„Eigentlich ist er ein Stürmer, der aus der Zeit gefallen ist“ Würde FC-Torjäger Anthony Modeste auch in einem anderen System funktionieren?

Analyse | Köln · Anthony Modeste gilt als Lebensversicherung des 1. FC Köln. Dabei beschränkt sich der Angreifer vornehmlich auf seine originäre Aufgabe, Tore zu schießen. Die Datenerfassung über ihn zeigt erstaunliche Werte.

 15 Saisontreffer hat FC-Torjäger Anthony Modeste bereits auf dem Konto.

15 Saisontreffer hat FC-Torjäger Anthony Modeste bereits auf dem Konto.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Mit einer solchen Saison hatte keiner gerechnet, wahrscheinlich nicht mal er selbst. Dennoch: Mit einem beinahe aufreizenden Selbstverständnis schreibt Anthony Modeste weiter an seiner Comeback-Geschichte. Sesshaft aber nicht geräuschlos, ist der Franzose nach schweren Jahren längst wieder eine tragenden Säule im Kölner Spiel. Nicht selten als Lebensversicherung bezeichnet, kommt der Dauerbrenner nach 27 Spieltagen bereits auf 15 Saisontore. Dabei gilt der 33-Jährige als Stürmer alter Art. Umso erstaunlicher daher, dass die Geschichte seiner Rückkehr ein solches Potenzial entfalten konnte.    

„Man kann sagen, dass er aktuell einen Tick besser spielt, als er vielleicht ist“, meint Datenspezialist Dustin Böttger. Mit seiner Firma Global Soccer Network berät Böttger Fußballvereine auf der ganzen Welt. Vereine wie Manchester City und Paris St. Germain informieren sich bei ihm über mögliche Transferziele. Getreu dem zeitgeistlichen Sportdrama „Moneyball“, das auf unnachahmliche Weise die ökonomischen Gesetze der Sportwelt auf links dreht, möchte Böttgers mit Hilfe des Datenscoutings die Handlungseffizienz der Vereine steigern. Über Algorithmen analysiert er, welche Spieler gemäß ihres Marktwertes über- oder unterbewertet werden. So können unbekannte Spieler entdeckt werden, die gemessen an ihrem niedrigen Marktwert gute Leistungen bringen. Ebenso werden Großverdiener erkannt, deren Leistungen unter ihrem angenommenen Marktwert liegen. 

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„Eigentlich ist er ein Stürmer, der aus der Zeit gefallen ist“

In solche Berechnungen fließen pro Spieler schnell zehn bis fünfzehntausend einzelne Datenpunkte ein. Und daraus können auch Aussagen über das Potenzial der Spieler getroffen werden. Wie gut ist ein Spieler aktuell? Wie gut kann er noch werden? Das sind die strategischen Fragen, die sich das durchökonomisierte Fußballgeschäft stellt, während kurzfristig immer auf das nächste Spiel und die Form der Spieler geschaut wird. Für das nächste Wochenende kommen Spieler mit schlechter Form selten in Frage. Stattdessen aber diese, die ihr Team Woche für Woche mit Toren versorgen – so, wie Kölns Modeste. „Bei Stürmern würde ich da immer die Expected Goals betrachten“, meint Böttger, um die Form von Stürmern einzuschätzen. Die „Expected Goals“, also die „zu erwartenden Tore“, oder auch „xGoals“, gehören bei der Datenerfassung im Fußball mittlerweile zu einer der gängigsten Metriken. Sie gibt Aufschluss darüber, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Spieler aus einer bestimmten Chance ein Tor erzielt. „Modeste hat wirklich einen sehr, sehr guten xGoal-Wert und überperformt den sogar noch“, erklärt Böttger. 

Modeste machte in der bisherigen Saison also nicht nur viele Tore. Gemäß der Wahrscheinlichkeit erzielte er bislang sogar mehr Treffer, als es der Toralgorithmus aussagt. Bis zum 22. Spieltag hätte Modeste laut xGoal-Wert 13,57 Tore schießen können. Tatsächlich schoss Modeste bis dahin schon 15 Tore. Damit belegt Modeste in der Torschützenliste der Bundesliga gleichzeitig  den vierten Platz. Und das, obwohl sich Kölns Sturmspitze deutlich vom Rest der Top-Stürmer unterscheidet. „Eigentlich ist er ein Stürmer, der aus der Zeit gefallen ist“, beschreibt es Datenanalyst Böttger, dessen eigene Vergangenheit im Scouting liegt: „In seiner Spielweise ist er sehr eindimensional, er ist sehr aufs Toreschießen fokussiert und lässt alles andere außen vor. Und das kann man anhand seiner Leistungsdaten sehen.“

