Neues Buch von Autor Frank Steffan Als der 1. FC Köln in der Radrennbahn spielte

Köln. · Von 1971 bis 1976 musste der 1. FC Köln wegen des Umbaus des Müngersdorfer Stadions in die daneben gelegene Radrennbahn umziehen. In seinem neuen Buch „Mythos Radrennbahn“ beleuchtet der Kölner Autor Frank Steffan dieses starke Kapitel FC-Geschichte.

 Kölsche Kultstätte: Die Radrennbahn in Müngersdorf bot 28 000 Zuschauern Platz.

Kölsche Kultstätte: Die Radrennbahn in Müngersdorf bot 28 000 Zuschauern Platz.

Foto: Horstmueller/HORSTMUELLER GmbH

Vermutlich hätte Frank Steffan dem Opel-Werbeslogan „Nur Fliegen ist schöner“ damals am liebsten heftig widersprochen. Zumindest in diesem Moment, als er mit einer kleinen Propellermaschine über Köln kreiste. Seine Eltern hatten ihm den Rundflug über seine Heimatstadt zu seinem 14. Geburtstag geschenkt, und der blonde Fetz fand das natürlich prima. Einerseits. Andererseits verhinderte die Flugeinlage am Tag seines Wiegenfests, dem 28. August, den Besuch eines Spiels seines Leib- und Magenclubs: des 1. FC Köln.

Die grenzenlose Freiheit über den Wolken hätte er wohl am liebsten sofort eingetauscht gegen die fiebrige Enge des Kölner Stadions. Die Heimspiele trug der FC seinerzeit in der Radrennbahn aus. An diesem Tag traf der FC auf Borussia Dortmund, und Steffan schaffte es sogar, den Piloten nach Müngersdorf zu lotsen. Da der sich jedoch vorschriftsmäßig weigerte, die Höhe über dem Kessel zu reduzieren, erkannte Steffan das Geschehen zwischen den Weißen und den Schwarz-Gelben nur schemenhaft. Darüber sei er „maßlos enttäuscht“ gewesen. Denn auch für Steffan galt damals: Entscheidend is auf’m Platz.

Dass den Kölner die Zeit des FC in den wilden 70ern bis heute nicht losgelassen hat, findet Ausdruck in seinem neuen Buch „Mythos Radrennbahn – Als bei Heimspielen des 1. FC Köln 1971 bis 1976 der Rasen brannte“. Feuer und Flamme war der heutige Journalist und Verleger vor allem in dieser Zeit für seinen Verein, und mit der Episode des kleinen Fliegers öffnet der heute 62-Jährige das Tor zu einer Zeit, in der sich aus heutiger Sicht alles in Schwarz und Weiß abgespielt haben muss. Die strahlende FC-Vergangenheit, längst ein wenig in Vergessenheit geraten, bringt er durch sein neues Werk eindrucksvoll ins Hier und Jetzt. Zuvor hatte er unter anderem „Heinz Flohe – Der mit dem Ball tanzte“ als Buch und Film veröffentlicht; und seine Dokumentation „Das Double“ wurde auf dem 11mm-Fußballfilm-Festival 2018 in Berlin als beste internationale Produktion ausgezeichnet.

Geschichte lebendig zu machen, das ist sein Ziel. Für Steffan gab es kein „Erweckungserlebnis“, aber er hatte das Gefühl, wenn „ich jetzt nichts mache, dann wird es vergessen“. Im kölschen Gedächtnis sollte vor allem auch der Fußball bleiben, den die Kölner einst in dieser „Bretterbude“ (Steffan) aufführten, in der es „nur Würstchen gab, keine gepolsterten Sitze, keine VIP-Lounges, keinen Luxus, nichts“, aber „auch keine Ausschreitungen“. Schnell, rasant, bedingungslos – diese Attribute passten auf den FC. Steffan, früher Chefredakteur der deutschen Ausgabe des „Rolling Stone“, spricht von Rock ’n’ Roll auf dem Rasen. Rock ’n’ Roll in Müngersdorf. Selbst wenn der ganz große Erfolg ausblieb.

Viereinhalb Jahre spielte der FC in dieser als zweijähriges Provisorium gedachten Kultstätte in Müngersdorf. Der Verein musste 1971 umziehen, damit ein neues Stadion für die WM 1974 gebaut werden konnte. Die Bauarbeiten zogen sich hin, und so absolvierten die Kölner in der Radrennbahn bis 1976 insgesamt 106 Pflichtspiele, von denen sie sagenhafte 79 gewannen und nur 13 verloren. Eine Festung, die die Fans mitbauten. 28 000 Zuschauern bot sie Platz.

„In diesem Kessel“, erinnerte sich FC-Legende Wolfgang Weber (75) neulich, „ging es ab, vor allem bei Flutlicht.“ In der großen Betonschüssel wenige Meter weiter aber „saßen die Zuschauer in 60 bis 150 Meter Entfernung“, erzählte Weber. „In der engen Radrennbahn aber gab es sofort eine Verbindung, sobald wir aus dem Tunnel kamen. Die Stimmung war sensationell.“

Sie hatte auch Steffan sofort erfasst, der einst für zwei D-Mark Eintritt seinem Idol Heinz Flohe nah kam. Ein Mal kam er ihm sogar ganz nah. Er erhielt für die Partie gegen Fortuna Köln eine offizielle Fotokarte, weil er für die Schülerzeitung des Albertus-Magnus-Gymnasiums im Einsatz mit der Kamera war. Flohe zu beobachten – direkt am Rasen –, wie er schon beim Warmmachen dem bedauernswerten Torhüter Gerhard Welz, den Steffan später auch persönlich kennen und schätzen lernte, einen Freistoß nach dem anderen in den Winkel schlenzte, das war ein Genuss für ihn.

„Flocke“ war einer jener Spieler, der mit Samt und Seide in den Schuhen auflief. Auch Wolfgang Overath gehörte zwingend dazu. Spieler, die die Fantasie beflügelten. Aber der FC bediente sich nicht nur aus der Kölner-Kreativwerkstatt. Auch Akteure wie Harald Konopka, die fußballerisch eher mit den groben Stollen unterwegs waren, rannten und brannten für den FC, rissen die Fans mit, die selbst in den umliegenden Bäumen den Spielen zusahen.

Steffans Zeitreise hat dann auch nicht nur alle Spiele und Spieler im Blick, sondern auch diejenigen, die auf den Rängen Stimmung erzeugten. Ein Fan berichtet etwa, wie er das Studentenhochhaus der Sporthochschule erklomm, um von einem Außenbalkon des Treppenhauses einen Blick ins Stadion werfen zu können. Ein anderer erzählt, wie er neben Stadionsprecher-Legende Hans-Gerhard König bei Spielen am Mikro saß und warme Worte an die Fans richten durfte. Und der heutige Stadionsprecher Michael Trippel hatte die Haare schön damals, vor allem lang und blond, was auf zwei eindrucksvollen Fotos dokumentiert ist. Frank Steffans Buch, für das er aufwendig recherchierte in allen großen Kölner Zeitungen, der „Fußball Woche“, im „Kicker“, ist eine Fundgrube solcher Anekdoten. Die bereichern es ebenso wie die vielen historischen Fotos, die ein Eintauchen in die damalige Zeit ermöglichen.

Und wie würde er die Jahre in der Radrennbahn beschreiben, als der FC dort spielte, rannte, kämpfte, Tore schoss – und Titel verpasste? Ganz einfach: Es war die „geilste Zeit“. Oder, um im Dialekt zu bleiben: ne superjeile Zick.

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