkurvte er drei Waliser, flankte in die Mitte und erreichte über Umwege seinen Clubkollegen. „Icke“ Häßler, dem gebürtigen Rechtsfüßer, flatterte der Ball jedoch genau auf den linken Schlappen. Macht nix – dachte er sich – und nahm den Ball in Höhe des hinteren Pfostens ins Visier. Er zog ab, und zur Überraschung der 60 000 Fans in Müngersdorf – und wohl auch zu seiner eigenen – traf er den Ball volley so exakt, dass nicht mal der überragende Southall im Kasten der Gäste eine Abwehrchance hatte. Das Publikum tobte, wie es zuvor ihrer Hoffnung folgend das Team angefeuert hatte. Der ersehnte zweite Treffer, er war da.
Doch es wurde eine Zitterpartie, zumal „Litti“ eine Viertelstunde vor Schluss noch einen Elfmeter verschoss. Die Abwehr um Klaus Augenthaler, Guido Buchwald, Stefan Reuter, Andreas Brehme und Torhüter Illgner ließ aber keinen Ball mehr reinregnen. Häßlers Treffer hatte die Deutschen gerettet, was bei dem Techniker zu einem wahren Wachstumsschub führen sollte. "Heute fühle ich mich wie 1,95", gab der der nur 1,66 Meter große Kölner später zu Protokoll. Es sei so gewesen, wie „ich es vorher geträumt hatte“. Ein Traum von einem Tor? Häßler klärte die verdutzten Journalisten auf. „Ja“, sagte er, „Ich hab' geträumt, von links kommt eine Flanke, und ich mach' das Tor - dann ist es genauso passiert." Ein kurzer Mittagsschlaf war es nur, der dem Kölner den Weg wies: nicht nur nach Italien, sondern auch zum „Tor des Monats“, zu dem sein auch künstlerisch wertvoller Treffer gewählt wurde. Ein Treffer mit einer immensen Bedeutung für den deutschen Fußball. „Es war sicher das wichtigste Tor, das ich je im deutschen Nationaltrikot geschossen habe“, sollte Häßler später sagen. „Und so ein Tor vergesse ich natürlich nie!“
Häßlers Treffer in Müngersdorf bringt ihn ins Finale von Rom
Es ebnete den Weg nach Italien und zum dritten deutschen WM-Titel. Und es führte den Kölner in die Startaufstellung für das Finale gegen Argentinien. Olaf Thon oder Uwe Bein oder „Icke“ Häßler – alle drei begnadete Fußballer, aber nur zwei von ihnen konnten spielen. Littbarski war gesetzt. Der Geniestreich von Müngersdorf half dem Kölner. „Das Tor hat mich in die Startelf gegen Argentinien im WM-Finale von Rom gebrachte. Wir hatten ja damals ein hervorragendes Mittelfeld. Franz Beckenbauer hat mich im Endspiel doch nur aufgestellt, weil ich das Tor gegen Wales geschossen habe. Es war eine Art Dankeschön“, erzählte Häßler einmal. Und dort viel ein ebenfalls wichtiges Tor, durch einen Elfmeter, eiskalt verwandelt von Brehme, unten links. Doch es war der Treffer von Thomas Häßler, der den Deutschen überhaupt das Tor zu Ruhm und ‘Ehr geöffnet hatte.