Modeste ist nicht sehr ins Kölner Spiel eingebunden

Demnach ist Modeste unter 41 Bundesliga-Stürmern derjenige, der am wenigsten ins Spiel eingebunden wird. So hat der Kölner im Schnitt nur 38 Ballaktionen pro Spiel. Es gibt keinen Stürmer, der so wenig am aktiven Spiel teilnimmt, wie Modeste. Auch bei den Defensivdaten belegt Modeste in mehreren Kategorien den letzten Platz. So nimmt Modeste beispielhaft kaum am aktiven Pressing seiner Mannschaft teil. „Er ist komplett aus dem Spiel raus“, analysiert Böttger: „Wenig Zweikämpfe, wenig Pässe, er geht sehr, sehr selten ins Dribbling und wenn, dann ist es weniger erfolgreich. Er ist wirklich nur  zum Toreschießen da.“  Für den Rest der Mannschaft bedeutet dies deutlich mehr Arbeit, die sich am Ende bislang jedoch ausgezahlt. Dies liege vor allem an der Spielweise der Kölner. Laut Böttger habe es Trainer Steffen Baumgart verstanden, das Spielsystem auf Modeste auszulegen.

„Modeste muss eben nicht 30-mal im Spiel in den Zweikampf, er muss nicht bis an die Mittellinie zurücklaufen, um da einen Zweikampf zu gewinnen. Er kann sich einfach aufs Toreschießen fokussieren.“ Wie gut das klappt, zeigen Modestes Werte in den klassischen Stürmerkategorien - in denen gehört der Franzose ligaweit durchweg zu den Top Fünf: Er belegt Rang fünf bei den abgegebenen Torschüssen pro Spiel, Rang vier bei den meisten Toren, Rang vier bei den herausgespielten Torchancen, Rang vier bei den xGoals sowie Rang zwei bei den gewonnen Kopfbällen.  Aufgrund der Spieleranlage und dem gespielten System erscheint die Verbindung zwischen Modeste und dem 1. FC Köln einmalig. Auch deshalb ist aktuell kaum vorstellbar, dass der Angreifer den Verein verlassen könnte. Über seinen 2023 auslaufenden Vertrag wird dennoch diskutiert. Der Stürmer möchte verlängern, der Verein hält sich bislang noch zurück. „Wir sind in keinster Weise in der Pflicht, frühzeitig eine Entscheidung zu treffen", sagte Lizenzspieler-Chef Thomas Kessler nach dem Dortmund-Spiel bei „Sky“.

Analyst: Modeste könnte auch zu Union Berlin passen

Doch könnte ein unorthodoxer Stürmertyp wie Modeste überhaupt bei einem anderen Bundesligisten funktionieren? „Wo es passen könnte, wäre Union Berlin“, mutmaßt Böttger. Union verstehe es, alte Spieler kreativ in ihr Spiel zu integrieren: „Bei allen anderen, die Top-Klubs außen vor, wird es schwer, wenn du Spieler hast, die gar nicht verteidigen.“ Bis diese Entscheidung jedoch getroffen werden muss, wird Modeste seine Geschichte mit dem 1. FC Köln zunächst weiterschreiben. Und am Ende der Saison könnten seine Tore nach 2017 die erneute Teilnahme am internationalen Geschäft bedeuten.

Bislang war Modeste in dieser Saison für 39 Prozent der Kölner Tore verantwortlich. Und obwohl er in den vergangenen vier Spielen torlos blieb: Er kreierte in diesen Spielen mehr Chancen für seine Mitspieler, spielte mehr Schlüsselpässe, führte mehr Zweikämpfe und gewann davon gleichzeitig mehr, als in seinen 22 vorherigen Einsätzen. Dazu fing Modeste deutlich mehr Bälle ab. Der bislang unorthodox auftretende Stürmer hat sein Spiel zuletzt also verändert und spielte deutlich mannschaftsdienlicher. Bislang ging dies auf Kosten der Tore. Doch auf lange Sicht könnte es Kölns Lebensversicherung noch unberechenbarer machen. Das wäre wohl das nächste Kapitel seiner erstaunlichen Geschichte.

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